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WM bei mySPOX


Gründer: GNetzer | Mitglieder: 56 | Beiträge: 5
16.06.2010 um 11:19 Uhr
Geschrieben von donluka
Zeitmaschine 2002
Wie, bitteschön, soll ich am Freitag das Spiel Deutschland gegen Serbien sehen, wo doch um 13:30 Uhr Anpfiff ist und ich mir den Tag nicht früh genug frei genommen habe?

Ein möglicher Lösungsansatz lässt mich einen Blick zurück werfen, ins Jahr 2002:
Kurzpassspiel, One-Touch. Wer kannte diese Begriffe, als unser Kader bestückt war mit Ballzauberern der Kragenweite Ramelow, Jeremies und Jancker? Nichts gegen die genannten Spieler, aber es war schon lustig, als im Finale der WM 2002 plötzlich dieses Team, durchnetzt von Fußballkämpfern, gegen die Brasilianer antreten sollte, immerhin die Mannschaft, der das große Zaubern am Ball nachgesagt wird.
Dennoch hatte es die Deutsche Nationalmannschaft wieder einmal geschafft – sie stand im Endspiel. Hatte sich irgendwie durchgerammt, gegen Fußballgrößen wie das immerhin mit Heimrecht versehene Südkorea, gegen Paraguay oder die USA.

Trotz größtenteils eher mäßiger Spielweise hatte sich seinerzeit eine große Euphorie rund ums DFB-Team entfacht, zwar nicht vergleichbar mit der Stimmung während des hochgejazzten Sommermärchens 2006, die aber auf das Zusammenwirken ganz einfacher Mosaiksteinchen zurückzuführen war:

1) die enorme Sympathie, die dem immer authentischen, bodenständigen und volksnahen Teamchef Rudi Völler entgegengebracht wurde, gerade nach dem eher nüchternen Ribbeck

2) das Lechzen nach Erfolgen, gerade nach dem mauen Abschneiden bei der WM 1998 und der völlig vergeigten EM 2000

3) und – wie so oft – das Drücken der richtigen Knöpfe an der Propagandamaschine des Boulevards. Gerade dieser Aspekt hatte teilweise skurrile Züge. Ich erinnere mich gerne daran, wie ich am 01. Juni 2002, dem Tag des ersten Spiels mit deutscher Beteiligung (gegen die Übermacht Saudi-Arabien) an dem Kiosk meines Vertrauens die Überschrift der preisverdächtigen Bildzeitung erblickte: "Rudi! Haudi! Saudi!" (Kucharski lässt grüßen?) Herrlich war das! Wirklich großartig und es führte dazu, dass ich – obwohl zu diesem Zeitpunkt noch völlig nüchtern und eigentlich kein Freund dieses Blattes- eine Ausgabe kaufen und die mühselig ausgeschnittene Zeile an die Wand meiner Berliner Studentenwohnung pflastern musste.

In Berlin wohnte ich nämlich seinerzeit und besuchte mit meinen Freunden hin und wieder die Uniseminare. Nun, warum erzähle ich Euch das? Weil die damalige Weltmeisterschaft in Südkorea und Japan ausgetragen wurde, waren die Spiele recht früh angesetzt (zumindest hatte ich es mir stets mit den verschiedenen Zeitzonen erklärt, bis ich einen Blick auf den aktuellen Spielplan warf!).
Jedenfalls standen sich am 05. Juni, einem Mittwoch, Deutschland und Irland gegenüber und zwar um halbzwei. Das war eher beschissen, denn Atze, Marc und ich mussten ausgerechnet an diesem Tag in einem Seminar (14-16 Uhr) etwas vortragen! Wie sollten wir also in den Genuss dieses Spiels kommen, wenn wir zeitgleich in der Uni sein mussten?

Fieberhaft und nächtelang tüftelten wir eine Strategie aus, wie wir doch das Spiel sehen konnten. Neumodische Handys mit Internetempfang bzw. dem entsprechenden Display waren damals noch nicht am Start, so dass sich die Option, im Seminar heimlich unter dem Tisch auf unsere Telefone zu starren, ausschloss.
Krankmelden ging aus o.g. Gründen auch nicht, also: Was tun?
In Krisensituationen ist das menschliche Hirn oft ja zu Höchstleistungen fähig und so war es auch damals: Wir entschieden, das Spiel auf VHS (für unsere jüngeren Leser: In gewisser Weise der Vorvorgänger von Blue-Ray) aufzuzeichnen und nach dem Seminar nach Hause zu eilen und es uns in voller Länge zu geben.

Nur: Aufgrund der besagten Euphorie wäre es doch beinahe unmöglich, in den sicheren Hafen der eigenen vier Wände zu gelangen, ohne auf der Straße entweder jubelende oder trauernde schwarzrotgeile Fans zu erblicken! Und überhaupt: Wie sollte das alles klappen, ohne dass wir das Ergebnis erfahren würden?
Eine gute Planung war das wichtigste. Nachdem wir mit roten Fäden auf einem Stadtplan die jeweiligen Entfernungen der Uni zu unseren Wohnungen abgesteckt, berechnet und mein Zuhause als am schnellsten zu erreichen auserkoren hatten, leistete ich am Vortag meinen Teil für das Gelingen unseres Konzeptes und programmierte den Videorekorder (natürlich mit einer nagelneuen Kassette versehen, denn was wäre, wenn sich ein älteres Exemplar verheddern würde?) und stellte Bier kalt und den Fernsehkanal so ein, dass bei Wiedereinschalten ein unverfänglicher Sender zu sehen wäre.

In der Uni brachten wir nervös unseren Vortrag hinter uns und sprachen immer dann lauter, wenn wir meinten, aus den Tiefen der anderen Seminarräume Geräusche wie Jubel oder Anfeuerungen zu entnehmen. Wir tanzten auf der Klinge eines sehr scharfen Messers, das war uns spätestens in diesem Moment klar. Würden wir scheitern, hätte die WM fortan einen faden Beigeschmack für uns gehabt.
Jedenfalls überstanden wir die Veranstaltung und machten uns mit zittrigen Knien und Händen auf, um rasch nach Hause zu kommen. Atze hatte seinen Wagen unmittelbar vor dem Unigebäude geparkt und wurde von uns zum Fahrer ernannt, während Marc und ich mit verbundenen Augen und Walkman (Vorvorgänger des ipod) in den Ohren auf der Rückbank saßen, um uns von verräterischen Außenreizen abzuschirmen. Diese Szenerie muss wie eine Entführung ausgesehen haben, aber uns hat Gott sei Dank niemand angehalten. So fuhren wir also mit verdeckten Augen (bis auf Atze, der musste ja fahren) und erreichten unbeschadet mein Zuhause.
Dort angekommen, stürmten wir rauf und rannten in meine Wohnung. Ich spulte schnell die Kassette zurück und holte eine Runde Bier aus dem Kühlschrank. Nun noch auf die Toilette und los konnte es gehen.

Um es vorwegzunehmen; Wir haben es letztlich geschafft. Haben das gesamte Spiel geschaut und sogar in der vermeintlichen Halbzeit die Pause und die Nachrichten durchlaufen lassen (statt das Band vorzuspulen oder anzuhalten), was zur Folge hatte, dass wir uns beim Gang aufs Klo beeilten und den jeweils anderen anschnauzten, er solle schneller machen, schließlich wollte man ja nicht den Wiederanpfiff verpassen.
Als übrigens das 1:0 durch Klose fiel (19. Minute, bei uns war es zu diesem Zeitpunkt 16:19 Uhr), sprangen wir auf, umarmten uns und stürmten durch mein Zimmer. Was ziemlich lustig war, denn dieses Zimmer lag an einem Hinterhof und so konnte ich in der gegenüberliegenden Wohnung einen Menschen sehen, der – nachdem er uns beobachtet hatte – irritiert zu seinem TV-Gerät lief, um sicherzugehen, dass er kein Spiel verpasst hatte.
Die Partie ging am Ende 1:1 aus, die "Irländer" (Zitat Rudi Völler) hatten in der Nachspielzeit durch Robbie Keane ausgeglichen. Doch das war uns zu diesem Zeitpunkt relativ egal. Erschöpft hingen wir in den Seilen und wahrscheinlich dadurch vergaß ich etwas zu fragen, was ich nie nachholen sollte:
Hatte Atze als Fahrer vielleicht doch etwas vom Resultat mitbekommen, auf unserer zehnminütigen Heimfahrt?
Aufrufe: 12311 | Kommentare: 46 | Bewertungen: 32 | Erstellt:16.06.2010
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KOMMENTARE
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ausLE
MODERATOR
17.03.2013 | 17:22 Uhr
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ausLE : 
17.03.2013 | 17:22 Uhr
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ausLE : 
Damals kannte ich Spox noch nicht. Umso erstaunlicher, daß ich diesen Blog von Dir in den Archiven des Spox-Universums gefunden hab.

Ich hätte Dir auch damals 10 Punkte gegeben, hole es heute nach

Diese geschichte kommt mir sehr bekannt vor. Denn auch ich hatte damals die gleichen Probleme und ähnliche Lösungsideen.

Ach ja, die Kommentare über Probleme streaming und Co = sagenhaft aus heutiger Sicht
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donluka
17.01.2011 | 23:12 Uhr
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donluka : 
17.01.2011 | 23:12 Uhr
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donluka : 
Locker blieve, länger lieve.
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Teacup
17.01.2011 | 17:53 Uhr
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Teacup : 
17.01.2011 | 17:53 Uhr
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Teacup : 
Ich schlussfolgere rein gar nichts daraus. Wollen wir jetzt anfangen, über Sinn und Unsinn von Kommentaren im Allgemeinen zu debattieren?
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taneu
17.01.2011 | 17:24 Uhr
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taneu : 
17.01.2011 | 17:24 Uhr
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taneu : 
Also mein Leben ist eine einzige Sitcom. Spätestens wenn ich ein paar Jungs von Effzehspox im RES treffe
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donluka
17.01.2011 | 16:56 Uhr
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donluka : 
17.01.2011 | 16:56 Uhr
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donluka : 
Komm, jetzt mal Butter bei die Fische: Was schlussfolgerst Du denn daraus?

Ich habe übrigens bis auf die erste Episode von How I met your... noch nie eine Folge gesehen, weil ich es ziemlich lähmend fand.

Wobei mir gerade einfällt: gab es nicht bei King Of Queens auch mal die Szene, dass die den Super Bowl aufzeichnen wollten? Weiß ich grad nicht. Hätte aber auch nicht so viel Einfluss gehabt, auf das von mir Erlebte, denn mein Leben richtet sich eher selten nach Sitcoms. Leider. Sonst gäbs ja immer einen Lacher, an dem ich erkennen könnte, dass ich gerade etwas blödes gemacht/gesagt habe.
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Teacup
17.01.2011 | 15:50 Uhr
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Teacup : 
17.01.2011 | 15:50 Uhr
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Teacup : 
Irgendwie bezweifle ich das.
Mir fiel bloß dieser einiegermaßen bemerkenswerte Zufall auf und ich fühlte mich bemüßigt, ihn der Welt mitzuteilen.
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donluka
17.01.2011 | 13:59 Uhr
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donluka : 
17.01.2011 | 13:59 Uhr
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donluka : 
Ach so. Ich dachte, er meinte, ich sollte die Macher von How I met your mother verklagen. Hatte schon diesbezüglich meinen Anwalt kontaktiert. Und der meinte, das hätte Aussicht auf eine Millionenklage.
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Dr_D
17.01.2011 | 12:14 Uhr
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Dr_D : 
17.01.2011 | 12:14 Uhr
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Dr_D : 
@donluka
Ist halt Schicksal, meint Teacup. Aber was genau ist eigentlich Schicksal.
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donluka
17.01.2011 | 12:10 Uhr
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donluka : 
17.01.2011 | 12:10 Uhr
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donluka : 
@Teacup: Möchtest Du mir damit etwas sagen?
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Tagon
17.01.2011 | 02:17 Uhr
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Tagon : 
17.01.2011 | 02:17 Uhr
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Tagon : 
Oh Don...ich hab's damals gesagt, ich sage es heute nochmal: MEINE Fresse, wenn ich den Blog lese, kriege ich noch immer Gänsehaut. Ich bin ja noch jung. Hab' nur die WM 1994, 1998, 2002, 2006 (leider) und 2010 mitbekommen - und 2002 war MEIN schwarz-rot-geil!

Ich war damals ganz knapp noch Schüler - und der Anblick meines Geschichtslehrers (der die Doppelstunde eiskalt hat ausfallen lassen), der ob des Ausgleichs der Iren anfing, loszufluchen wie ein Droschkenkutscher, der hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt.

Those were the days...und sie kommen nie wieder! Danke nochmal für diesen wunderschönen Ausflug in die Vergangenheit!

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