Wer einen gewissen Sinn für Grazie besitzt, dachte eigentlich, dass die Formel 1 mit den "Stufennasen" des Jahrgangs 2012 ihre optische Talsohle erreicht hat. Tja, so kann man sich täuschen...
Motorsport hat sich immer über die Faszination definiert, über Grenzbereiche, die es auszuloten gilt, über Mensch und Maschine, die diese Herausforderung meistern. Für alle, die nie in einem Rennwagen gesessen sind, ist die Raserei ein Ausschnitt aus einer fernen Galaxie, es übersteigt schlichtweg das Vorstellungsvermögen, wie junge Männer sich in enge Kanzeln pressen und mit mehr als 300 Stundenkilometern ihrer Passion frönen.
Es sind Ingredienzen aus Power, Dynamik, Wucht, aber auch Form und Ästhetik. Es ist gerade die geschliffene Fassade, welche der Faszination ihr Erscheinungsbild verleiht, ihren Inhalt und ihre Substanz. Das Oberflächliche also, was der Fan am Fernseher und an der Strecke wahrnimmt, weil nunmal verborgen bleibt, was unter dem Tarnkleid steckt. Hochgezüchtete Geschosse, gelenkt von einer Minderheit waghalsiger Piloten, diese Kombination hat die Formel 1 zu etwas sehr Spezifischem werden lassen, das Millionen bewegt. Menschen wie Moneten.
Um die horrenden Ausgaben zu rechtfertigen, zählen nackte Resultate. Da steht der Generation 2014 ihre Zerreißprobe noch bevor. Bisher dominiert der Aufschrei wegen einer, nun ja, denkwürdigen Optik der enthüllten Boliden. Zwar werden die Stimmen über scheußliche Ausprägungen verebben, sobald der Wettkampf auf Touren gekommen ist. Nur muss die Formel 1 endlich erkennen, dass sie in einem gefährlichen Abwärtsstrudel kreiselt. Zunehmend wenden sich Fans von der Serie ab, die permanenten Nebenkriegsschauplätze haben sie mürbe gemacht. Es geht um Geld, Macht und Einfluss, persönliche Eitelkeiten und natürlich die große Show.
Grubenschaufler
Das sind keine neuen Erkenntnisse einer kommerziellen Szene, die sich Sport nennt, doch die Formel 1 entpuppte sich zuletzt als Pionier missratener Entwicklungen. Politische Kleinkriege, die jahrelange Kostenkrise, besonders aber ein ständig wechselndes, undurchsichtiges Reglement haben den Abschwung eingeleitet und begleiten ihn nach wie vor. Der Glanz verschwindet, der Lack wird matt. Zu allem Überfluss muss sich Bernie Ecclestone, umstrittener Herrscher des Big Business, vor Gericht verantworten - keine sonderlich positive Kunde für die Außendarstellung. Ecclestones jüngste Aussagen, die Formel 1 sei eine "totale Farce", passt da irgendwie ins Bild: Der Chef kritisiert sein eigenes Unternehmen, welch glorioser PR-Coup. Einen Großteil der Grube, in der irgendwann einmal das Grab versenkt wird, schaufelt sich die Serie seit Jahren selbst.
Wir tänzeln hier nicht über den Laufsteg, das ist klar. Trotz des ausufernden Show-Gehabes gewinnt immer noch derjenige, der das Ziel am Schnellsten erreicht (was fast bejubelt werden muss). Auch die kontinuierlich verbesserten Sicherheitsvorkehrungen müssen den Verantwortlichen angerechnet werden, zu schockierend waren Ereignisse früherer Tage, die nicht so lange zurückliegen, als dass sie verdrängt werden könnten. Vergessen gleich gar nicht.
Dennoch darf man zweifeln, ob es Asphaltwüsten in echten Wüsten braucht. Ob der Kalender überhaupt 20 Rennen umfassen sollte, von denen einige an Orten stattfinden, die bestenfalls potente Scheichs befrieden. Man sollte aufmerken, wenn Geldkrösus Red Bull jahrelang eine Kostendeckelung blockiert und dann über das Finanzvolumen klagt, das die technische Umrüstung verschlingt. Und ob die neuen Batterien wirklich so grün sind. Man muss hinterfragen, ob diverse künstliche Elemente der ganzen Veranstaltung nicht mehr schaden denn nützen. Hinter den doppelten Punkten etwa, die es (mindestens) für das letzte Rennen geben wird, steckt nichts weiter als ein gesteuerter Eingriff, die Weltmeisterschaft offen zu halten. Im Grunde ein Armutszeugnis, dass die Oberen den erdachten "Spannungsbogen" nicht einmal bestreiten.
Roter Rüssel, blaue Elise...
2014 wird eine einschneidende Saison. Alles ist neu, alles ist anders. Das Reglement diktiert den Takt und die Funktion. Dabei verpassten die Regelhüter, eingebüßtes Terrain zurückzuerobern, weil sie ihre Überlegungen nicht zu Ende gedacht haben. Leidtragender ist erneut der Betrachter, und Gewöhnung ein dünner Strohhalm. Die mit Argusaugen verfolgten Präsentationen der Rennställe steigerten das schallende Echo, langsam, aber nachdrücklich. Überraschte Force India noch mit einem schicken Anstrich, der von vorauseilenden "Nasenbär"-Befürchtungen ablenkte, so war die Williams-Animation ein Vorbote des ästhetischen Grauens. Bei McLaren wurden Analogien zum männlichen Geschlechtsteils gezogen, übertünchte die Ausstülpung der Nasenspitze doch einen gelungenen Entwurf in mondänem Silber. Lotus trennte die Nase in zwei Zapfen, die wahlweise als "Stoßzähne", "Kamelzehen" oder "Walross" tituliert wurden und nicht einmal dieselben Maße aufweisen. Ein origineller Versuch, die Zwänge des Reglements zu umkurven, aber leider ein selten hässlicher. Ferraris roter Rüssel erweiterte die illustre Reihe um die Variante "Staubsauger". Das Auto wirkt sogar in der Queransicht wie die blaue Elise aus Paulchen Panther...
Immerhin mühten sich Mercedes und mit Abstrichen Red Bull, die Etikette einigermaßen zu wahren. Der Rest vom Fest aber rundete die peinliche Reihe unisono ab. Die nettesten Attribute für Toro Rosso, Sauber und auch Force India waren noch Ausflüchte ins Tierreich. Den Vogel - wo wir schon beim Thema sind - schoss Caterhams wuchtiger Kegel ab. Man würde dem Hinterbänkler ja wünschen, mit einer unkonventionellen Idee ins Schwarze getroffen zu haben, es fehlt allein der Glaube, wie eine derartig klobige Ausfuhr aerodynamisch effizient sein soll. So entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Cyril Abiteboul, seines Zeichens Caterham-Teamchef, philosophiert: "Die Autos erinnern mich ein wenig an Alien-Filme. Kinder sollten eigentlich zu träumen beginnen, wenn sie ein Formel-1-Auto sehen - ich weiß aber nicht, welchen Traum oder Albtraum man hat, wenn man sich diese Autos anschaut..."
Die Attraktivität der Reize
Erfreulich ist, dass die Gestaltungen wieder signifikant voneinander abweichen. Daran mangelte es in den Vorjahren. Wären alle Wagen einheitlich lackiert gewesen, hätte man die Teams nicht problemlos unterscheiden können. In dieser Hinsicht hat die Regel-Revolte die Kreativität der Designer befeuert, wovon auch die Fans profitieren - es ist interessanter, auf Details und Feinjustierungen zu achten als in der Einheitsbrühe zu vegetieren. Die Crux an der Story aber ist der Brückenschlag zur normalen Welt: Optische Reize sorgen für Attraktivität, zumindest beim Erstkontakt. Legt man diese unsichtbare Anziehungskraft zugrunde, dürfte die Formel 1 heuer nicht viele Bewunderer hinzugewinnen.
Die Faszination, von der eingangs die Rede war, diese Faszination Motorsport wird von den lächerlich anmutenden Frontpartien konterkariert. Die Fassade spielt eben doch eine Rolle, gleichwohl sie auf der Piste keine Extrazehntel bringt. Rennwagen sollten elegant sein, vielleicht gar einschüchternd, in jedem Fall stylish. Die 2014er Boliden aber vermitteln nichts Bahnbrechendes, nichts Progressives, nichts Wahnwitziges. Der einzige Witz sind sie selbst, und das ist keine gute Nachricht.
Es gibt eine alte Weisheit: Schön ist, was schnell ist. Die Erfahrung zeigt, dass diese Spielerei genauso umgekehrt funktioniert, denn schön war meistens auch schnell. So gesehen wird es spannend zu beobachten, wer das Schneckenrennen um Siege für sich entscheidet. "Schön" zu beobachten wird es indes nicht.
Bildquelle: spox.com
Stimmt zwar, aber es kommt da auch noch auf die Art an - ein komplettes Rennen mit Vollgas würde doppel so viele Reifen brauchen...
Ich finde den Kommentar super - er spiegelt genau meine Gedanken und Gefühle wider. Auch die Kritik am Schreibstil kann ich nicht nachvollziehen, ich finde es so richtig gut! (es hat wohl ohnehin jeder seinen eigenen Schreibstil, den man nicht so leicht ändern kann...)
Danke für deinen Kommentar. Genau das wollte ich damit ausdrücken. "Die Kurve kriegen", nie steckte so viel Wahrheit drin wie heute...
Also weiter machen! Wünsch' dir 'nen schönen Sonntag