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NFL @ SPOX


Gründer: Master_Of_Disaster | Mitglieder: 818 | Beiträge: 210
01.08.2016 | 5352 Aufrufe | 10 Kommentare | 12 Bewertungen Ø 9.9
Die NFL-Overtime unter der Lupe
Ein Münzwurf, sie zu knechten...
Head or Tails - Eine Entscheidung über Sieg und Niederlage? Aber, ist der Cointoss wirklich so wichtig?

EINLEITUNG

Die aktuellen Overtimeregeln der NFL sind seit den Playoffs 2011 in Kraft. Steht es nach vier Quatern unentschieden, entscheidet der Cointoss, welche Mannschaftsteile zuerst aufs Feld dürfen. Der Sieger hat die Wahl zwischen Receive (Offense geht zuerst aufs Feld), Kick (Defense beginnt) oder Seitenwahl (Gegner entscheidet welcher Mannschaftsteil beginnt).

Ich werde im Folgenden das Team, welches den Ball zuerst erhält, Team A und das zuerst verteidigende Team B nennen.

Beim Blick auf die Overtimeregeln wird klar, wieso die Wahl entscheidend sein kann:

Grundsätzlich endet das Spiel mit dem ersten Score. Ausnahme: Wenn der erste Drive mit einem Field Goal endet, hat Team B die Möglichkeit das Spiel per Touchdown für sich zu entscheiden. Endet der Drive von B ohne Score gewinnt Team A. Enden beide Drives in Field Goals, geht es mit "next score wins the game" weiter.

Kurz gesagt: Die Offense von Team A kann bereits im ersten Drive mit einem Touchdown das Spiel beenden. Dies ist ein klarer Vorteil, so denken zumindest die Medien und ein Großteil der Headcoaches. 96% aller Cointosssieger wählen den Ball (Team A), nur drei HCs haben jemals nicht den Ball gewählt.

Sollte nach 15 Minuten das Spiel nicht beendet sein, endet das Spiel in einem Tie. In den Playoffs wird stur bis zum nächsten Score gespielt.

Sonntag, 27. Dezember 2015. Die New England Patriots gastieren in Week 16 im MetLife Stadium bei den New York Jets. Für beide Teams hat das Duell neben der Rivalität auch sportlichen Wert. Die Pats spielen noch um den No. 1 Seed der AFC, während die Jets auf eine Wildcard schielen. Nach 60 Minuten steht das Spiel 20:20 unentschieden. Vor der Overtime gewinnen die Pats den Cointoss und wählen nicht den Ball, sondern den Kick. Eine Entscheidung Belichicks, die nach der Niederlage öffentlich hinterfragt und kritisiert wird.

Schon vorher hatte mich das Zufallselement des Münzwurfes in der Overtime gepackt, doch die Suche nach passenden Statistiken blieb erfolglos, sodass ich dank ellenlanger Offseason und Gamepass beschloss, selbst eine Datenbank zu erstellen. Eine (erste) Auswertung zu dieser möchte ich hier veröffentlichen.

Seit Einführung der neuen OT-Regeln waren es in Regular- und Postseason 75 Spiele, die in der Verlängerung entschieden werden mussten. Die Sample Size wäre für eine statistische Facharbeit nicht ausreichend, sie reicht aber hoffentlich, um Tendenzen zu erkennen und zu analysieren. Ich bin kein professioneller Zahlendreher, aber fühle mich mit einer Einführungsveranstaltung in Statistik einigermaßen gewappnet, dieses Unterfangen, anzugehen.

ANALYSE UND WERTUNG

Die meist gehörte Meinung ist, dass der Sieger des Münzwurfes immer den Ball fordern müsse, da die Offense so nur das Feld runtermarschieren muss und mit einem TD als Sieger vom Platz ginge. Grundsätzlich richtig, endeten so jedoch nur 14 Spiele (18,7%). Der groß-propagierte Vorteil trifft also nicht einmal in jedem fünften Fall ein. Insgesamt gewinnt Team A zu 52% (39 mal), das zuerst verteidigende Team B gewinnt in 44% (33) der Fälle bei 3 Ties.

Ja, Team A gewinnt die Mehrheit aller Verlängerungen, ob dieses knappe Übergewicht aber wirklich ausschlaggebend für das sture Pochen auf den Ball sein sollte, sei insbesondere beim Blick auf die kleine Stichprobenmenge jedem selbst überlassen.

Interessant ist die Betrachtung der fünf Playoffpartien. Team A konnte alle Spiele für sich entscheiden, drei davon gar im ersten Drive. Trotz der sehr dünnen Sample Size ist diese Tendenz auffällig. Ein möglicher Erklärungsansatz: In den Playoffs spielen die Teams die in entscheidenden Situationen die notwendige Leistung abrufen, dabei ist eine Mannschaft von keiner Position so abhängig wie vom Quarterback. Demnach spielen in der Postseason eher Teams mit einem Quarterback der in den Clutch-Momenten Leistung bringt. Gegen die Theorie spricht allerdings, dass die meisten Playoffteams eine mindestens überdurchschnittliche Defense haben.

Aber wieso ist der Vorteil der sofortigen Entscheidung nicht so entscheidend wie gedacht?

Team B hat bei einem schnellen Stop die Möglichkeit auf ein Game-Winning FG, da der Punt des Gegners die Offense nicht so tief in die eigene Hälfte drängen kann, somit wird der Weg zu einer Position, die zum FG-Versuch einlädt, kürzer.

In 44 Overtimes (58,7%) endete der erste Drive ohne Punktgewinn. Von diesen 44 Partien kann Team A nur 16 (36,4%) für sich entscheiden. Nur in 15 Spielen konnte Team A den ersten Drive mit einem FG beenden. Immerhin können von diesen zehn gewonnen werden, was eine Siegwahrscheinlichkeit von 66,7% ergibt, auch weil Team B keinen entscheidenden Fieldposition-Vorteil aufweisen kann.

Ein statistischer Zusammenhang zwischen den erzielten Punkten in der regulären Spielzeit und Siegwahrscheinlichkeit konnte nicht analysiert werden. Je nach Eingruppierung der Ergebnisse nach 60 Spielminuten (was bereits eine gewisse Willkür impliziert) springt der Korrelationskoeffizient von -0,3 bis +0,4, ein starker Zusammenhang (größer als 0,7 bzw. kleiner als -0,7) kann bei sinnvoller Eingruppierung nicht nachgewiesen werden.

Die durchschnittliche Anzahl an Possesions in einer Overtime beläuft sich auf 2,51. Insgesamt enden 78,6% aller Spiele spätestens nach dem dritten Overtimedrive. Gibt es einen dritten Drive, hat Team B nur noch eine Siegwahrscheinlichkeit von 34,5% (Bilanz: 10-16-3). Hier liegt für mich ein Vorteil für Team A. Ab dann wird bekanntlich next score wins gespielt, sodass A nur einen Teil des Feldes erspielen muss, um dann mit einem langen Field Goal das Spiel für sich zu entscheiden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass sich Team B überlegen sollte, ob es im zweiten Drive nicht auf Verlängerung (FG/Punt), sondern direkt auf Sieg (TD/FG) spielen sollte.

Der Blick auf die verschiedenen Scores zeigt wenig Überraschendes: 51 Overtimes (68%) endeten mit einem verwandelten FG-Attempt. 18 Spiele (24%) wurden durch einen offensiven TD entschieden, nur dreimal konnte eine Defense das Spiel entscheiden (Je ein Safety, Pick 6, Fumble-Recovery TD).

Interessant ist eine kurze Betrachtung der drei Outsider. Bill Belichick hat gleich zweimal trotz gewonnen Cointoss seine Defense zuerst aufs Feld geschickt, auch Vikings HC Mike Zimmer tat dies gegen St. Louis in Week 9 in 2015. Im offenen TCF Bank Stadium herrschte ein derart starker Wind, dass die Mannschaft, die gegen den Wind spielte, kaum Chancen auf erfolgreiche Drives hatte. So wählte Zimmer nicht den Ball sondern, die Seite die mit dem Wind spielte. Durch einen Sack konnte ein schnelles 3&out erzielt werden, der Rams Punt wurde durch den Gegenwind verkürzt, man erlief schnell zwei first Downs und stand dann vor einem Fieldgoal-Versuch aus der Mitteldistanz mit ordentlich Rückenwind. Ballgame.

2013 wählte Belichick gegen die Broncos ebenfalls wegen des Windes eine Seite. Auch wenn die Kausalkette nicht so eindeutig wie in Minnesota war, gewann schlussendlich New England aufgrund eines muffed Punts von Wes Welker, möglicherweise auch von den Windverhältnissen begünstigt.

2015 erhielten eben die Jets das Ei zuerst. Ryan Fitzpatrick führte seine Gang Green in 5 Plays für 80 Yards in die Endzone. Belichick vertraute seiner Defense vergeblich. Trotz einer Offense mit Brady, Gronkowski, Edelman und Co. war die Entscheidung vertretbar. Eine Außentemperatur von maximal sechs Grad Celsius, nur 40 Punkte combined und je ein Turnover pro Team sprechen für ein defensivdominiertes Duell. Die Voraussetzungen für einen Stop waren also gegeben, dass die Jets das Spiel so gewinnen war schlicht nicht zu erwarten.

FAZIT

Grundsätzlich ist das sture Pochen auf den Ball beim Münzwurf zu überdenken.

Die Statistiken zeigen, dass es unter gewissen Aspekten durchaus sinnvoll sein kann, die eigene Defense aufs Feld zu schicken.

Als Head Coach sollte man grundsätzlich den Mannschaftsteil aufs Feld schicken, den man in entscheidenden Momenten eher vertraut. Die reguläre Spielzeit (defensiv- oder offensiv geprägt, Anzahl Turnover, Effektivität beider Offenses) und äußere Faktoren wie Temperatur, Wind und Niederschlag (Faustregel: Umso extremer das Wetter, desto eher ist die eigene D der O zu bevorzugen) sind in der Entscheidung miteinzubeziehen.

Insgesamt gewannen 40 Cointosssieger das Spiel, das entsprechen gerade einmal 53,3%.

Selbst wenn die Tendenz, dass der Cointoss Einfluss auf die Spielentscheidung hat erkennbar sein sollte, ist dieser längst nicht so groß wie in der Öffentlichkeit weit verbreitet wird. Nicht einmal jede fünfte Verlängerung endet mit einem offensiven Touchdown im ersten Drive.

Abschließend gilt zu sagen, dass der Münzwurf vor der Verlängerung, wenn überhaupt nur sehr wenig Einfluss auf den Sieger hat. Clutchness, Turnover, Mut (Punts sollten vermieden werden!) und auch einfach Spielglück sind dabei viel entscheidender.

Soweit meine erste Auswertung. Ich werde meine Datenbank fortlaufend aktualisieren und mit einer größeren Stichprobenmenge hoffentlich noch weitere Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten analaysieren.

ø 9.9
KOMMENTARE
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Butfumlbe93
04.08.2016 | 10:04 Uhr
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Butfumlbe93 : @DanU79
04.08.2016 | 10:04 Uhr
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Butfumlbe93 : @DanU79
Natürlich, wenn Team A im ersten Drive scort (und sei es nur ein Fieldgoal) stehen die Chancen auf ein Gewinn sehr hoch. Allerdings passiert das eben nicht einmal in der Hälfte aller OTs.

Die Quote der durch einen TD gewonnenen Overtimes hat sich durch die geänderten Overtime-Regeln sicherlich noch zugenommen, da es früher völlig ausreichend war sich einen "sicheren" Field-Goal-Versuch" zu erarbeiten. Der Anteil der auf diese Art beendeten Spiele wird daher in Zukunft sicherlich noch ansteigen.

Diesen Einwand verstehe ich nicht ganz. Ich habe ja mit Bedacht nur die OTs in meine Betrachtung miteingenommen die unter den neuen Regeln ausgetragen wurden. Wieso sollte in Zukunft der Anteil der TDs im ersten Drive steigen?
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Butfumlbe93
04.08.2016 | 09:57 Uhr
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04.08.2016 | 09:57 Uhr
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Vielen Dank für Eure Rückmeldungen

Danke auch nochmal Blue, dass er über die erste Rohfassung drüber geschaut hat.

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DanU79
03.08.2016 | 23:41 Uhr
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DanU79 : 
03.08.2016 | 23:41 Uhr
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DanU79 : 
@ Butfumble:

Zunächst einmal ist das ein super Blog den Du hier verfasst hast zu einem interessanten Thema!

Nun meine Meinung zum Inhalt:

Die Chance auf den ersten Score ist durchaus lukrativ. Zwar gelingt es dem Team mit der ersten Possession lt. Deiner Datenerhebung in der Overtime nur in 29 von 75 Fällen (38,7%), doch von diesen Partien werden immerhin 24 gewonnen, was ca. 82% entspricht. Dazu enden 13 weitere Overtimes nach drei Drives, so dass anzunehmen ist, dass auch diese fast ausschließlich vom Team mit der ersten Possession gewonnen werden. Womit wir schon bei ca. 50% Erfolgsquote sind.

Die Quote der durch einen TD gewonnenen Overtimes hat sich durch die geänderten Overtime-Regeln sicherlich noch zugenommen, da es früher völlig ausreichend war sich einen "sicheren" Field-Goal-Versuch" zu erarbeiten. Der Anteil der auf diese Art beendeten Spiele wird daher in Zukunft sicherlich noch ansteigen. Die Entwicklung weiter zu verfolgen wird auf jeden Fall interessant.

DanU79
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Flashpaddy
03.08.2016 | 13:11 Uhr
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Flashpaddy : 
03.08.2016 | 13:11 Uhr
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Flashpaddy : 
Starkes Teil, was du hier verfasst hast
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airjo
02.08.2016 | 14:05 Uhr
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airjo : 
02.08.2016 | 14:05 Uhr
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airjo : 
Gute Arbeit. Danke für die viele Arbeit
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Petzie
MODERATOR
02.08.2016 | 11:17 Uhr
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Petzie : 
02.08.2016 | 11:17 Uhr
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Petzie : 
Starkes Ding, But! Sicher ne Menge Arbeit gewesen, das alles selbst rauszuarbeiten... wofür so ne Offseason doch gut ist
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DavidSilva21x3
02.08.2016 | 08:51 Uhr
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02.08.2016 | 08:51 Uhr
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Schönes Ding But !
dann gibts ja jetzt wieder einen Blog mehr mit dem man Diskussionen direkt im Keim ersticken kann wenns mal wieder um dieses Thema geht
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Cyx
01.08.2016 | 23:24 Uhr
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Cyx : 
01.08.2016 | 23:24 Uhr
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Cyx : 
Schönes Ding.

Fazit ist dann wohl: Es kommt weniger darauf an, was du entscheidest, sondern, dass du entscheiden kannst.
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BlueSky
01.08.2016 | 23:07 Uhr
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BlueSky : 
01.08.2016 | 23:07 Uhr
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BlueSky : 
Sehr schönes Teil but.

Wofür so ne Offseason nicht alles gut ist.
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Butfumlbe93
01.08.2016 | 22:43 Uhr
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01.08.2016 | 22:43 Uhr
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So, als ich das Projekt Anfang Februar begonnen hatte, nahm ich mir wohl etwas viel vor. Der Blog ist jetzt nicht ganz so ausführlich wie selbst erwartet, aber es war eine Menge Arbeit und ist ja eventuell nur der Anfang

Für Meinungen, Kritik und Bewertungen wäre ich dankbar!

Vielen Dank fürs Lesen, ich hoffe Ihr hattet ein wenig Spaß dabei,
LG euer But
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