Der Comebacker

Wie ein verblasst geglaubtes Juwel sein Strahlen wiederfand

Sein Wechsel von Absteiger Stoke City zum FC Liverpool im vergangenen Sommer wurde von vielen Fans und Experten belächelt. Statt zum Reservisten zu verkommen, etablierte sich Xherdan Shaqiri überraschend schnell unter Reds-Trainer Jürgen Klopp.

Vor dem großen Wiedersehen mit dem Ex-Arbeitgeber FC Bayern (21 Uhr im LIVETICKER) lassen SPOX und Goal, die mit einigen Weggefährten sprachen, Shaqiris teils steinigen Karriereweg Revue passieren. Von einem Einwandererkind, das stets mit finanziellen Nöten zu kämpfen hatte. Von einem fußballverrückten Jungen, dessen größtes Glück einst in einem gefälschten Ronaldo-Trikot lag. Von einem Teenager, der auf ungewohnter Position brillierte, später als Mann in München alles gewann und plötzlich stagnierte. Von einem Comebacker, der an der Anfield Road gefeiert wird.

Xherdan Shaqiri steht mit verschränkten Armen da, angewurzelt, blickt mit breitem Grinsen und einem Hauch Ehrfurcht in die Menge, in all die vor Glückseligkeit verzerrten Gesichter. Anfield jubelt ihm zu. Ihm, dem kleinen Schweizer mit kosovarischen Wurzeln, der wenige Augenblicke zuvor etwas getan hatte, was bei jedem Liverpool-Fan größtmögliche Wolke-Sieben-Gefühle auslöst: ein Tor für die Reds gegen den Erzrivalen Manchester United geschossen. Es war sein zweites an diesem Dezemberabend und damit die endgültige Besiegelung des Triumphes. Einer der wohl größten Momente in Shaqiris Leben, das unter prekären Bedingungen seinen Anfang nahm.

"Unser Haus hatte keine Heizung, nur einen großen Kamin. Es war ein wirklich altes Haus auf einem Bauernhof in Basel. Ich bin umhergelaufen wie ein Wahnsinniger, um mich warm zu halten", schreibt Xherdan Shaqiri in einem persönlichen, emotionalen Gastbeitrag für "The Players Tribune" Mitte vergangenen Jahres. "Mein älterer Bruder hat immer wieder diese Kälte beklagt. Sein Zimmer war im ersten Stock, weit weg vom Kamin. Im Winter musste er mit fünf Decken schlafen." Im Alter von vier Jahren war er gemeinsam mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern Arianit und Erdin aus dem Kosovo in Richtung Schweiz aufgebrochen und in der Stadt am Rhein, nahe der deutschen Grenze, untergekommen.

Sie hatten das kleine, mittlerweile als Republik Kosovo anerkannte Land verlassen, bevor der verheerende Krieg ausbrach. "Es war nicht einfach. Mein Vater sprach kein Schweizerdeutsch, also musste er in einem Restaurant als Tellerwäscher beginnen. Schließlich bekam er einen Job im Straßenbau. Meine Mutter arbeitete als Reinigungskraft in Bürogebäuden der Stadt. Die Schweiz ist für jeden teuer, aber meine Eltern hatten es noch schwerer, weil sie unseren Angehörigen im Kosovo viel Geld schickten. Am Anfang sind wir jedes Jahr noch in den Kosovo geflogen, aber als der Krieg ausbrach, ging das nicht mehr. Es war sehr schwierig für meine Familienmitglieder, die dort festsaßen. Das Haus meines Onkels wurde niedergebrannt", verrät Shaqiri. Viel Geld sei aufgrund der Unterstützung der Familie nicht übriggeblieben. "Aber zum Geburtstag gab es manchmal ein Geschenk."

An eines erinnert er sich besonders gerne zurück. "Ronaldo war mein großes Idol. Der richtige Ronaldo. Die Art und Weise wie er spielte, war für mich pure Magie. Als er sich im WM-Finale 1998 verletzte und Brasilien gegen Frankreich verlor, weinte ich, weil er mir so leidtat. Mein siebter Geburtstag war drei Monate nach der Weltmeisterschaft und ich flehte meine Mutter Tag für Tag an: 'Alles, was ich mir zum Geburtstag wünsche, ist dieses gelbe Ronaldo-Trikot. Bitte kaufe mir dieses Trikot.'

Ein Wunsch, der erhört werden sollte:

"Meine Mutter überreichte mir einen verpackten Karton. Ich öffnete ihn und holte ein gelbes Ronaldo-Trikot heraus. Ein gefälschtes, das man auf dem Markt kaufen kann. Es war kein Wappen drauf, sondern einfach nur ein gelbes Shirt mit einer grünen Nummer neun. Meine Eltern hatten kein Geld, mir ein originales Trikot zu kaufen, aber das hat mich nicht gestört. Das war der glücklichste Tag meines Lebens. Ich trug es ungefähr zehn Tage hintereinander, dazu zog ich gelbe Shorts an."

Die Ronaldo-Obsession auf die Spitze treibend, legte sich der kleine Xherdan im Anschluss an die darauffolgende Weltmeisterschaft die legendäre Frisur des Torjägers zu: abrasiert, bis auf einen dreieckigen Pony. "Aber ich hatte zu dieser Zeit blonde Locken. Es sah völlig verrückt aus. Ich kam in die Schule und die anderen Kinder guckten mich an, als wollten sie sagen: 'Was ist mit diesem Typen passiert? Was zur Hölle hat er getan?", erinnert sich Shaqiri.

Er war vernarrt in den Fußball, verbrachte jede freie Minute im Park, der laut eigener Aussagen im Basler Problemviertel lag. "Meine Mutter bat mich immer wieder, nicht dorthin zu gehen. Ich weiß, viele Leute denken, die Schweiz ist wirklich schön und das stimmt größtenteils auch. Aber dieser Park war völlig irre. Man kam sich vor wie bei den Vereinten Nationen: Da waren Türken, Afrikaner, Serben, Albaner. Aus den Boxen drang deutscher Hip-Hop, irgendwelche Mädchen liefen einfach während des Spiels mitten über den Platz. Aber dort wurde richtiger Fußball gespielt. Es gab immer wieder Prügeleien. So habe ich gelernt, mit Männern zu spielen, die definitiv nicht nur zum Spaß da waren."

Die Spiele im Park formten den talentierten Jungen, der als 14-Jähriger beim FC Basel, dem größten Klub der Stadt, anheuerte. Dort spielten bereits seine beiden älteren Brüder. Mit der U-Auswahl der Rot-Blauen sollte er nach Prag reisen, um am Nike Cup teilzunehmen. Kein Grund für seinen Lehrer, ihn von der Schule freizustellen. "In der Schweiz sind die Lehrer sehr streng. Ich dachte: 'Scheiße, dann muss ich mir eben eine Krankmeldung besorgen.'

Meine Mutter schrieb an die Schule, dass ich erkältet sei, so konnte ich doch an dem Turnier in Prag teilnehmen. Ich war sehr gut drauf, spielte richtig stark. Zum ersten Mal nahm ich wahr, dass Kinder aus anderen Ländern mich beobachteten und mit ihren Blicken vermittelten: 'Krass, das ist dieser Junge aus Basel.' Es war großartig", schreibt Shaqiri weiter.

Weniger großartig war allerdings, dass sein Lehrer Wind von der Sache bekam. "Als ich montags in die Schule kam, tat ich so, als sei ich immer noch etwas erkältet. Mein Lehrer zitierte mich zu sich, warf die Zeitung auf den Tisch und sagte: 'Oh, Du warst also krank?' Auf der Titelseite war ein Foto von mir, lachend, den Pokal für den besten Spieler des Turniers in die Kamera haltend."

Auf die Familienkasse wirkte sich das fußballerische Engagement der drei Söhne nicht positiv aus. Eher im Gegenteil: Als Xherdan und seine Brüder mit dem Klub ins Trainingslager nach Spanien fliegen wollten, war die Grenze des finanziell Stemmbaren erreicht. "Es kostete um die 700 Franken (ca. 615 Euro, Anm. d. Red.). Mein Vater kam eines Nachts zu uns sagte: 'Schaut, es ist nicht möglich. Das können wir uns nicht leisten.'"

Kurzerhand beschlossen Arianit, Erdin und Xherdan, kleine Jobs anzunehmen, um die Reise doch noch zu bewerkstelligen. "Ich mähte drei Wochen lang die Rasen in der Nachbarschaft. Wir bekamen das Geld zusammen. Meine größte Sorge war damals nicht, dass ich nicht mitreisen kann, sondern, dass die anderen Kinder herausfinden, dass wir es uns eigentlich nicht leisten können."

Ein Jahr später war mit Hinblick auf die heikle finanzielle Situation plötzlich ein Silberstreif am Horizont erkennbar. Xherdan, mittlerweile 17 Jahre alt, wurde ins Profiteam berufen, feierte schon bald sein Debüt unter Coach Thorsten Fink, der im Gespräch mit Goal und SPOX gerne an seinen Zögling von einst zurückdenkt. "Ich bin auf jeden Fall froh, einer seiner Wegbegleiter und Förderer gewesen zu sein. Ich war derjenige, der ihm den ersten Schubser in die richtige Richtung gegeben hat. Ich habe mich getraut, einen 17-Jährigen einzusetzen. Vielleicht hat das dabei geholfen, seine Karriere ins Rollen zu bringen", sagt Fink und schiebt nach: "Er war schon immer frech. Ich glaube gar nicht, dass er sich dahingehend groß verändert hat. Damals hatte er in großen Spielen einfach keine Angst."

Ein Spiel des "Kraftwürfels", wie Shaqiri aufgrund seiner Statur genannt wird, ist dem 51-Jährigen, der mittlerweile das Traineramt beim Grasshopper Club Zürich innehat, besonders in Erinnerung geblieben:

"Das 'Finalisma 2010'. Da ist sein Stern richtig aufgegangen. Wir hatten damals unser letztes Saisonspiel gegen die Young Boys aus Bern. Sie mussten gewinnen, um Meister zu werden, uns reichte ein Unentschieden. Es war ein besonderes Spiel in der Schweiz und Xherdan hat als Linksverteidiger gespielt. Sein Gegenspieler war Seydou Doumbia, der als Rechtsaußen in dieser Saison für Bern 30 Tore gemacht hat."

"Xherdan hat ihn mit seinen 18 Jahren ausgeschaltet. Das kommt mir natürlich gerne in den Sinn. Wir sind dort Meister geworden (Basel gewann mit 2:0, Anm. d. Red.) und er hat ihn einfach kaltgestellt, obwohl er nicht auf seiner angestammten Position spielte. Das zeigt, wie mental und fußballerisch stark, wie variabel er damals schon war." Darüber, ob Shaqiri auch als Linksverteidiger durchgestartet wäre, kann Fink nur spekulieren: "Er hat das super gemacht, aber nur einen verletzten Spieler ersetzt. Natürlich hatte er dort auch seine Stärken. Er wollte aber immer gerne vorne spielen. Ich habe ihn damals auf der rechten offensiven Außenbahn eingesetzt."

Benjamin Huggel, der insgesamt exakt 100-mal gemeinsam mit Shaqiri auf dem Platz stand (nur mit Granit Xhaka, Alex Frei und Marco Streller absolvierte Shaqiri mehr Partien, Anm. d. Red.), bestätigt Finks Aussagen. "Es war damals so, dass ich am Ende meiner Karriere stand und er am Anfang. Der Altersunterschied zwischen uns beträgt 14 Jahre. Er ist hochgekommen unter Thorsten Fink, der sein Talent sofort erkannt hat. Am Anfang hat er ihn noch teilweise auf einer Position spielen lassen, die für Xherdan etwas ungewohnt war: Als linker Verteidiger. Aber auch das hat er sehr gut gemacht. Er war immer schon ein sehr aufgeschlossener, positiv denkender junger Kerl", erklärt der 41-fache Schweizer Nationalspieler gegenüber Goal und SPOX.

Shaqiris Karriere verlief zu jener Zeit wie im Zeitraffer. Kurz nach dem Titelgewinn in der heimischen Liga, berief Nati-Trainer Ottmar Hitzfeld den gebürtigen Kosovaren für die Weltmeisterschaft in Südafrika, wo die Schweiz mit einem Sieg gegen den amtierenden Europameister und späteren WM-Gewinner Spanien für Furore sorgte, im Anschluss aber erst mit 0:1 gegen Chile verlor, im entscheidenden Gruppenspiel nicht über ein 0:0 gegen Honduras hinauskam und somit vorzeitig die Koffer packen musste.

Zwölf Minuten durfte Shaqiri in der letzten Partie mitwirken, konnte allerdings nicht dabei helfen, das Aus abzuwenden. Sein damaliger Übungsleiter zeigt sich dennoch angetan von den ersten Gehversuchen des Flügelspielers in der helvetischen Auswahl. "Man hat schon gesehen, dass er unheimlich talentiert ist", sagt Hitzfeld, mit dem Goal und SPOX ebenfalls über Shaqiri sprachen. "Er ist beim FC Basel schon mit 18 Jahren eingeschlagen, deshalb habe ich ihn schon in diesem Alter in die Nationalmannschaft geholt. Jeder wusste, dass er ein großartiger Spieler werden kann. Es ist immer ein weiter Weg, aber die Voraussetzungen waren da."

Die Teilnahme beim größten Fußballturnier der Welt hinterließ bleibenden Eindruck bei Shaqiri. "Als wir an unserem Hotel ankamen, stand ein Soldat mit einer riesigen Waffe vor jeder Zimmertür. Unsere eigenen Soldaten, die uns beschützen sollten", so Shaqiri in seinem Players'-Tribune-Beitrag. "Ich dachte, das sei das Coolste überhaupt. Ein Jahr zuvor war ich noch alleine nachts aus dem Park nach Hause gelaufen und dann hatte ich plötzlich meinen eigenen Soldaten?" Seine Eltern seien unheimlich stolz gewesen, als sie die ersten WM-Minuten ihres Sohnes für die Wahlheimat am TV mitverfolgten.

"Das war ein besonderer Moment für sie, weil sie mit nichts in die Schweiz kamen und immer hart dafür gearbeitet haben, dass ihre Kinder ein gutes Leben haben. Ich glaube, die Medien verstehen meine Gefühle für die Schweiz oftmals falsch. Für mich bin ich in zwei Ländern zuhause, so einfach ist das. Die Schweiz hat meinen Eltern alles gegeben, also gebe ich alles für die Nationalmannschaft. Aber immer, wenn ich in den Kosovo zurückkehre, fühle ich mich dort auch sofort zuhause. Das mag nicht unbedingt logisch klingen, aber das ist einfach ein Bauchgefühl."

In den anschließenden beiden Jahren hatte Shaqiri erheblichen Anteil daran, dass sein Klub zwei weitere Meisterschaften in Folge einstrich. 2011 sowie 2012 wurde er darüber hinaus zum besten Spieler der Schweiz gewählt. Fink, der den FCB im Oktober 2011 verließ, um den Hamburger SV zu übernehmen, beobachtete seinen Ex-Schützling aus der Ferne aber weiterhin mit großem Interesse. Zuletzt adelte er Shaqiri im Interview mit ESPN, indem er ihn mit keinem Geringeren als Lionel Messi verglich: "Wie Messi musste er für sein Talent nicht arbeiten. Er hat es einfach. Er hat Messis Talent."

Von Goal und SPOX auf die Aussagen angesprochen, sagt er:

"Es war nur ein Vergleich. Weil Xherdan so groß ist wie Messi, weil er einen linken Fuß hat und technisch herausragend ist. An Messi heranzukommen, ist natürlich eine ganz, ganz große Nummer. Er ist der Beste, den es gibt und vermutlich je geben wird. Ein Vergleich ist daher immer ungerecht. Lassen Sie es mich so sagen: Er ähnelt dem Typen Messi, weil er ein spielähnlicher Typ ist, aber ich sage nicht, dass er auf dem Level von Messi ist."

Tatsächlich messen Shaqiri und Messi beide lediglich knapp 1,70 Meter. Zudem, man mag es angesichts der sofort ins Auge springenden Muskelbepacktheit Shaqiris kaum glauben, bewegen sich die beiden mit angeblich jeweils 72 Kilogramm in derselben Gewichtsklasse. "Xherdan ist heute ein bisschen mehr Kante als früher", glaubt Fink und ergänzt: "Ehrlich gesagt: Ich habe damals befürchtet, er könnte ein wenig auseinander gehen. Aber er hat das super hinbekommen und immer hart an sich gearbeitet. Deshalb ist er auch da, wo er jetzt ist."

Finks Vergleich zwischen "La Pulga", dem fünfmal zum Weltfußballer gekürten Floh aus Argentinien, und Shaqiri kommt allerdings nicht von ungefähr. Schon vor einigen Jahren bekam Shaqiri den Beinamen "Alpen-Messi" verpasst, die Schweizer Boulevard-Zeitung Blick titelte pünktlich zum WM-Achtelfinalduell der Eidgenossen mit Argentinien 2014: "Alpen-Messi gegen Messi! Wer ist heute der Größte?" Die Schweiz verlor die Begegnung mit 0:1 nach Verlängerung, der "echte" Messi hatte den gewinnbringenden Treffer von Angel di Maria vorbereitet.

Zu diesem Zeitpunkt stagnierte Shaqiris Laufbahn erstmals merklich. Zwei Jahre zuvor, im Sommer 2012, war er von Basel zum deutschen Rekordmeister FC Bayern gewechselt. 11,8 Millionen Euro legten die Münchner auf den Tisch, um den damaligen Youngster in die Isarmetropole zu lotsen. In seiner ersten Saison zahlte der Neuankömmling unter Trainer Jupp Heynckes noch mit starken Leistungen zurück, erzielte in 39 Pflichtspielen acht Treffer, steuerte 13 Vorlagen bei und stemmte am Ende der Spielzeit auf dem Marienplatz-Balkon das begehrte Trophäen-Trio aus Meisterschale, Champions-League-Henkelpott und DFB-Pokal in den Himmel.

Doch mit dem Abschied Don Jupps in den vermeintlichen Ruhestand (zwischen Oktober 2017 und Juni 2018 half der Trainerfuchs bekanntlich noch einmal bei den Bayern aus) schwand Shaqiris Spielzeit für den deutschen Rekordmeister. Weil derjenige, der Seite an Seite mit dem echten Messi zahlreiche Titel in Barcelona eingefahren hatte, kaum Verwendung für den Alpen-Messi fand: Pep Guardiola.

Der Star-Coach aus Katalonien kam unter – selbst für Bayern-Verhältnisse – enormem medialen Rummel in den Süden Deutschlands, nachdem er ein Sabbatjahr in New York eingelegt hatte. "Es stimmt, dass sich meine sportliche Situation unter Guardiola geändert hat", sagt Shaqiri Ende 2016 im Interview mit SPOX. Er führt aus: "Ich hatte aber nie ein Problem mit ihm. Leider war ich auch einige Male verletzt. Ich bin unglücklich geworden, da ich zuvor sehr viele Spiele absolvieren durfte und somit meinen Beitrag zum Triple geleistet habe." Sehr wohl ein Problem hatte er allerdings mit den Personalentscheidungen seines neuen Trainers. "Plötzlich wurden Spieler eingewechselt, die eigentlich ein geringeres Standing hatten. Das hat mich natürlich enttäuscht."

Shaqiri macht keinen Hehl daraus, dass er die Bayern nach nur zwei Spielzeiten wieder verlassen wollte. Bereits damals hieß sein Wunschziel FC Liverpool, wie er verrät:

"Ich wollte schon im Sommer unbedingt gehen und hatte Angebote aus Liverpool und von Atletico Madrid. Ich entschied mich für Liverpool. Brendan Rodgers (damaliger Liverpool-Trainer, Anm. d. Red.) hatte mich vor der WM auch einige Male angerufen. Das haben mir die Bayern aber untersagt. Es gab dann diverse Gespräche, in denen es auch mal etwas lauter geworden ist. Die Verantwortlichen des FCB glaubten, dass sich die Situation mit den Einsätzen ändern wird – und wir nicht. So ist es ja dann auch gekommen."

Die Wahl fiel – so muss sich auch Shaqiri selbst rückblickend eingestehen – leider auf Inter Mailand. "Sie hatten mir ein neues Inter versprochen. Roberto Mancini wollte mich unbedingt haben. Man hätte vielleicht ein paar weitere Informationen aus dem Umfeld einholen sollen. Mir hat der italienische Fußball nicht so gut gefallen", sagt Shaqiri. Im Vergleich zu den Bedingungen in England sei die Infrastruktur bei den Mailändern "eine Schande" gewesen.

"Dass ein solch renommierter Verein keinen Weg findet, um in die Infrastruktur zu investieren, ist schon enttäuschend. Ernährung, Regeneration, Leistungsanalyse, abwechslungsreiche Trainingseinheiten – ich empfinde es in England einfach als professioneller. Wenn ich nur den Rasen vergleiche: In Italien war zwar das Wetter schön, der Rasen aber immer sehr hoch. In England kann es dagegen hageln und wir trainieren trotzdem auf einem Teppich, der jeden Tag von mehreren Mitarbeitern leidenschaftlich gepflegt wird."

20 Pflichtspiele absolvierte Shaqiri für die Nerazzurri, ehe sich die Wege nach nur einem halben Jahr wieder trennten. Der Serie-A-Klub, der den dynamischen Offensivmann bis zum Saisonende ausgeliehen und sich gegenüber Bayern verpflichtet hatte, ihn im Anschluss für eine festgeschrieben Ablöse von 15 Millionen Euro zu kaufen, gab Shaqiri zu Stoke City ab. Die Potters hatten satte 17 Millionen Euro geboten.

Bayern, Inter, Stoke – ein Karriererückschritt auf Raten. So zumindest die öffentliche Wahrnehmung des Ganzen. Während Shaqiri auf SPOX-Nachfrage versichert, ihm sei "egal" gewesen, wie Medien und Experten seinen Wechsel auf die Insel bewerten, sieht Förderer Fink auch Vorteile in dem vermeintlichen sportlichen Abstieg. "Damals hat es für Xherdan noch nicht gereicht, Arjen Robben oder Franck Ribery beim FC Bayern zu verdrängen. Sie waren einfach noch zu stark. Daraus musste er seine Lehren ziehen. Mit dem Wechsel zu Inter und später zu Stoke hat er einen Schritt zurück gemacht. Aber er ist dadurch auch gereift."

Ex-Natikollege Huggel sagt: "Bei Bayern hat er sein Potenzial angedeutet, war aber nach der ersten Saison vielleicht etwas zu ungeduldig. Das kam bei der Vereinsführung nicht so gut an. Dann ist er über Inter bei Stoke gelandet. Zwar ein Premier-League-Verein, aber ich war immer der Meinung, dass er für einen Spitzenklub geschaffen ist."

Die drei Jahre bei Stoke verliefen quasi sinnbildlich für den vorherigen Werdegang Shaqiris: In seiner ersten Saison belegte die Truppe einen hervorragenden neunten Platz im englischen Oberhaus, schloss die Runde sogar vor dem FC Chelsea ab. 2017 reichte es immerhin noch für Rang 13, ehe im vergangenen Sommer eine echte Horror-Spielzeit im direkten Abstieg gipfelte. Shaqiri spricht dennoch später beim Blick von der "lehrreichsten Zeit meiner Karriere".

Schnell war klar, dass Shaqiri, der mit acht Ligatoren und sieben Vorlagen zu den wenigen positiven Erscheinungen im Stoke-Kader zählte, den Gang in die Zweitklassigkeit nicht mit antreten würde. Eine Ausstiegsklausel über verhältnismäßig günstige 14,5 Millionen Euro lockte gleich mehrere Interessenten an. Da sich Liverpool abermals um die Dienste des Flügelflitzers bemühte, entschied sich Shaqiri zum zweiten Mal für die Reds, diesmal mit erfolgreicher Abwicklung des Deals.

Ohne die ganz große Euphorie bei den fanatischen LFC-Fans hervorzurufen, ohne Schnappatmung bei der traditionell sensationsheischenden englischen Presse auszulösen. Shaqiri galt als klassischer Transfer für die Breite des Kaders, wie es so schön heißt. Einer, der dann mal ran darf, wenn die Superstars eine Pause brauchen. Zu Beginn deuteten die Einsatzzeiten des mittlerweile 27-Jährigen auch genau auf diese Entwicklung hin, Shaqiri bekommt sporadische Einsätze, mal darf er auch länger ran. Bis, ja allerspätestens bis zu ebenjenem Dezembersonntag, an dem er seine neuen Farben über das verhasste ManUnited siegen ließ.

Von seinen Weggefährten zeigt sich indes niemand verwundert über den Aufschwung Shaqiris. "Wir kennen uns aus Basel seit unserer Jugend und es war ihm durchaus zuzutrauen, dass er sich auf diesem Niveau durchsetzt", sagt beispielsweise Gladbachs Yann Sommer im Gespräch mit Goal und SPOX. "Er ist ein Spieler mit sehr viel Talent, Tempo und Durchsetzungsvermögen. Durch seinen niedrigen Körperschwerpunkt ist er gerade für größere Gegenspieler sehr schwer zu verteidigen, sodass er immer in der Lage ist, sie auszutanzen", sagt der Schweizer Nationalkeeper weiter. Das hänge auch mit seiner beeindruckenden Einstellung zusammen. Sommer verrät: "Er trainiert viel und sehr gerne. Er hat schon damals häufig Extraschichten eingelegt, um beispielsweise Freistöße oder Dribblings zu trainieren."

Hitzfeld sieht vor allem in Liverpool-Trainer Jürgen Klopp einen großen Faktor für Shaqiris Leistungssteigerung: "Ich habe mich sehr gefreut, als Jürgen Klopp ihn verpflichtet hat. Er ist ein Trainer, der Spieler pushen kann, ein Motivator. Dadurch hat Shaqiri sein Selbstbewusstsein wiedergefunden, was ihm einige Zeit gefehlt hat."

Extramotivation seitens Klopp dürfte mit Hinblick auf den Dienstagabend nicht von Nöten sein. Dann trifft Shaqiri mit seinem neuen auf den alten Klub FC Bayern. "Das sind diese Gelegenheiten, sich zu beweisen", weiß Hitzfeld. "Er will sicherlich zeigen, dass es ein Fehler der Bayern war, ihn gehen zu lassen. Shaqiri ist ein Spieler für die besonderen Spiele."

Die Ex-Kollegen von der Isar freuen sich auf das Wiedersehen. "Ich habe ihm das immer zugetraut. Er hat ständig bewiesen, welch großes Potenzial er hat", sagt Bayern-Star David Alaba auf Nachfrage von Goal und SPOX. Der Österreicher ergänzt: "Auch hier hat er sein riesiges Talent immer wieder angedeutet. Ich mache mir bei ihm keine Sorgen, dass er es bei Liverpool nicht packen könnte."

Tom Starke, der ebenfalls gemeinsam mit Shaqiri bei den Münchnern die Fußballschuhe schnürte, mittlerweile Torwart-Trainer beim Rekordmeister ist, erklärt gegenüber Goal und SPOX: "Es war abzusehen, dass er irgendwann einmal bei einer europäischen Spitzenmannschaft landet. Bei uns war er schon sehr stark, hatte aber große Konkurrenz vor der Nase. Jetzt ist er über Umwege eben bei einem sehr guten Klub angekommen. Das freut mich unheimlich für ihn."

Ob der Comebacker gegen die Bayern wieder vor die feiernden Zuschauer tritt, die Arme verschränkt, wird an der Anfield Road mit Spannung erwartet. "Natürlich ist das ein besonderes Spiel für ihn. Aber er ist kein Mensch, der nachtragend ist", sagt Huggel. Dennoch: Vielleicht mischt sich in den ehrfürchtigen Blick ins Publikum ein Hauch Genugtuung. In dem Wissen, wieder erstarkt zu sein.