Blickt man derzeit auf die Tabelle der Ligue 1, so steht auf dem ersten Tabellenplatz kein Paris Saint-Germain und auch kein AS Monaco. Die französische Liga wird von Olympique Marseille angeführt. Eine Sensation? Mitnichten. Allerdings kann man die Situation als überraschend bezeichnen, insbesondere nach der vergangenen Saison, die Marseille auf Platz 6 beendete. Der 6. Platz hatte zur Folge, dass man sich nicht einmal für die Europa League qualifizieren konnte, dabei war OM in den Jahren zuvor dauerhaft vertreten. Ein elementarer Grundstein für die positive Veränderung in Marseille wurde im Sommer gelegt. OM schlug nicht außergewöhnlich auf dem Transfermarkt zu, stellte aber mit Marcelo Bielsa einen neuen Trainer ein, dessen Einfluss sich unmittelbar bemerkbar machte.
"Der Verrückte" - Marcelo Bielsa
Der Trainer
Marcelo Bielsa (Spitzname: "El Loco - der Verrückte") wurde am 21. Juli 1955 in Rosario (Argentinien) geboren und spielte in seiner Karriere für die Newell's Old Boys, Instituto und Argentino de Rosario. In seiner langen Trainerkarriere kann Bielsa zwar nur auf wenige Titel zurückblicken, allerdings fiel er mit seiner unverwechselbaren Art meistens positiv auf und hinterließ einen bleibenden Eindruck. Neben der argentinischen und chilenischen Nationalmannschaft trainierte er unter anderem Velez Sarsfield, Espanyol Barcelona und Athletic Bilbao. Bielsa hat gute Ideen, hinterfragt viel, hat sich in seiner Laufbahn immer weiterentwickelt und lässt einen guten Fußball spielen. Zudem unterhielt er mit seiner interessanten Art, seine Macken und Anekdoten sind sehr unterhaltsam und Bielsa sorgt immer für ein gewisses Entertainment.
Dabei bleibt er realistisch, er lässt seine Mannschaft keinen Fußball spielen, der nicht passt, optimiert Abläufe im Team und kitzelt aus Einzelspielern gute Leistungen heraus. Seine Mannschaften projizieren den grundsätzlichen Spaß am Fußball auf den Platz, er erreichte vor wenigen Jahren das Finale der Europa League mit Athletic Bilbao und scheiterte nur an einem mächtigen Atletico Madrid mit Spielern wie Falcao. Seit diesem Sommer ist Bielsa nun in Marseille untergekommen, er scheint ein bisschen ruhiger geworden zu sein.
Bielsa passt mit seiner leidenschaftlichen Art sehr gut zu OM, einem außergewöhnlichen französischen Verein. Marseille kann unter seiner Leitung offensichtlich dem Scheichklub aus Paris standhalten, womöglich sogar über die ganze Saison.
Eine nicht mehr als durchschnittliche Elf wurde mit genauem Passspiel, prägnanterer Taktik und einem klaren Plan gestärkt und das ohne entsprechende finanzielle Mittel. Interessant ist auch der Aspekt, dass Bielsa nie mehr als 2 Jahre Trainer einer Vereinsmannschaft war. Tempo, Konzentration und die anstrengende Spielweise können offenbar nicht länger aufrecht erhalten werden.
Die Entwicklung
(Verließ Marseille vor dieser Saison - Mathieu Valbuena)
In den Jahren vor der enttäuschenden letzten Saison war Marseille fast immer in der Königsklasse vertreten, gehörte aber nie richtig zu den Topklubs. Das hing unter anderem damit zusammen, dass man viele Spieler verkaufen musste. 2009/10 verließen beispielsweise Djibril Cissé, Karim Ziani oder Lorik Cana die Mannschaft, damals Stammspieler und wichtige Bestandteile der Meisterschaft. Marseille wusste aber, dass die Ligue 1 nicht viele Argumente hat, um Topspieler im Land zu halten.
Dementprechend wurde Marseille immer wieder relativ klug und zukunftsorientiert auf dem Transfermarkt tätig, man entdecke junge Talente und verpflichtete beispielsweise mit den Ayew-Brüdern sehr große Talente mit enormem Potenzial. 2010 beispielsweise kam der damals 23-jährige Stephane Mbia für 12 Millionen aus Rennes, gleichzeitig verpflichtet man aber auch einen 28-jährigen Lucho Gonzalez für knapp 20 Millionen aus Porto, er sollte die Mannschaft direkt verstärken. Unter dem damaligen Trainer Didier Deschamps, der 3 ordentliche Jahre in Marseille hatte, baute man die Mannschaft immer wieder um und traf dabei gute Entscheidungen.
2010/11 verlor man unter anderem Mamadou Niang und Hatem Ben Arfa, 2011/12 wechselten unter anderem Gabriel Heinze, Taye Taiwo und Lucho Gonzalez, 2012/13 gingen mit Alou Diarra, Stephane Mbia, Cesar Azpilicueta und Loic Remy gleich 4 wichtige Spieler in die Premier League, im darauffolgenden Sommer verlor man erstmals keine Stammkraft. Vor dieser Saison ging zwar Mathieu Valbuena, die Abgänge von Lucas Mendes und Jordan Ayew beispielsweise waren zu verkraften, zudem wurden neue junge Spieler verpflichtet, in den letzten Jahren stießen u.a. Michi Batshuayi, Florian Thauvin, Benjamin Mendy und Gianelli Imbula zur Mannschaft, die zusätzlich zu entwicklungsfähigen Spielern wie André Ayew, einem Gignac oder Payet eine homogene Mannschaft bilden.
Vor dieser Saison traf man nun ebenfalls gut durchdachte und kluge Entscheidungen, beispielsweise verzichtete man auf große Transfers. Einerseits fehlt natürlich Geld aufgrund der Nichtteilnahme am europäischen Wettbewerb, andererseits wollte Bielsa mit dem vorhandenen Material arbeiten, die Spieler besser machen und mit seinen Vorstellungen von Fußball infizieren. Die sportliche Leitung von OM ließ Bielsa in Ruhe arbeiten, dieser forderte sofort viel von der Mannschaft und wurde belohnt.
Die Art und Weise
Marcelo Bielsa hat nicht erst einmal unter Beweis gestellt, dass er ein herausragender Trainer mit einem klaren Plan, einer durchdachten Konzeption und einem attraktiven Spielstil ist. Auch in Marseille trug seine Arbeit sehr schnell Früchte. Das Team stand nach einer mäßigen Saison unter Zugzwang und der radikale Spielstil, der sehr schnell umgesetzt werden sollte, scheint bisher genau der richtige Weg zu sein.
Bielsa lässt in Marseille gerne einmal eine Dreierkette spielen, kann die Mannschaft aber auch mit einer Vierer-Abwehr spielen lassen, Flexibilität in Sachen Systematik gekoppelt mit einem klaren Plan ist der Schlüssel zum Erfolg. In der Defensive wird gut gearbeitet, Nkoulou ist dabei mit seiner Zweikampfstärke und individueller Klasse ein elementarer Bestandteil in der Defensivkonzeption des Argentiniers. Nkoulou, der bei einigen Topklus auf der Liste steht, ist die Konstante in der Defensive der Südfranzosen und kommt mit unterschiedlichsten Partnern im Zentrum zurecht.
Auffällig ist, dass das Spiel oftmals sehr linkslastig ist, was vor allem an Benjamin Mendy liegt. Der 20-jährige Linksverteidiger verfügt über ein großes Potenzial, steigert sich in den letzten Monaten permanent und hat offensive Fähigkeiten, die für Bielsa unverzichtbar sind. Mendy kann sowohl links vor der Dreierkette als auch den klassischen Linksverteidiger spielen und harmoniert gut mit den technisch sehr starken Florian Thauvin oder André Ayew, die oftmals über den linken Flügel kommen.
Das defensive Mittelfeld sorgt für Stabilität und klare Aktionen. Imbula, Lemina oder Romao sind keine herausragenden Fußballer, spielen aber im taktischen Konstrukt von OM eine wichtige Rolle. Sie können nicht nur Zweikämpfe gewinnen, sondern schwierige Situationen relativ einfach lösen, auch das Pressing und Verschieben ist hervorragend und führt im Verbund zu vielen Balleroberungen. Die gesamte Defensive ist gut aufeinander abgestimmt, mit 13 Gegentoren in 15 Spielen hat man immerhin die viertbeste Abwehr in Frankreich und man findet von Woche zu Woche besser zueinander.
Elementar ist aber das Pressing und das hohe Tempo im aggressiven Spiel. Marcelo Bielsa hat den technisch starken und vor allem schnellen Offensivspielern wie Thauvin, Payet, Ayew oder Alessandrini ein sehr intensives Pressing eingeimpft, das viele Gegner in der Ligue 1 überfordert. Eine gute Fitness ist dafür ebenso wichtig wie die Tatsache, dass die gesamte Mannschaft sehr fokussiert agiert und Ballgewinne provoziert, da man sich die Fähigkeit angeeignet hat, das Spiel zu lesen und diverse Szenen zu antizpieren. Ein weiterer Schlüssel im Spiel von Bielsa ist Stürmer Gignac. Der 28-jährige hat bisher 11 Tore in der Ligue 1 geschossen und spielt sein bestes Jahr für OM.
Seine technischen Fähigkeiten werden oftmals unterschätzt, aber besonders im Bielsa-System kommt seine Wucht und sein Instinkt gut zur Geltung.
Gignac ist mit seiner Qualität wichtig, aber es kommt bei Bielsa nicht auf die Einzelspieler an, das Konstrukt überzeugt und ist dank fehlender internationaler Belastung oftmals ausgeruht, kann sich lange auf den jeweiligen Gegner vorbereiten, an Stellschrauben drehen und Abläufe verfeinern. Unter diesem Trainer scheint mit dieser Mannschaft sehr viel möglich zu sein, wenn alle bis zum Ende diesen Weg mitgehen und man sich weiter in dieser Art und Weise entwickelt.
Mit dem Pressing überrascht und überfordert man wie bereits erwähnt viele Teams in der Ligue 1, die technisch nicht die Mittel haben, um sich aus entsprechender Umklammerung zu lösen. Diese Probleme werden gnadenlos ausgenutzt und sind ein gefundenes Fressen für die neuen Pressingmonster aus Marseille, die über genügend Tempo für ein atemberaubendes Umschaltspiel verfügen.
(Toptorjäger der Ligue 1 - Gignac)
Die Saison in der Ligue 1 wird noch lang und hart, aber Marseille hat beste Chancen in der kommenden Saison in die Königsklasse zurückzukehren und dort für Furore zu sorgen. Bielsa scheint der richtige Mann am richtigen Ort zu sein und er kann dieser Mannschaft eine Identität verpassen, die den Fußball in Marseille noch länger prägen und bestimmen wird. Junge Spieler lernen und der Einzug in die Champions League würde zusätzlich noch finanzielle Mittel bringen, die man in die Verstärkung der Mannschaft investieren kann. Marseille ist zurück!
(Am vergangenen Wochenende gewann Marseille übrigens locker mit 2:0 gegen den FC Nantes)
Teil 1 der Reihe: https://www.spox.com/myspox/group-blogdetail/Von-Wenger-und-seinen-neuen-Problemen,214001.html
Ich kann mich aber noch an die CL letztens erinnern, als das Stadion von OM Baustelle war. Es müßte ja jetzt ein "kleines" Schmuckkästchen sein.
Ich frage mich nur, was der Spo(x)rtskamerad über mir, mit dem Blog zu tun hat.
Yep, und auch ich freue mich auf die nächste Ausgabe.
Mit welch scharfsinnig-prüfendem Blick du die Entwicklung in Frankreichs Süden aufgreifst und bis ins kleinste Detail beleuchtest, ringt mir allen nötigen Respekt ab!
Deine elaborierte Ausdrucksweise und der wohldosierte Witz runden dein Werk ab und verhelfen ihm den Sprung in meine bescheidene Sammlung an Fundstücken, deren Vergessen ich in meiner Bookmark-Liste zu verhindern gedenke!
Chapeau mein Freund!
Ja wäre echt cool, wenn OM nächste Saison wieder international spielt.
Zumal das Stadion endlich fertig ist und mit den leidenschaftlichen Fans einen mehr als würdigen Rahmen für große europäische Nächte liefert.
P.s. ich freu mich schon auf den nächsten in der Reihe
Is nicht zu dick aufgetragen wenn ich sage: (Auch) deshalb mag ich SPOX !
OM ist es zu gönnen, allein der Name macht in Europa immer noch was her. Ich empfand es auch als eine Art Ehre für Gladbach, vor 2 Jahren im ersten EL Jahr gegen diese Truppe gespielt haben zu dürfen.
Marseille spielt wirklich einen starken Ball und ich hoffe das se sich wieder dauerhaft in Europa etablieren können.
Zu N'Koulou und Gignac= Hab ein Auge darauf Wenger Gerade Gignac dessen Vertrag ausläuft
Bielsa ist schon ein Phänomen. Erst hieß es, er würde mit seinen Spielern überhaupt nicht kommunizieren, da denkt man als Deutscher irgendwie unweigerlich an Felix Magath. Aber dann sind seine Teams immer bockstark. Er vermag es einfach, aus begrenztem Spielermaterial das Optimum herauszuholen. Wie dereinst in Bilbao, als er aus Llorente, Muniain, Herrera, Susaeta und Martinez eine richtig starke Truppe formte.
By the way: Wäre cool, wenn das jetzt eine Art Serie wird Wenn ja, hätte ich im RSC Anderlecht mal einen Themenvorschlag. Deren Jugendabteilung leistet ja hervorragende Arbeit.
Bekommst nen Zehner, min Jung!