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Von: Maxi_FCB
27.07.2016 | 15001 Aufrufe | 4 Kommentare | 9 Bewertungen Ø 8.8
Liverpool vor der Saison 2016/17
Work in progress
Der Liverpool FC befindet sich in der ersten Sommerpause unter Jürgen Klopp einmal mehr im Umbruch. Ein Überblick.

Es sind dieser Tage Zeiten des Umbaus an der Anfield Road. Die Sommerpause wurde genutzt, um den Ausbau der Arena von gut 45.000 Plätzen auf 58.000 Plätze voranzutreiben. So verging in diesem Sommer kaum ein Tag, ohne dass man mit neuen Informationen über die Fortschritte der Umbauarbeiten am altehrwürdigen "Main Stand" versorgt wurde. Doch schon naht die kommende Spielzeit und spätestens, wenn am zweiten Spieltag der FC Burnley an der Mersey gastiert, müssen die Umbaumaßnahmen dieses Sommers abgeschlossen sein.
Allerdings ist das Stadion dieser Tage nicht die einzige Baustelle des LFC. Das Bild von Baggern, Kränen und Abrissbirnen, die im Anfield ihr Unwesen treiben - es steht geradezu symbolisch für den Verein, der hier seine Heimspiele austrägt. Denn so wie man hinsichtlich des Stadions von einem kompletten Neubau absah, so sahen auch Jürgen Klopp und das "transfer committee" von einem fundamentalen Reset ab und versuchen, mit gewiss gravierenden, aber noch moderaten Umbaumaßnahmen eine effektive Verbesserung der Situation zu erreichen.

Nach dem Kaltstart medias in res haben Jürgen Klopp und sein Stab nun erstmals die Möglichkeit, den Spielern über einen längeren Zeitraum hinweg befreit von engen terminlichen Zwängen die eigene Spielidee einzuimpfen. Nach 8 Monaten, geprägt von Flickenschusterei und Krisenmanagement, fällt für nicht eben wenige Beobachter erst jetzt der "echte" Startschuss in die Ära Jürgen Klopp, von der man sich an der Mersey derart viel verspricht, dass man den Vertrag mit Klopp und seinem Stab bis 2022 ausdehnte.

Was bisher geschah...

Es ist allerdings ein Neustart mit Schwierigkeiten, belasten doch nicht nur die Versäumnisse der Vorgänger Klopps, sondern auch jene der vergangenen Saison die Planungen der Reds. Um die Sorgen, aber auch die Hoffnungen dieses Sommers zu verstehen, muss man demnach einen Rückblick auf die vergangene Saison tätigen:

Nachdem das gegen Ende unsägliche Kapitel Brendan Rodgers nach einem verpatzten Saisonstart beendet wurde, startete Liverpool unter dem neuen Manager Jürgen Klopp durchaus verheißungsvoll mit 7 Siegen aus den ersten 10 Spielen. Doch Konstanz vermochte auch der so euphorisch empfangene Heilsbringer aus dem Schwäbischen nicht ad hoc in die Leistungen seines Teams zu bringen. Exemplarisch: Auf einen imposanten 6:1-Kantersieg im Ligapokal gegen Southampton folgte eine 2:0-Schlappe gegen den späteren Absteiger Newcastle, auf einen Last-Minute-Punktgewinn gegen West Brom folgte eine peinliche 3:0-Niederlage gegen Aufsteiger Watford. Stets, wenn man einen Schritt nach vorne zu machen schien, wenn man sich mühselig an die europäischen Ränge herankämpfte, folgten vermeidbare Unentschieden oder gar Niederlagen, die alle vorherigen Mühen hinfällig machten.

Auch in den Pokalwettbewerben blieben sämtliche Anstrengungen letztendlich unbelohnt. So krampfte man sich etwa über zwei Spiele gegen Stoke durch einen Sieg im Elfmeterschießen ins Finale des ungeliebten Capital One Cups, nur um dieses sowie die inbegriffene Fahrkarte in die Europa League dann durch eine deutlich kläglichere Leistung vom Punkt gegen Manchester City zu verlieren.
Ähnlich verhielt es sich mit besagter Europa League: Nachdem die EL-Kampagne der Reds äußerst schleppend anlief, entwickelte sich erst mit dem Achtelfinaltriumph über den Erzrivalen aus Manchester eine Euphorie im Umfeld des LFC, die die Reds über den epischen Last-Minute-Sieg gegen Klopps Ex-Klub aus Dortmund und ein überzeugendes Weiterkommen gegen Villarreal bis ins Finale nach Basel trug. Und so war an jenem Mittwoch im Mai im "Joggeli" alles angerichtet für einen verheißungsvollen Vorgriff auf eine vermeintlich goldene Zukunft: In der Liga ver-rotierte Klopp bewusst sämtliche Restchancen auf den Einzug ins europäische Geschäft, verletzte Spieler meldeten sich pünktlich für das Finale zurück und die Supporter der Reds nahmen Basel fest in Beschlag. Doch das so heiß ersehnte Spiel verkam zu einem Abziehbild der gesamten Saison, da das Team nach einer starken ersten Halbzeit samt 1:0- Führung in Halbzeit 2 völlig einbrach und schlussendlich mit 1:3 Seriensieger Sevilla unterlag.


Aus der Traum von einem internationalen Titel, aber als Hypothek für die kommende Saison deutlich belastender: Kein Einzug in die Champions League, ja nicht einmal in der Europa League ist der LFC 2016/17 vertreten, landete man durch die Radikalrotationen zu Saisonende doch bloß auf Rang 8. Was aber klingt, wie eine Anklage an den, den die Scousers nur ehrfurchtsvoll "Boss" nennen, entpuppt sich bei differenzierter Betrachtung als Kumulation von Pech und strategischen Fehlern, von denen nur die wenigsten auf Klopps Konto gingen. Die größtenteils fatale Kaderplanung haben vornehmlich das "transfer comittee" sowie Klopps Vorgänger zu verantworten und, dass die zwischenzeitlich horrende Verletztenmisere am Ende der Saison Spieler hinterließ, die sich weit entfernt von ihrer physischen Optimalverfassung befanden, entzieht sich ebenfalls Klopps Verantwortungsbereich. Nichtsdestotrotz muss sich Klopp vorhalten lassen, dass sein Team nach der Pause im St. Jakob-Park weniger physisch als viel mehr mental in seine Einzelteile zerfiel. Ebenso muss man Klopp ankreiden, dass Platz 6 oder 7 in der Liga ohne Weiteres möglich gewesen wäre, hätte man a) nur die Hälfte der Standard-Gegentore zugelassen und b) weniger schon gewonnene Spiele aus der Hand gegeben.


Auch in taktischer Hinsicht offenbart die Bilanz Licht und Schatten. So adaptierten Klopps Mannen einerseits überraschend schnell das von ihrem "Boss" gepredigte hohe und aggressive Anlaufen des Gegners sowie das nicht minder intensive Gegenpressing, doch andererseits blieben Spielaufbau und Ballbesitzspiel ebenso ausbaufähig wie Klopps heißgeliebtes Umschaltspiel (nur ein Kontertor).

Was hat sich bis dato getan?

Die zweifellos imposantesten Fortschritte konnte Jürgen Klopp allerdings nicht auf kollektiver, sondern auf individueller Ebene erzielen, wo er diverse Wackelkandidaten zu Spielern formte, die in der kommenden Saison gar eine tragende Rolle einnehmen könnten. So entwickelte er etwa Emre Can von einem zwar gewiss talentierten, aber doch ausgesprochen fahrigen Energiebündel zu einem deutschen Nationalspieler, Mamadou Sakho und Dejan Lovren entwickelten sich von permanenten Sicherheitsrisiken zu festen Bestandteilen der Innenverteidiger-Planung und aus einem Divock Origi, der unter Brendan Rodgers kaum einen Fuß auf den Boden bekam, wurde eine wichtige Alternative zu Daniel Sturridge, welche zu Saisonende wettbewerbsübergreifend immerhin 10 Tore und 3 Assists verzeichnen konnte.
All dies nimmt Einfluss auf die Aktivitäten des Liverpool FC in der aktuellen Sommerpause, doch der Reihe nach - was hat sich bisher getan?

Eines der größten Ärgernisse der vergangenen Saison war die bereits angesprochene Schwäche nach gegnerischen Standards. Nur vier Premier League-Teams kassierten mehr Gegentore nach ruhenden Bällen, alleine nach Ecken fielen 12 der 50 Gegentreffer. Eine wesentliche Rolle in diesem mehraktigen Drama nahm Torhüter Simon Mignolet ein, den die offizielle Premier League-Statistik zur Saison 2015/16 als den Torwart ausweist, welcher die zweitmeisten "errors leading to goals! aller Premier League-Torhüter zu verzeichnen hatte - nämlich 4. Dem sei hinzuzufügen, dass die Statistiker hier eine sehr gnädige Auslegung vornehmen, so dass diverse Gegentore, bei denen Mignolet ebenfalls nicht gut aussah, garnicht erst erfasst wurden. So verwunderte es viele im Umfeld der Reds, dass der Vertrag mit Mignolet dennoch bis 2020 ausgedehnt wurde. Die Motive dieser Verlängerung bleiben rätselhaft, denn offensichtlich sind auch Klopp und seinem Stab Mignolets eklatante Schwächen bei hohen Bällen nicht entgangen, so dass man in diesem Sommer folgerichtig mit der Verpflichtung des Mainzers Loris Karius reagierte. Der 23jährige, der in der Akademie von Manchester City bereits Erfahrungen in England sammeln konnte, könnte sich mit der kolportierten Ablöse von 6,2 Millionen Euro als veritables Schnäppchen entpuppen, war er doch einer der besten Torhüter der vergangenen Bundesligasaison und überzeugte neben herausragenden Reflexen auf der Linie mit einer sehr souveränen Strafraumbeherrschung. Zwar rief Jürgen Klopp einen offenen Kampf um den Platz zwischen den Pfosten aus, doch spricht derzeit sehr vieles dafür, dass Karius die Nase deutlich vor dem Belgier haben dürfte.
Den Platz des an Huddersfield Town ausgeliehenen Danny Ward als dritter Torhüter nimmt der österreichische Veteran Alexander Manninger ein. Adam Bogdan, welcher vor allem durch einen wahnwitzigen Auftritt beim 2:2 im FA-Cup gegen den Viertligisten Exeter City in Erinnerung bleibt, wurde an Wigan Athletic verliehen.

Große Änderungen gab es ferner im Abwehrbereich. Steven Caulker, welcher in Zeiten ärgster Personalnot als Notnagel für das Abwehrzentrum ausgeliehen wurde, spielte nie eine nennenswerte Rolle und verließ die Reds folglich nach Ablauf der Leihe. Ebenso folgerichtig war die Vertragsauflösung mit Linksverteidiger Jose Enrique im Laufe der abgelaufenen Rückrunde, nachdem dieser nach diversen Verletzungen nie mehr richtig in die Spur fand. Ferner wechselte U21-Linksverteidiger Brad Smith für knappp 7 Millionen Euro zum AFC Bournemouth. Der australische "academy player" schwang sich in der Rückrunde zum ersten Stellvertreter Morenos auf, wurde aber verzichtbar, da Liverpool einen Linksverteidiger suchte, der zu Moreno deutlich intensiver in Konkurrenz treten kann.
Weitaus mehr Diskussionsstoff lieferten dagegen die Abschiede von Kolo Toure zu Brendan Rodgers' Celtic Glasgow sowie von Martin Skrtel zu Fenerbahce. Zwar waren die Leistungen des Ivorers nicht selten schwankend, fahrig und instabil, doch erlangte der 33jährige durch seine sympathische, herzliche Art als Kultfigur eine exponierte Stellung in der Gunst der Scousers. Für viele demnach unverständlich, weshalb man ihn in Ragnar Klavan durch einen ebenfalls schon in höherem Fussballalter befindlichen No-Name-Esten ersetzte und dafür auch noch etwa 5 Millionen Euro entrichtete. Bei emotionsloserer Betrachtung vermag der Transfer aber durchaus zu überzeugen, befähigen den 30jährigen doch sein sicheres Stellungs- wie Aufbauspiel dazu, eine weitaus wertvollere Rolle als Backup zu spielen.

Nicht minder umstritten ging der Abschied des langjährigen Reds Martin Skrtel vonstatten. In seinem achten Dienstjahr verlor der 31jährige unter Klopp seinen Stammplatz, nachdem er, auch von einigen Verletzungen geplagt, plötzlich etliche Probleme im Stellungsspiel offenbarte und somit seine Qualitäten als resoluter, unbarmherziger Zweikämpfer nicht mehr adäquat auf das Feld zu bringen vermochte. Selbst Kolo Toure zog in der Hackordnung am Slowaken vorbei, so dass der Abschied unumgänglich schien. Einen faden Beigeschmack erhielt Trennung zu allem Überfluss durch eine Affäre in sozialen Netzwerken, als dort ein Freund des Slowaken verbal gegen Klopp austrat und Skrtels offizieller Instagram-Account diese Beleidigung goutierte, wenngleich Skrtel in einer offiziellen Entschuldigung die Verantwortung von sich wies.
Schlussendlich zog es den EM-Fahrer für kolportierte 6 Millionen Euro an den Bosporus. Sein Nachfolger war da schon längst gefunden, schließlich hatte sich Liverpool bereits im Winter die ablösefreien Dienste des Schalkers Joel Matip gesichert. Zwar ist auch der Kameruner im Stellungsspiel nicht über jeden Zweifel erhaben, doch agiert der 25jährige im Spielaufbau deutlich sicherer als der arg hölzerne Skrtel und könnte überdies aufgrund seiner Körpergröße ein wichtiger Faktor im Kampf gegen die eigene Schwäche bei gegnerischen Standards werden.

Änderungen nahm der LFC ebenfalls im Bereich vor der Abwehr vor. Joe Allen, der stets seine Rolle im System suchte, aber nie zu finden schien, spielte sich mit einer starken EM zurück ins Blickfeld einiger englischer Klubs, von denen letztendlich Stoke City für rund 15.5 Millionen Euro den Zuschlag erhielt. Überdies verabschiedete sich der unter Rodgers einst hoch gehandelte Jordan Rossiter, der bei Jürgen Klopp aber überhaupt keine Rolle mehr spielte, nach Ablauf seines Vertrages ablösefrei zu den Glasgow Rangers. Weitaus bessere Perspektiven sieht Klopp dagegen für den Serben Marko Grujic, der bereits im Winter für angeblich 7 Millionen Euro von Roter Stern Belgrad verpflichtet wurde, wo man ihn noch ein halbes Jahr auf Leihbasis beließ. Der 1,91m große Serbe kann im zentralen Mittelfeld alle Positionen spielen, scheint aber aufgrund seines ausgeprägten Offensivdranges, welchen er mit 13 Scorerpunkten in der serbischen Liga sowie mit zwei Treffern in den bisherigen Testspielen unter Beweis stellte, am ehesten für die Achter- bzw. für eine offensivere Sechserposition prädestiniert.


Der Bereich, in den Liverpool bisher allerdings mit Abstand am meisten investierte, stellt das offensive Mittelfeld dar. Auf der Abgangsseite schlägt hier neben den jungen Joao Teixeira (23, zu Porto) und Sergi Canos (19, zu Norwich) vor allem der Abgang von Jordon Ibe zu Buche, welcher - einst als "neuer Raheem Sterling" gefeiert - unter Klopp aufgrund seiner sehr limitierten Spielintelligenz keine große Rolle mehr spielte und dennoch durch seinen Verkauf an die "Cherries" aus Bournemouth rund 18 Millionen Euro in die Kassen spülte. Durch den Verkauf Ibes tat sich allerdings ein Mangel an gelernten Flügelspielern auf, sind die unter Klopp oft als nominelle Flügelspieler aufgebotenen Adam Lallana und Philippe Coutinho doch originär in der Zentrale beheimatet. Gut also, dass die Reds bereits vorgesorgt hatten: Mit Sadio Mané, dem bisherigen Königstransfer dieses Sommers, erweitert ein echter Flügelspieler Klopps Möglichkeiten. Der Senegalese brannte sich vor allem mit 3 Treffern in den beiden Ligaspielen gegen Liverpool, die den LFC in der Summe ganze 5 Punkte kosteten, schmerzhaft in das Gedächtnis der Reds-Fans ein. Der als schwieriger Charakter geltende 24jährige bringt mit seinen dynamischen Läufen in die Tiefe eine neue Facette ins Spiel des LFC ein und dürfte zudem durch den Schliff unter Roger Schmidt in Salzburg bereits mit den Abläufen eines aggressiven Pressing- und Gegenpressingfussballs vertraut sein.


Unter dem Aspekt der Erweiterung der taktischen Möglichkeiten ist auch die Verpflichtung von Georginio Wijnaldum zu sehen. Der niederländische Nationalspieler kommt für sämtliche Positionen im offensiven Mittelfeld sowie für eine der Halbpositionen in einem Dreiermittelfeld in Frage und eröffnet Jürgen Klopp somit vielfältigste taktische Variationen. 4-2-3-1, 4-4-2, 4-3-3, 4-1-4-1 - in jedem dieser Systeme ließe sich ein Platz für den lauffreudigen und dynamischen 25jährigen finden. Zudem erhöht der Ex-Magpie (11 Treffer in der vergangenen Premier League-Saison) die Torgefahr aus dem Mittelfeld, wo Coutinho und Lallana zusammen auf bloß 12 Treffer kamen.
Im Angriff gab es dagegen bisher lediglich minimale Änderungen: Mit den Abgängen von Jerome Sinclair (19, zu Watford) und Samed Yesil (22, vereinslos) wurden hier bisher einzig die hinteren Kaderbänke ausgedünnt.

Was könnte sich noch tun?

Trotz der vielzähligen bereits vorgenommenen Umwälzungen steht zu erwarten, dass es mit jenen noch nicht getan ist. So standen Stand 27.07. ganze 34 Spieler unter Vertrag - deutlich zu viel, vor allem, da man diese Saison nicht international vertreten ist. So ist etwa bereits offiziell, dass Mario Balotelli keine Zukunft an der Anfield Road hat. Interesse gibt es wohl vor allem aus Italien und der Türkei, doch der mittlerweile 25jährige ist aufgrund seiner Allüren alles andere als leicht zu vermitteln. Ebenfalls wohl nicht mehr benötigt werden die Dienste von Christian Benteke, der zwar alle 120 Minuten einen Scorerpunkt beisteuerte (und somit deutlich effektiver agierte, als es sein Ruf suggeriert), aber letztendlich mit seiner hölzernen, undynamischen Spielweise nicht in Klopps avisierten Tempofussball zu integrieren scheint. Einigen Premier League-Klubs wird Interesse am Belgier nachgesagt und speziell Crystal Palace soll den Reds wohl ein Angebot unterbreitet haben, welches nicht weit unter dem deutlich zu hohen Einkaufspreis lag. Des Weiteren dürfen sich mutmaßlich auch Luis Alberto und Lazar Markovic neue Arbeitgeber suchen.
Dennoch wird - anders als teilweise kolportiert - wohl kein neuer Stürmer mehr verpflichtet. Hinter dem gesetzten, aber extrem verletzungsanfälligen Daniel Sturridge verfügt man in Divock Origi, Danny Ings und Roberto Firmino, der vergangene Saison häufig als sogenannte "falsche Neun" zu überzeugen wusste, über ausreichende Alternativen. Zwar mag Ings in dieser Rechnung eine kleine Unbekannte sein, doch Laufstärke, Dynamik und die Geradlinigkeit seiner Spielanlage machen den Engländer zu einem Spieler nach Klopps Gusto.

Handlungsbedarf könnte allerdings im zentralen Mittelfeld bestehen, da hier nach Joe Allen auch Lucas Leiva auf dem Sprung zu sein scheint. Für den Brasilianer interessieren sich wohl einige türkische Klubs, wenngleich eine Muskelverletzung den Wechsel des langjährigen Reds erschweren könnte. Zwar verfügt man in Henderson, Can, Milner, Grujic und Stewart noch immer über 5 Spieler, die für den Bereich vor der Abwehr in Frage kommen, doch sind alle Genannten in ihrer Spielanlage sehr ähnlich, definieren sich vornehmlich über ihre Physis und agieren sehr vertikal von "box to box". Anratenswert wäre hier ein technisch versierter Spieler, der das zum Teil sehr wilde Spiel der Reds zu beruhigen und zu kontrollieren vermag. Diese Hektik mag in Teilen durchaus gewollt und gar forciert sein, allerdings benötigt es gegen defensiv-destruktive Gegner bisweilen auch Geduld und strategische wie technische Finesse, die dem jetzigen Personal abgeht. Nachdem hier lange Zeit Piotr Zielinski und gelegentlich auch Ruben Neves gehandelt wurden, sind die Spekulationen zuletzt abgeebbt, so dass ein Zugang auf dieser Position derzeit eher unwahrscheinlich erscheint.
Gesucht wird ferner eine Alternative zu dem defensiv fehleranfälligen und offensiv ineffizienten Alberto Moreno auf der Linksverteidigerposition. Nach dem Abgang von Brad Smith steht hier lediglich der noch verletzte Joe Gomez zur Verfügung. Zwar sorgte der 19jährige zu Beginn der letzten Saison hinten links für Furore, doch der Rechtsfuß scheint als gelernter Innenverteidiger eher für andere Positionen prädestiniert. Gehandelt wird hier neben Jordan Amavi, Ben Chilwell, Aaron Cresswell und Jetro Willems vor allem der deutsche EM-Fahrer Jonas Hector, der defensiv deutlich ausbalancierter als Moreno agiert.

Kein Thema ist dagegen trotz der zu erwartenden Abgänge von Jon Flanagan und Andre Wisdom die Verpflichtung eines Rechtsverteidigers, da man sich hier hinter Nathaniel Clyne nachvollziehbarerweise mit Connor Randall und gegebenenfalls Joe Gomez oder gar James Milner ausreichend besetzt sieht.
Ebenso unrealistisch erscheint indes die Verpflichtung eines weiteren Innenverteidigers, da man in Sakho, Lovren, Matip und Klavan über vier gestandene Optionen für zwei Positionen verfügt. Zudem steht in Tiago Ilori noch eine junge Aushilfslösung zur Verfügung, bei welcher aber nach wie vor ein zumindest temporärer Abgang im Raum steht. Allerdings ist diese Konstellation durchaus nicht risikolos, schließlich sind die vier gestandenen Spieler durchaus fehleranfällig und verkörpern nicht allerhöchstes Niveau. Ein talentierter und aufbaustarker Innenverteidiger würde hier wohl nicht schaden und könnte Klopp überdies die Möglichkeit eröffnen, punktuell mit einer Dreier- bzw. Fünferkette zu agieren.

Taktische Möglichkeiten

Nichtsdestotrotz würde Klopps Stammsystem auch dann mit großer Wahrscheinlichkeit die bisher kultivierte Mischung aus 4-2-3-1 und 4-2-2-2 bleiben. Vor dem Tor, welches mit großer Wahrscheinlichkeit Loris Karius hüten wird, werden sich nach derzeitigem Stand wohl erst einmal Moreno, Lovren, Matip und Clyne formieren. Sakho könnte nach seiner Rückkehr einen der beiden Innenverteidiger verdrängen, wobei nach seinem vorzeitigen Abschied von der USA-Tour einige Fragezeichen hinter seiner Person stehen. Auf der Doppelsechs sollten vorerst Kapitän Jordan Henderson und Emre Can gesetzt sein, wenngleich auch Vizekapitän James Milner eine Option ist. Wirklich diffizil wird für Klopp die Besetzung des offensiven Mittelfeldes: Die wohl gesichertsten Aussichten auf einen Stammplatz besitzt hierbei Philippe Coutinho, der als begabtester Fussballer des Kaders jederzeit mit einem Geniestreich ein Tor herbeiführen kann. Allerdings wird der liebevoll "little magician" getaufte Brasilianer wohl vorerst weiterhin mit der Position auf der linken Seite Vorlieb nehmen müssen, da Roberto Firmino die Rolle des Hybridspielers aus Zehner und hängender Spitze im Zentrum auf den Leib geschneidert ist. Für die rechte Seite deutet derzeit vieles auf Sadio Mané hin, da die Besetzung des offensiven Mittelfeldes mit drei originären Zehnern in der vergangenen Saison Defizite an Dynamik in die Tiefe offenbarte. Mané kann hier mit seinen schnellen Läufen hinter die Abwehr, sowie seinen Fähigkeiten im Eins-gegen-Eins eine neue Facette ins Offensivspiel der Reds einbringen, die zuletzt häufig fehlte. Im Sturm führt im Normalfall kein Weg an Daniel Sturridge vorbei, doch Klopp weiß, dass man den verletzungsanfälligen EM-Fahrer nur dosiert einsetzen kann, so dass auch Divock Origi viele Einsätze bekommen wird.

Darüber hinaus eröffnet der runderneuerte Kader Klopp diverse weitere taktische Variationen und gegnerspezifische Anpassungen. Gegen offensivstarke Gegner, die ihr Offensivspiel bevorzugt über eine spezielle Seite inszenieren, bestünde etwa die Möglichkeit, den lauf- und zweikampfstarken James Milner auf dieser Seite agieren zu lassen, um die Defensive zu stärken. Gegen sehr destruktive Gegner könnte Klopp dagegen z.B. Firmino durch den technisch beschlageneren Wijnaldum ersetzen.
Doch nicht nur personelle Rochaden erweitern Klopps Portfolio, auch die Grundformationen kann der 49jährige nun deutlich freier variieren. So ergibt sich beispielsweise aus dem Umstand, dass weder Sturridge, noch Origi oder Ings konventionelle Stoßstürmer sind, die Möglichkeit, gegebenenfalls auf ein System mit zwei sehr beweglichen "echten" Spitzen zu zurückzugreifen. Auch für ein 4-3-3/4-1-4-1 verfügt Klopp nun über das notwendige Personal. Vor die Abwehr könnte Klopp Henderson oder vor allem Can postieren, für die Halbpositionen bieten sich Wijnaldum, Lallana und Milner an. Für den Stuttgarter besteht gar die Möglichkeit, auf ein System mit Roberto Firmino als sogenannter "falscher Neun" zurückzugreifen. Immerhin achtmal agierte Firmino in der Liga vergangene Saison in dieser Rolle und kam dabei auf beachtliche 6 Treffer und 5 Vorlagen.


Ein sehr interessanter Aspekt ist die Frage, inwieweit Klopp auf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs bauen wird. Interessantes Rohmaterial steht ihm auf jeden Fall auch nach der Ausleihe von Flügelspieler Ryan Kent noch zur Verfügung. So konnten etwa U21-Kapitän Cameron Brannagan, welcher ebenfalls vor einer Leihe steht, und Englands U19-Nationalspieler Sheyi Ojo bereits in einigen Pflichtspielen der vergangenen Saison Kostproben ihrer Fähigkeiten geben. Vor allem Flügelspieler Ojo vermochte dabei mit seinen hervorragenden Fähigkeiten im Eins-gegen-Eins Eindruck zu hinterlassen. Eindruck hinterließen in den bisherigen Testspielen auch Verteidiger Trent Alexander-Arnold, Mittelfeldspieler Ovie Ejaria und vor allem der 16jährige Stürmer Ben Woodburn, welcher mit zwei Treffern in den Testspielen aufhorchen ließ. Durchaus möglich, dass der ein oder andere der Genannten sich über Einsätze in den Pokalwettbewerben für höhere Aufgaben empfehlen kann. Umso wichtiger also für diese Talente, dass auf den hinteren Kaderbänken Platz für sie geschaffen wird. Klopp gab allerdings Folgendes zu bedenken: "Meine größte Stärke ist meine Geduld. Und deswegen werde ich so lange warten, bis diese Jungs wirklich bereit sind."

Ausblick

Geduld - das ist für viele im Umfeld des Liverpool FC allerdings ein Fremdwort. Man zählt sich nun einmal naturgemäß zu den Anwärtern auf sämtliche Titel, wenngleich die Voraussetzungen dafür schon länger nicht mehr gegeben sind. Jürgen Klopp startete nicht zuletzt aufgrund des kollektiven Befreiungsgefühls nach dem Ende der Ära Rodgers mit einem für Liverpool-Verhältnisse ausgesprochen großen Kredit, so dass man ihm aufgrund dessen sowie aller mildernden Umstände die verpasste Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb und die beiden verlorenen Finalspiele nachsah. Doch es ist fraglich, wie lange diese Geduld währt.
Diese etwas verzerrte Selbstwahrnehmung äußerte sich auch in der vielerorts bekundeten Enttäuschung, dass man keine wirklich "großen" Namen an die Anfield Road lotsen konnte. Dabei verkennt man aber einerseits, dass der letzte wirkliche internationale Star, der an die Anfield Road wechselte, ein gewisser Fernando Torres im Jahre 2007 war, und andererseits, dass das bloße Prestige des Mythos Liverpool FC heutzutage nicht (mehr) dieselbe Anziehungskraft auf Spieler entfaltet, wie die internationale Bühne und vor allem satte Gehälter. So zog etwa ein Mario Götze nachvollziehbarerweise den international vertretenen BVB dem LFC vor. Die Gerüchte um Gonzalo Higuain, die entstanden, nachdem Jürgen Klopp auf der Tribüne eines Copa America-Spiels neben Higuains Bruder und Berater gesichtet wurde, waren nicht minder utopisch.

Doch ganz von der Hand zu weisen ist die Skepsis einiger Beobachter nicht, denn sowohl in der Innenverteidigung, als auch im zentralen Mittelfeld ist man solide und überdurchschnittlich, aber womöglich nicht titelreif besetzt. Hier wären hochkarätige Verstärkungen durchaus angezeigt gewesen.
Unter dem Strich steht derzeit aber dennoch ein deutlich gestärkter Liverpool-Kader. Zwar verfügt man in der Summe vermutlich über (z.T. deutlich) weniger individuelle Klasse als City, Arsenal, United, Chelsea und wohl auch Tottenham, doch zu unterschätzen ist das Tandem Liverpool-Klopp nicht. Die Stärke des Kaders liegt in seiner Homogenität, denn das Qualitätsgefälle innerhalb der erweiterten Stammelf ist im Gegensatz zu so manchem höher eingeschätzten Team sehr gering, was Klopp große Freiheit für taktische Variationen und personelle Rochaden durch den geringen Qualitätsverlust verschafft. Zudem ist die Absenz in Europa durchaus auch als Vorteil zu betrachten: Denn, während die international vertretenen Teams insgesamt 50-60 Spiele absolvieren werden müssen und quasi jede Woche eine englische für sie ist, wird Liverpool am Ende der Saison ohne etwaige Wiederholungsspiele auf maximal 49 Spiele kommen und hat während der Wochen, in denen die internationalen Starter durch Europa reisen, eine komplette Woche zur Vorbereitung auf den kommenden Gegner zur Verfügung.

Dennoch wird man ganz nüchtern konstatieren müssen, dass man schon mit dem Erreichen der Europa League eine vernünftige Saison gespielt hätte, wenngleich das an der Mersey wohl kaum jemand so wahrnehmen würde. Der Einzug in die Champions League wäre ein großer Erfolg, der Titel erscheint dagegen im Hinblick auf die deutlich verstärkte Konkurrenz, mit z.T. taktisch deutlich versierteren Trainern als im Vorjahr, äußerst unrealistisch. Eher zu verwirklichen ist ein Titel in den nationalen Pokalwettbewerben, welcher definitiv ein positives Ausrufezeichen unter die Saison des Liverpool FC setzen würde.

KOMMENTARE
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Talentfrei
MODERATOR
29.07.2016 | 13:01 Uhr
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Talentfrei : 
29.07.2016 | 13:01 Uhr
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Talentfrei : 
Sehr gutes Ding. Ich bin zwar jetzt nicht so Liverpoolaffin, aber ich denke, dass alles sehr schlüssig vorgetragen wurde und ich die Dinge bekanntermaßen ähnlich sehe. Hier und da gibt es noch Problemchen, die gewiss nicht alle in dieser TP aus der Welt geschaffen werden können, aber das langfristige Vertrauen in Klopp + Team zeigt ja, dass eine Vertrauensbasis da ist.
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DavidSilva21x3
29.07.2016 | 11:26 Uhr
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29.07.2016 | 11:26 Uhr
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rundes Ding, aber ich glaub etwas zu lang für den durchschnittsspox user, wie wohl auch die anzahl der kommentare/Bewertungen zeigt
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RoyalBlue
28.07.2016 | 09:57 Uhr
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RoyalBlue : 
28.07.2016 | 09:57 Uhr
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RoyalBlue : 
Sehr schöner Blog. Obwohl ich Pool eigentlich viel und gerne verfolge, auch schon vor Klopp, habe ich diesen Sommer echt wenig mitbekommen, da war diese ausführliche Zusammenfassung hier sehr nützlich, da auch sprachlich wirklich angenehm.

Deine Einschätzungen zum Kader kann ich auch alle unterschreiben. Die große Stärke ist mMn die extreme Leistungsdichte, besonders im zentralen defensiven Bereich. Ein bisschen Qualität auf den Flügeln fehlt vielleicht noch, auch wenn Mane da schon ein sehr guter Anfang war. Insgesamt halte ich eine sehr gute Saison sowie die CL-Qualifikation aber für durchaus realistisch, da man diese Saison nicht international spielt und so in der Liga mit kleinerer Rotation auf konstant hohem Niveau spielen kann.
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DunkingDonut
27.07.2016 | 19:12 Uhr
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27.07.2016 | 19:12 Uhr
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Schöne Zusammenfassung, wenn auch vielleicht für den ein oder anderen etwas zu umfangreich - mich persönlich hat das aber nicht gestört.

Die Neuzugänge ergeben alle Sinn und die ganz großen Namen wechseln ohne internationalen Fußball eben nicht nach Liverpool. Man ist aber wohl in der Lage, jedes Team in der PL zu ärgern und um die internationalen Plätze mitzuspielen. Für wie viel es dann genau reicht, wird sich zeigen.
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