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SPOX-Redaktion


Gründer: DanielBörlein | Mitglieder: 11 | Beiträge: 0
12.10.2009 um 12:06 Uhr
Geschrieben von StefanRommel
Impressionen aus Moskau
So, wo fang ich an? Mit dem Flieger, der viermal über Moskau kreisen musste, weil der Pilot den Slot verpasst hatte und die Meute im Airbus von leicht unruhig über hippelig bis todesängstlich alle Facetten abrief? Oder nein, doch lieber mit den beiden deutschen Fans, die nach der Visa-Kontrolle am Gepäckband erstmal „Schlaaand, Schlaaand" anstimmten und sich zehn Sekunden später von der grimmigen Miliz auf den Boden geworfen widerfanden?

Oder doch lieber mit dem ebenso penetranten wie selbstredend nicht-lizenzierten Taxifahrer, der für 2000 Rubel (gut 40 Euro) die ca. 25 Kilometer vom Flughafen Domodedowo rüber zum Hotel fahren wollte und ich auch noch eingewilligt habe?

Es gibt so vieles, das auf einen einprasselt in dieser Stadt - ich korrigiere: in diesem Moloch - dass man einfach mit allem, MIT ALLEM, rechnen muss. Vom Hotel, das ziemlich weit außerhalb liegt, bis zur nächsten Metro sind es gut drei Kilometer, es fährt ein Shuttle-Service. Der ist zwar kostenlos, aber auch ein ziemlich begrenztes Gut. Insgesamt sechs Fahrten hin und zurück sind möglich, allerdings nicht nachmittags und schon gar nicht mehr nach 20 Uhr.

Es schränkt einen in der Handlungsfreiheit schon ziemlich ein, wenn man zwar etliche Termine, aber so gut wie gar keine Flexibilität hat. Denn auch Taxis, und seien sie noch so teuer, sind kein Garant für pünktlichen und sicheren Transfer.

Der Verkehr in Moskau ist mit Worten fast nicht zu beschreiben: Teilweise drängeln sich auf acht Spuren zehn Schlangen nebeneinander, jeder fährt kreuz und quer, wechselt vier Spuren in einem Manöver. Polizisten halten mitten auf der Kreuzung einen Fahrer an und und quatschen zwei Minuten, während sich dahinter die nächsten zwei Kilometer Stau ansammeln.

Am Straßenrand oder auf der Standspur stehen alle 100 Meter Autos, deren Fahrer entweder Picknick machen, auf die Pannenhilfe warten oder gerade einen Anhalter mitnehmen. Gegen entsprechende Bezahlung natürlich. Und einem Meter daneben donnert vor allem nachts, wenn weniger los ist, ein Wagen nach dem anderen mit 140 km/h dran vorbei.

Aber komischerweise passiert fast nichts. Außer einmal, als direkt vor dem Pressebus des DFB ein Lada die Vorfahrt missachtet und voll in einem Lieferwagen oder sowas Ähnliches knallt. Personen kamen immerhin nicht zu Schaden.

Dafür aber ein Kollege vom Stern, der nach zehn Minuten in der City von zwei jungen Männern ausgeraubt wurde. 4000 Rubel waren weg, aber immerhin ist nicht mehr passiert. Ich sollte eigentlich auch eine extra angeforderte Arbeitserlaubnis beim Außenministerium abholen. Nur leider war der Wachmann am Einlass ein sehr grimmiger Zeitgenosse, der partout keinen Durchgang gewährte.

Und da auch beide Ansprechpartner in der Pressestelle zwei Tage lang wie vom Erdboden verschluckt waren, arbeitete ich eben ohne staatlich verordnete Kartoschka weiter. Im Prinzip ist das eh egal, weil man im Endeffekt nur Glück haben muss, wem man in den kniffligen Situationen begegnet bzw. im Zweifelsfall halt ein paar Rubel rollen lassen muss.

Die City selbst zeigt sich so zerrissen wie das Land auch 20 Jahre nach Glasnost und Perestroika noch immer ist. Draußen vor der Stadt ranken die Hochhäuser der Armen 30-stöckig in den Himmel, es fühlt sich an, als ob der Kommunismus hier immer noch wohnt. Vieles ist kaputt und achtlos liegen gelassen worden, die Menschen leben wie Hühner in der Legebatterie.

Und drinnen tobt der Wahnsinn. Am Abend vor dem Spiel war ich mit unserem Partner Mercedes-Benz und dem Idol meiner Kindheitstage Hansi Müller unterwegs. Die Puschkin Bar sollte es sein, eins der nobelsten Restaurants der Stadt. Ein pompöse Tempel, aber längst nicht der exklusivste der Stadt.

Ein Kellner erzählt mir, dass es mittlerweile Bars gibt, in denen die Tasse Espresso 3000 Rubel (gute 65 Euro) kostet. Es gehe da nicht mehr darum, wie was serviert wird, sondern dass man Einlass gewährt bekommt und ein Teil der abartigen Dekadenz ist. Im Herzen von Moskau wohnt der Kapitalismus in seiner reinsten Form. Das McDonald’s direkt am Kreml spült 1000 Gäste in der Stunde durch, manche Moskowiter können sich den Mietpreis von 6000 Rubel pro Quadratmeter ohne größere Anstrengungen leisten. Der Monatslohn eines einfachen Arbeiters liegt bei etwa 15.000 Rubel…

Es ist die Stadt der Gegensätze, vielleicht mehr denn je. Und es ist die Stadt des Wartens. Man wartet immer und überall: Am Taxistand, am Zoll, an der Abfertigung, im Verkehr. Fast nichts geht schnell voran oder verläuft reibungslos, immer muss man nachfragen und erhält entweder eine Zahl (Taxi, für gewöhnlich die Verhandlungsbasis von 4000 Rubel – ganz egal, ob die Fahrt 10 oder 40 Kilometer gehen soll) aufgeschrieben oder ein kurzes „Niet".

Es ist bisweilen ungeheuer schwierig, sich zurechtzufinden, weil nur die jüngere Generation rudimentär englisch spricht und man selbst weder die Sprache noch deren Verschriftung intus hat. Trotzdem hat die Stadt irgendwie Charme, auch wenn er schwer zugänglich ist. Wer gute Nerven hat, sehr viel Zeit und noch mehr Kohle auf dem Konto, dem sei Moskau durchaus ans Herz gelegt. Auch ich komme irgendwann mal wieder.
Aufrufe: 5180 | Kommentare: 10 | Bewertungen: 19 | Erstellt:12.10.2009
ø 9.9
KOMMENTARE
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dailypicks
13.10.2009 | 15:23 Uhr
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dailypicks : 
13.10.2009 | 15:23 Uhr
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dailypicks : 
keine bilder, wie langweilig.
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totti
13.10.2009 | 12:09 Uhr
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totti : kann man so oder so sehen..
13.10.2009 | 12:09 Uhr
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totti : kann man so oder so sehen..
...in einigem kann man mit dem Autor ja übereinstimmen, aber sich erst ein Hotel buchen, dass drei Kilometer von der nä. Metro-Station entfernt ist, und sich dann beschweren, dass das hotel drei Kilometer von der nächsten Metro-Station entfernt ist, find ich irgendwie überflüssig...
Auch die Wahl des Taxis lag doch ganz allein in der Hand des Autoren, er hätte ja auch eines mit dem international bekannten Leuchtzeichen auf dem Dach des Fahrzeuges nehmen können...
Ziemlich peinlich ist aber, kritisch über die Zwei-Klassen-Gesellschaft in Russland zu berichten (wenigen Superreichen steht das verarmte Volk gegenüber) und praktisch im gleichen Atemzug über den mercedes-gesponsorten Besuch einer der nobelsten Bars Moskaus zu berichten.

Im Übrigen , ich war auch da und mir hat es sehr gut gefallen. Allerdings wusste ich auch, dass die Reise nach Moskau führt und nicht nach Stuttgart...
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VoetbalTotaal
12.10.2009 | 19:18 Uhr
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VoetbalTotaal : schöne impressionen
12.10.2009 | 19:18 Uhr
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VoetbalTotaal : schöne impressionen
die geschilderten erfahrungen kann ich gut nachvollziehen. habe ähnliches - vor allem was die sehr eigenwillige auslegung der verkehrsregeln betrifft - letzten sommer in instanbul erlebt.

da wird kurzer hand aus einer vierspurigen straße eine sechsspurige. geschwindigkeitsbegrenzungen existieren nur auf dem papier. anschnallgurte sucht man vergeblich und der preis hängt von der tagesform des fahrers ab.

schöner bericht! macht lust, sich tatsächlich mal nach moskau zu begeben und seine ganz eigenen erfahrungen zu machen.
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E_Cantona
12.10.2009 | 15:29 Uhr
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E_Cantona : 
12.10.2009 | 15:29 Uhr
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E_Cantona : 
Schöner Bericht. Von mir nur 9 Punkte. Ihr könnt mir doch nicht erzählen, dass ihr keine Bilder gemacht habt ^^

Nur mal so am Rande. In Moskau herrscht ständiges Verkehrschaos. Weil das Auto so etwas wie ein Statussymbol ist und dort auch gerne mal bewegt wird nur das es eben bewegt wird.

Das größte Verkehrschaos der letzten Jahre gab es am ersten Auto "freien" Sonntag. Weil jeder dachte: "Hey geil da bin ich ja dann alleine auf der Strasse!"


Pustekuchen ;0)
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arshavin
12.10.2009 | 14:53 Uhr
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arshavin : 
12.10.2009 | 14:53 Uhr
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arshavin : 
Sehr schöner Bericht.
Ich finde das immer wieder amüsant, wenn zivilisierte Europäer in ein fremdes Land reisen und danach begeistert oder erschrocken darüber berichten. Macht sehr viel Spaß zuzuhören, auch wenn man alles schon weiß und selbst lange Zeit erlebt hat.

"...arbeitete ich eben ohne staatlich verordnete KARTOSCHKA weiter."
Ich musste so lachen. 'Kartoschka' heißt auf russisch 'Kartoffeln'. Sicherlich ist 'Kartotschka' gemeint. Das 'tsch' wird so wie bei TSCHechien ausgesprochen, so in etwa. Aber ist auch auf Deutsch sehr schwer zu schreiben.

Tolle Arbeit, ich hoffe, dass die Reise sich wirklich gelohnt hat.
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tobster81
12.10.2009 | 14:27 Uhr
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tobster81 : 
12.10.2009 | 14:27 Uhr
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tobster81 : 
Sehr Guter Bericht Herr Rommel!!!
Und das dass die entschärfte Version ist glaube ich Ihnen aufs Wort!!!

War selbst mal bei einem Bayernspiel in Moskau
und wenn man es selbst nicht gesehen hat, ist es nur schwer zu glauben was in Moskau los ist!!!
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StefanRommel
REDAKTEUR
12.10.2009 | 13:43 Uhr
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StefanRommel : @pavelic
12.10.2009 | 13:43 Uhr
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StefanRommel : @pavelic
eins kannst du mir getrost glauben: das hier ist die entschäfte variante, es gab an und für sich noch einiges mehr zu erzählen, aber dann würde in der tat ein falscher eindruck von moskau entstehen. und zu den lebensbedingungen: ich hatte eine moskowiterin an meiner seite, die zwar aus sibirien stammt, aber seit 20 jahren in moskau wohnt. und die sollte es eigentlich besser wissen als wir beide zusammen.
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pavellic
12.10.2009 | 13:36 Uhr
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pavellic : 
12.10.2009 | 13:36 Uhr
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pavellic : 
"die Menschen leben wie Hühner in der Legebatterie"
soso.. das konntest du als aussenstehender mit deinen paar lidschlägen feststellen.. nichts für ungut, aber es ist einfach typisch, wenn deutsche, ah generell menschen aus verwöhnten und wohlhabenden ländern, in andere länder fahren und erstmal erschrocken über deren lokalen gegebenheiten daher fallen.. aber ich sage dir eins, auch wenn es wenig mit deinem bericht gemeinsam hat, menschen die in bescheidenen verhältnissen aufwachsen, sind wesentlich zufriedener und glücklicher im leben, als diese, die in einem wohlhabendem, anonymisierten und nach immer mehr und mehr strebendem land "funktionieren"
aber auch deine anderen anmerkungen wirken so sehr abwertend und bei weitem übertrieben, und nein ich bin kein russe^^
ansonsten hat euch der taxi fahrer schön über den tisch gehauen, touristen eben^^
bye
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Lucfof
12.10.2009 | 13:33 Uhr
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Lucfof : 
12.10.2009 | 13:33 Uhr
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Lucfof : 
Sehr schöner Blog.

Der Verkehr in Moskau erinnert mich stark an den in Rom, wenn ich das da so lese. Verkehrsregeln gibt es praktisch nicht, wer fährt gewinnt.
Auch die langen Wartezeiten kommen mir doch sehr bekannt vor. Moskau scheint eine beeindruckende Stadt zu sein. Wie viele Menschen leben dort? Zehn Millionen? Wie auch immer.

Schöne Impressionen, zehn Punkte.
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