Paris Saint-Germain

Die Geschichte der Geschichtslosen

Dank der katarischen Eigentümer träumt Paris Saint-Germain vom Gewinn der Champions League. Es ist die neueste Epoche einer Vereinsgeschichte, die seit der Gründung 1970 von externen Geldgebern geprägt ist - von Rosahemden, dem Fernsehen, geheimnisvollen Amerikanern und arabischen Scheichs.

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Wer auf der offiziellen Homepage von Paris Saint-Germain nach der Vereinsgeschichte, nach "histoire" sucht, der findet einen Artikel vom 20. Mai 2018. Doch darin geht es nicht um das, was war, sondern um das, was sein soll. Thema ist die Vorstellung des neuen Trainers Thomas Tuchel, die Überschrift des Artikels ist eine Aussage des Vereinspräsidenten Nasser Al-Khelaifi: "Ecrire l’histoire ensemble!" Gemeinsam Geschichte schreiben! Ein Zitat, das exemplarischer nicht sein könnte. 

PSG ist und war schon immer ein Verein der Zukunft, keiner der Vergangenheit. Das Vereinsmotto lautet nicht umsonst:

"Revons plus grand!" Lasst uns größer träumen!

Im Auftrag der Stadt

(1970 bis 1973)

Als PSG am 12. August 1970 gegründet wurde, hatte Real Madrid schon sechs Mal die Champions League gewonnen und Stade Reims sowie AS St. Etienne ebenso oft die französische Meisterschaft. Der letzte und auch einzige Titel eines Pariser Vereins in der eingleisigen französischen Profiliga datierte von 1936, als der Racing Club triumphierte. Red Star, der zweite prominente Verein der Stadt, gewann im Laufe der Jahre lediglich ein paar Mal den Pokal. Internationale Erfolge? Fehlanzeige.

Paris, die stolze Hauptstadt Frankreichs, fand im Weltfußball nicht statt. Paris war nichtig.

Das hinderte Paris aber rein gar nicht daran, ein neues Stadion zu bauen. Im Südwesten der Stadt, wo schon seit 1897 Sport getrieben wurde, entstand der neue Parc des Princes für 50.000 Zuschauer. Ein Schloss, das Prinzen suchte. Während des Baus vereinigte sich eine Gruppe Pariser Persönlichkeiten mit dem Wunsch, ihrer Stadt einen ihr würdigen Klub zu schenken. Rund 20.000 Bürger wollten das auch und unterschrieben eine entsprechende Petition. In Paris herrschte Sehnsucht nach einem Verein, der der Größe der Stadt entsprach. 

Und so wurde der Paris FC gegründet, der dank seiner Gönner zwar über reichlich Kapital, jedoch kein Trainingsgelände oder gar einen Meisterschaftsstartplatz verfügte. Dafür fusionierte der Klub 1970 mit dem damaligen Zweitligisten Stade Saint-Germain aus dem westlichen Vorort Saint-Germain-en-Laye. Paris Saint-Germain FC nannten sie das Konstrukt, das in seiner ersten Saison standesgemäß aufstieg.

Dann wurde es aber kompliziert. Weil der fusionierte Klub über keine gemeinsame Jugend- und Amateurabteilung verfügte, zwangsrelegierte ihn der französische Verband in die dritte Liga. Die Profimannschaft durfte immerhin als alter, neuer Paris FC in der ersten Liga weiterspielen. Der Rest des Konstrukts startete mit einer Amateurmannschaft unter dem alten Namen Stade Saint-Germain in der dritten Liga. Die Gönner verloren wegen der Komplikationen die Begeisterung, doch dann kam Daniel Hechter.

Im Auftrag der Rosahemden

(1973 bis 1991)

Der gebürtige Pariser Hechter, so erzählte er immer wieder gerne, hätte einst beinahe einen Profivertrag als Torwart bei Red Star unterschrieben, widmete sich aber letztlich doch lieber der Mode. Ski- und Tennisbekleidung designte er, wurde damit Milliardär und hatte wieder Lust auf Fußball. Erst probierte sich Hechter an einer Übernahme des Paris FC, zerstritt sich aber mit der dortigen Klubführung. Bei Stade Saint-Germain klappte es, gemeinsam mit einer Gruppe Gleichgesinnter stieg Hechter 1973 beim Klub ein. Glamourprominenz beim Arbeitersport Fußball, leicht verächtlich rief man sie "Rosahemden".

Zunächst ließ Hechter den Klub erneut in Paris Saint-Germain FC umbenennen, dann kümmerte er sich um das, was er am besten kann: designen. Er entwarf das Logo mit dem Eiffelturm, der für Paris steht, und der Wiege mit royaler Lilie. Zwei Symbole des berühmtesten Sohns von Saint-Germain, des Sonnenkönigs Louis XIV. Dann schuf Hechter das ikonische marineblaue Trikot mit dem breiten, roten Längsstreifen. PSG zog in den mittlerweile fertiggebauten Parc des Princes ein, Hechter übernahm das Präsidentenamt. Im Sommer 1974 kehrte PSG in die erste Liga zurück, während der Paris FC abstieg. PSG aber war gekommen, um bis heute zu bleiben.

Erfolg stellte sich zunächst jedoch nicht ein, PSG verhedderte sich im Tabellenmittelfeld und Hechter in einen Ticketskandal. Wegen doppelter Eintrittskartenabrechnungen wurde er 1978 vom Verband gesperrt und musste als Präsident zurücktreten. Er übergab das Amt an seinen Freund und Rosahemd-Kollegen Francis Borelli, der unter anderem in der Verlagsbranche tätig war.

"Er war ein faszinierender Gentlemen, ein richtiger Sir. Sein Auftreten und Charisma waren unglaublich: gar nicht arrogant, sondern sehr zuvorkommend. Er kam nicht in Räume, er erschien", sagt Richard Niederbacher im Gespräch mit SPOX. Der Österreicher wechselte 1984 mit 22 Jahren zu PSG. "Borelli hat mir die Stadt und die besten Lokale gezeigt, wir waren sogar auf den Champs-Elysees essen." 

Niederbacher kam in einen Verein, der zwar erst 14 Jahre alt, aber in der High Society von Paris bereits bestens etabliert war. "PSG galt damals schon als Glamourklub. Alles war sehr pompös und bei den Spielen trieben sich immer irgendwelche Schauspieler, Tennisspieler oder andere prominente Persönlichkeiten herum", erinnert sich Niederbacher. Auch Ex-Präsident Hechter war noch präsent. "Er kam oft ins Stadion und manchmal sogar in die Kabine", sagt Niederbacher. Ein "ganz sympathischer, normaler Mann" sei Hechter geblieben. 

PSG polarisierte, es war der mondäne Gegenentwurf zu den bodenständigen Arbeitervereinen wie RC Lens oder AS Saint-Etienne. "Auswärts wurden wir manchmal nicht ganz herzlich empfangen", sagt Niederbacher. Das lag auch an den eigenen Fans, die so gar nicht zum Image des Glamourklubs passten. Im Laufe der 1980er Jahre entwickelte sich in der Boulogne-Kurve eine rechte, gewalttätige Fanszene.

Große sportliche Erfolge hatten die Fans kaum zu feiern, bei Niederbachers Ankunft waren zwei Pokalsiege die größten Triumphe der Vereinsgeschichte. Prominente Spieler standen trotzdem im Kader, zum Beispiel die beiden französischen Europameister von 1984 Luis Fernandez und Dominique Rocheteau, mit denen Niederbacher auch abseits des Platzes Zeit verbrachte.

"An einem freien Tag bin ich mit den beiden in die Stadt gefahren. Mit Absicht haben sie mich in diesen riesigen Kreisverkehr beim Arc de Triomphe bis ganz nach innen gelotst. 25, wenn nicht sogar 30 Minuten bin ich ohne herauszukommen im Kreis gefahren und sie haben mich nur ausgelacht. Der kleine Steirerbua wusste nicht, was er machen soll. Dann habe ich einfach die Warnblinkanlage eingeschaltet, bin stehen geblieben und zu einem Polizisten gegangen. Der hat mich natürlich erst einmal beschimpft - aber dann zum Glück rausgeleitet."

Nach nur einer Saison verließ Niederbacher den Klub, in der darauffolgenden wurde PSG erstmals Meister. Es war der letzte Titel unter den Rosahemden. Während Olympique Marseille in der Folge zum Serienmeister avancierte, geriet PSG in finanzielle Schwierigkeiten. Das verärgerte nicht nur die Fans, sondern auch das Fernsehen.

Im Auftrag des Fernsehens

(1991 bis 2006)

Anfang der 1990er Jahre hielt der Bezahlsender Canal+ die Übertragungsrechte an der französischen Liga - und machte sich wegen der Entwicklungen bei PSG Sorgen. "Für die Abonnenten von Canal+ wäre es eine Katastrophe gewesen, wenn die Liga über kein starkes Team aus Paris verfügt hätte", erinnerte sich Laurent Perpere 1999 im Buch Le Foot über die französische Fußballgeschichte. "Um den Wettbewerb am Leben zu erhalten, beschloss der Sender, PSG mit seiner Expertise im Event-Management zu helfen." Canal+ übernahm PSG.

Die Problematik dabei zeigt sich schon an Perperes damaligen Jobtiteln: Finanzdirektor von Canal+ und Präsident von PSG. Rechteinhaber Canal+ überwies TV-Gelder an einen Verein, der ihm selbst gehörte. Perperes langjähriger Vorgänger als PSG-Präsident war der Star-Moderator von Canal+, Michel Denisot. "Er war die rechte Hand des Präsidiums von Canal+ und das Gesicht der großen PSG-Erfolge in den 1990er Jahren", sagt Journalist Alexis Menuge, der sich mit dem französischen Fußball beschäftigt.

Von 1991 bis 1998 stand Denisot PSG vor. In dieser Zeit verpflichtete der Klub internationale Topstars wie George Weah, David Ginola, Valdo und Rai, etablierte sich in der Spitzengruppe der Liga und holte 1994 seinen zweiten Meistertitel. Außerdem gewann PSG drei Mal den Pokal, erreichte fünf Mal in Folge das Halbfinale eines europäischen Wettbewerbs und gewann 1996 dank eines 1:0-Finalsiegs gegen den SK Rapid Wien den Europapokal der Pokalsieger. Es war der größte Triumph der Vereinsgeschichte, aber auch der Anfang vom Ende einer glorreichen Ära. 

"Denisot war ein Machtmensch und hatte größere Ziele, als Canal+ bezahlen konnte", sagt Menuge. "Mit der Zeit wurden die Konflikte immer größer." 1998 gab Denisot das Präsidentenamt schließlich ab, kurz nachdem er Christian Wörns von Bayer Leverkusen verpflichtet hatte. 

Kritik an den Eigentümern gab es trotzdem kaum. "Im Vereinsumfeld wurde das Engagement von Canal+ immer noch sehr positiv gesehen. Niemand war negativ eingestellt oder sträubte sich gegen die Eigentümer", erinnert sich Wörns bei SPOX. Dafür sträubten sich verschiedene Fangruppen von PSG gegeneinander. Anfang der 1990er Jahre wechselten einige ultraorientierte Gruppierungen von der Boulogne-Kurve auf die gegenüberliegende Auteuil. Über die Jahre entwickelten sie sich immer weiter auseinander. Hier die weiße, rechte, hooliganorientierte Boulogne; dort die multikulturelle, unpolitische, ultraorientierte Auteuil. Eine Feindschaft unter Freunden. 

Sportlich war PSG nach der Jahrtausendwende Mittelmaß. "Als ich nach Frankreich kam, hatte ich in meinem Kopf ein Bild von PSG als reichem Glamourklub - aber das hat sich nicht bestätigt", erzählt der ehemalige Schweizer Nationalspieler Daniel Gygax, der damals beim Ligarivalen OSC Lille spielte. "PSG war zwar ein großer Name, hatte jedoch nicht die entsprechenden finanziellen Mittel. Es war etwas grotesk: Wenn wir mit Lille auf PSG trafen, waren wir der Favorit. Außerdem überraschte mich, dass deren Stadion selten voll war." 2006 verkaufte Canal+ den Verein schließlich. "Die Trennung war keine Überraschung mehr", sagt Menuge.

Im Auftrag der Geheimnisvollen

(2006 bis 2011)

Neuer Eigentümer wurde die US-amerikanische Investorengruppe Colony Capital. Ein mysteriöses Konstrukt, das sein Geld in der Hotellerie- und Casinobranche verdient hatte. "Es war skurril", sagt Menuge, "man wusste wie die heißen, aber viel mehr auch nicht." Innerhalb von fünf Jahren standen PSG ebenso viele verschiedene Präsidenten vor, einer davon hieß Sebastien Bazin. "Er war kein Fußballfan, selten im Stadion und sah aus wie Bill Gates", sagt Menuge. "Einfach nur geheimnisvoll."

Weniger geheimnisvoll waren die Transferausgaben, sie waren überschaubar. "Die Mannschaft bestand hauptsächlich aus durchschnittlichen, französischen Spielern", sagt Menuge. In Erinnerung blieb von der Zeit unter Colony Capital weniger der Pokalsieg von 2010, sondern vielmehr eine Eskalation des Fankonflikts. Im Februar 2010 resultierte eine Auseinandersetzung zwischen Boulogne- und Auteuil-Fans sogar in einem Todesopfer.

Daraufhin griffen Verein und Regierung durch, ließen Fanklubs auflösen, beschränkten die Möglichkeiten zum gemeinsamen Ticketverkauf für die verbliebenen Gruppierungen und sprachen hunderte Stadionverbote aus. Es war das Ende der traditionellen Boulogne-Kurve und auch auf der Auteuil litt die Stimmung massiv, sie blieb aber immerhin als Fantribüne bestehen.

In den Logen auf der Haupttribüne war vom einstigen Glamour unterdessen kaum etwas geblieben. "Da trieb sich nur die Pariser Lokal-Prominenz herum. Dass jemand wie David Beckham oder Naomi Campbell kommen würde, war damals unvorstellbar", sagt Menuge. Geändert hat sich das unter den neuen Eigentümern aus Katar. Unter einem Präsidenten, der Gemeinsamkeiten mit zwei seiner Vorgänger hat: Nasser Al-Khelaifi.

Im Auftrag des Öls

(seit 2011)

Genau wie Hechter peilte einst auch Al-Khelaifi eine aktive Sportlerkarriere an, bis auf Platz 995 der Tennis-Weltrangliste schaffte er es in jungen Jahren. Er ist Geschäftsführer des Fernsehsenders beIN, der wie Canal+ TV-Rechte an der Ligue 1 hält, seit 2011 PSG-Präsident und somit das Gesicht des neuen Eigentümers Qatar Sports Investments. Bei QSI handelt es sich um einen Staatsfonds Katars, das dank der Ölreserven über unermesslichen Reichtum verfügt. Sofort nach der Übernahme begann Al-Khelaifi auf dem Transfermarkt Geld auszugeben, viel Geld, aber die PSG-Fans blieben laut Menuge zunächst trotzdem skeptisch. 

"Anfangs wurde das Projekt nicht so ernst genommen und die Fans vermuteten, dass es sich vielleicht nur um eine Fake-Geschichte handeln könnte. Aber seit der Verpflichtung von Zlatan Ibrahimovic 2012 war allen klar, dass die Kataris nicht von heute auf morgen aussteigen werden. Die machen das sehr professionell und wollen etwas Nachhaltiges aufbauen."

Rund 1,16 Milliarden Euro investierten die Kataris bisher in neue Spieler. 2017 kam Neymar für 222 Millionen Euro vom FC Barcelona und wurde damit der teuerste Fußballer der Geschichte. "Neymar unterschreibt beim PSG Katar", verkündete die Zeitung La Provence. "Wir spielen um die Meisterschaft von Frankreich, die von Katar ist ja eh schon entschieden", sagte der Präsident des Ligarivalen Olympique Lyon, Jean-Michel Aulas. Dem nationalen Wettbewerb ist PSG längst entwachsen. In den vergangenen sechs Jahren holte der Klub fünf Meistertitel, vier Pokale und fünf Ligapokale. Mittlerweile gelten alle Anstrengungen der Champions League.

Der seit 1970 gehegte Wunsch nach einem Weltklub in der Weltstadt Paris hat sich erfüllt. Es ist aber weniger ein Klub für Paris, als lediglich einer aus Paris. "Der Verein ist eine wichtige Marke geworden in der arabischen Welt", sagte Al-Khelaifi 2013 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Fast jeder junge Araber kennt PSG. Die Kataris lieben Paris, sie betrachten den Verein als den ihren." Und weil sie nicht Saint-Germain lieben, sondern Paris, änderten die Eigentümer kurzerhand das Logo. Der Name des Vororts Saint-Germain wurde kleiner, die Wiege als Erinnerung an Louis XIV verschwand und mit ihr auch das Gründungsjahr 1970.

Verweise auf die Geschichte findet man bei PSG weder im Logo, noch auf der Vereinshomepage. Dafür aber immerhin auf der historischen Spielerliste von A bis Z. "Kurz nach der Verpflichtung von Neymar hat mir mein Ex-Mitspieler Luis Fernandez einen Link geschickt und dazu zehn lachende Smilies", sagt der österreichische Legionär aus den 1980er Jahren Richard Niederbacher. "Ich habe draufgeklickt und dann kam die Spielerliste von A bis Z. Bei N steht erst Neymar und direkt darunter Niederbacher."

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