Uli Hoeneß ist verurteilt. Ein Gros feiert den deutschen Rechtsstaat. Nennt mich voreingenommen, nennt mich borniert, aber mich stimmt der Richterspruch traurig. Warum, das erkläre ich hier.
Aus der Entfernung war Uli Hoeneß für mich stets jemand, den ich bewundert habe. Nicht blind verehrt, aber zu dieser Rasse gehöre ich grundsätzlich nicht. Bewundern ist wohl das richtige Wort. Für seine unumstrittenen Leistungen und Verdienste, besonders jedoch für seinen Einsatz, seine Hilfsbereitschaft, sein Engagement. Ich bin nicht blauäugig. Natürlich war Hoeneß kein Samariter, der sich aus purer Nächstenliebe am Millerntor ins Retter-Shirt zwängt. Aber am Ende tat er es, und ich meine, er tat es gerne.
Als Uli Hoeneß begann, den FC Bayern zum nationalen Branchenführer und internationalen Schwergewicht zu trimmen, war ich noch nicht geboren. Ich habe kein Sportstudio gesehen (in Echtzeit) und war zu jung, um die Kokain-Affäre zu verstehen. Aber seitdem ich mir einbilde, die Strömungen und Gesetzmäßigkeiten einordnen zu können, wenigstens fragmentär, war Uli Hoeneß ein Vorbild. Vielleicht sogar DAS Vorbild, wenn man so etwas überhaupt haben kann. Weil mir seine Auftritte das Gefühl vermittelt haben, dass die Emotionen echt waren, und genau darum geht es mir im Sport.
Hoeneß' Handlungen und Wandlungen rührten aus Sorge um den Verein. Seinen Verein.
Die immer neuen und immer abstruseren Steuerschulden der letzten Tage haben auch mich schlucken lassen - und zweifeln, ob ich nicht einem notorischen Hochstapler aufgesessen bin, dessen zweites Gesicht vielleicht sein wahres ist. Mit Schwarzgeldkonten in der Schweiz, Fahndern im Nacken und dem dauerpiependen Pager in der Hosentasche. Ich habe mich dagegen entschieden.
Sicher, da mag ich geblendet sein von der Illustration des sozialen Hoeneß, aber diesen Kontext lasse ich mir nicht nehmen. Er ist kein schlechter Mensch. Er hat sich unrechtmäßig zur moralischen Integrität apostrophiert, übertrieben den mahnenden Zeigefinger erhoben und hätte an manchen Stellen lieber geschwiegen anstatt lauthals zu postulieren, zu redigieren und zu belehren. Gerade Letzteres wird zum öffentlichen Bumerang, der ihn mit scharfer Klinge rasiert. Er muss damit leben und er wird es. Austeilen, einstecken, das alte Spiel.
Seine Fassade hat Kratzer erlitten, die bleiben werden. Funktionärsamt verloren, Image zerschellt, Lebenswerk beschädigt. Trotzdem werde ich mit Uli Hoeneß keinen mafiösen Straftäter assoziieren, gewiss nicht. Er ist kein strahlender Leuchtturm mehr, der unumstößlich die Richtung vorgibt, aber für mich persönlich ist er gefestigt genug, um seinen angestammten Platz zu besetzen. So wie früher, als Weiser, Regler, Kompensator, wenn es etwas zu weisen, regeln, kompensieren gab. Und das gab es oft, wir reden schließlich vom FC Bayern, bei dem der Sieg nicht das Ziel ist, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Das Licht des Leuchtturms ist getrübt, vielleicht gesättigt, in jedem Fall gedimmt. Aber es scheint noch.
Vor allem jedoch, und das bedingte in meinen Augen seine Besonderheit, ist Hoeneß die Seele eines eigentlich seelenlos gewordenen Big Business, dessen wichtigste Trophäe der FC Bayern letztes Jahr gewann und im Mai verteidigen will. Fußball, dieses gigantische Gebilde, das den Spagat zwischen Kultur und Kommerz immer schwieriger werden lässt. Das musste auch Hoeneß erkennen, im Manager-Alltag, wenn die hohen Tiere der Szene noch höher werden wollen. Er bekämpfte Kälte mit Kälte, Druck mit Gegendruck. Sonst wäre Bayern München heute nicht das, was es nunmal ist - ein Global Player mit regionaler Verwurzlung, daheim auf internationalen Laufstegen und bayerischen Biergärten. Strebsam, aber nicht steril, wichtig, aber nicht wichtigtuerisch, heimelig, aber nicht provinziell. Ein universelles Produkt mit urigem Charme. Die vielbesungene Bayern-Familie ist keine Mär.
Bei der Vorstellung, wie der Bauchmensch Hoeneß mit den Einflussreichen und Mächtigen am Verhandlungstisch sitzt, malt die Phantasie bunte Bilder. Der Ulmer Metzgersohn, hemdsärmelig und Gefühls-getrieben unter Wirtschaftsbossen, geleitet von Instinkt, Gespür und der persönlichen, ja sentimentalen Note inmitten einer stockseriösen Armada. Als Mitte des Ganzen, wie bei einer Wasserwaage, die nur im Lot ist, wenn Uli Hoeneß in sich ruht. Beschwingt von verzückenden Fußballspielen und gelungen Geschäften, leider, das wissen wir heute, auch seinen eigenen.
Ich glaube, die Auswirkungen dieses 13. März 2014 werde ich erst mit Abstand begreifen. Und ich glaube, dem FC Bayern wird es ähnlich gehen. Der Verein wird anders sein als früher.