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Jahresrückblick 2009


Gründer: oliver | Mitglieder: 33 | Beiträge: 4
25.12.2009 um 18:34 Uhr
Geschrieben von Voegi
Don Jupp is back
oder:

Bratwurst statt Jakobsmuscheln

Montag, 27. April, irgendwann am Vormittag. Ich erinnere mich noch gut. Innerhalb weniger Sekunden gab mein Handy zweimal SMS-Alarm. Ungewöhnlich für einen Montagvormittag. Es waren Marcus und Tim. Zwei gute Kumpels. Meine beiden Fußball-Spezis. Immer nah dran am Puls der gekickten Zeit. Der eine mit einem Auge immer auf den Websites von Guardian, Kicker oder SPOX, der andere mit notorischem F5-Da Capo auf bild.de. Ich wusste also, wenn die beiden mir fast zeitgleich eine montagmorgendliche SMS schicken würden, dann müsste es wirklich dringend sein. Und es würde definitiv mit Fuppes zu tun haben.

Nun folgt der 27. April bekanntlich ja zwei Tage nach dem 25. April. Was genau genommen noch keine besonders furchtbare Erkenntnis darstellt. Jedenfalls nicht in einem normalen Jahr. Aber was war im Jahre von Schweinegrippe, Wirtschaftskrise und Westerwelle schon normal?! Am 25. April trug sich nämlich in der Münchener Allianz-Arena ein Geschehen zu, welches mich als Bayern-Fan, der ich trotz allem bin und bleiben werde, in eine tiefe Sinnkrise trieb. Die Bayern verloren 0:1 gegen Schalke, verabschiedeten sich aus dem Meisterrennen und boten eine Leistung, die ich so seit der ruhmreichen Trainer-Ära Lerby nicht mehr gesehen hatte. Doch diesmal hieß der Trainer Klinsmann. Und jedem war spätestens an diesem Nachmittag klar, dass das mit ihm nichts mehr werden würde.

So gab es für mich denn auch keinen Zweifel, was mir meine Kumpels in ihrer SMS jeweils berichten würden. Klinsmann war weg – so viel stand fest. Und obwohl ich Recht behalten sollte, hielten die beiden Kurzmitteilungen dennoch eine große Überraschung für mich parat. Der Neue, so hieß es, sei nämlich ein alter Bekannter. Jupp Heynckes, von 1987 bis 1991 bereits an der Säbener Straße, würde bis Saisonende das Zepter übernehmen. Zusammen mit Tiger Gerland.

Heynckes und Gerland. Das klang nach Retro-Kult. Nach Fußballreaktionismus pur. Back to the roots. Die Renaissance der 80er. Irgendwie passend zu einem Zeitgeist, in dem man sich, angewidert von allen neumodischen Trends, rückbesinnt auf das schöne gute Alte. Frei nach dem Motto: Was will ich denn mit Jakobsmuscheln – Bratwurst macht auch satt. Und schmeckt irgendwie doch viel besser. So oder so ähnlich müssen Hoeneß & Co. in diesen Tagen wohl gedacht haben. Vielleicht haben Sie sich auch gar nichts gedacht. Vielleicht war die Entscheidung für Heynckes auch nur eine Notlösung – aus Mangel an Alternativen. Ich jedenfalls betrachtete es als Schritt zurück zum Wesentlichen, weg von modernem Schnickschnack zum nüchternem Einmaleins des Fußballs.

Und ja ich empfand diesen Rückschritt doch irgendwie als Fortschritt. Vielleicht weil ich selbst doch konservativer bin, als ich es mir selbst eingestehen will. Ganz sicher auch, weil mein Argwohn gegenüber der Person Klinsmann allmählich die Ausmaße von Frust und Verachtung annahm. Vor allem aber, weil ich den Jupp seit Jahr und Tag mag. Schließlich war er, wenn man so will, "mein" erster Trainer. Denn genau zu der Zeit, als ich begann, mein Fußballherz für den FC Bayern zu entwickeln, wechselte Heynckes vom Niederrhein an die Isar. So etwas vergisst man eben nicht. Das ist wie mit dem ersten Kuss, dem ersten Rausch oder eben dem ersten Stadionbesuch. So etwas brennt sich ein.

Aber meine Sympathie zu Heynckes ist dann doch mehr als nostalgische Verklärung. Irgendwie habe ich seine bescheidene, ja zuweilen fast unbeholfene Art, immer gemocht. Dabei denke ich nicht zuletzt an die legendäre Sportstudio-Ausgabe zurück, in der sich der heillos überforderte Jupp vom Kollegen aus Köln beschimpfen lassen musste und mangels eigener Rhetorikkünste vom eigenen Manager in Schutz genommen wurde. Insofern mag meine Sympathie auch etwas mit Mitleid zu tun haben. Letztlich aber gefiel mir einfach der Typ Heynckes: Zurückgenommen, sachorientiert, nüchtern, schnörkellos und stets jeglicher Versuchung widerstehend, die eigene Person in den Mittelpunkt zu rücken. Wenn man so will der Gegenentwurf zu Peter Neururer.

Und genau deshalb muss an jenem Montagvormittag wohl ein leichtes Lächeln über mein Gesicht gehuscht sein, als ich die SMSen von Marcus und Tim las. Henyckes als neuer Bayern-Trainer – das gefiel mir. Und das gab mir die Zuversicht, dass es doch irgendwie klappen würde mit der Champions-League-Quali (so sollte es dann ja auch tatsächlich kommen). Allein die Ankündigung, dass Heynckes nur bis Saisonende bleiben würde, löste einen Zwiespalt in mir aus. Einerseits hätte ich nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn "mein" alter Trainer Jupp jetzt länger bei "meinen" Bayern bleiben würde, andererseits wusste ich wohl doch, dass das auf lange Sicht nicht funktionieren würde. Und dass Heynckes dann zum zweiten Mal in München als gescheitert entlassen werden würde, das konnte ich nicht wollen.

Deshalb war das auch letztlich schon ganz in Ordnung so. Und umso mehr freute es mich, als wenige Wochen später dann publik wurde, dass Heynckes als Trainer in Leverkusen anfangen würde. Das könnte klappen, dachte ich mir. Bis jetzt habe ich Recht behalten. Doch eine gelungene Hinserie in Leverkusen ist bekanntlich ein Muster ohne Wert. Erst wenn er es schafft, Bayer 04 auch in den zweiten Halbserie auf Erfolgskurs zu halten und den Makel der Rückrundenversager von der Werkself abzustreifen, ist sein Projekt gelungen. Und wenn Bayer 04 in der Saison 10/11 wieder im europäischen Geschäft tätig ist, wäre sein persönliches Comeback geglückt.

Zuzutrauen ist es ihm allemal. Denn Heynckes ist nicht nur, wie Hoeneß weniger als Lobrede auf seinen Freund denn vielmehr als Seitenhieb auf Klinsmann formulierte, ein echter Fußballlehrer, der sein Metier beherrscht. Zur Fachkompetenz gesellen sich nun auch Erfahrung und Abgeklärtheit. Eine Kombination, die an sich ausreichende Gewähr für erfolgreiche Arbeit geben dürfte. Bislang scheint es jedenfalls so, als habe Heynckes die richtige Ansprache an seine Spieler gefunden, die er mit unbeirrbarer Konsequenz auf das Prinzip Heynckes einschwört. Dazu mag vieles gehören, aber gewiss nicht wonnevolles Herumexperimentieren. Das bewährte 4-2-2-2-System wird in der laufenden Saison konsequent durchgezogen und zumeist mit dem gleichen Personal ausgefüllt. Und das passt irgendwie doch zum zielstrebigen, manchmal aber auch ein wenig drögen Habitus des neuen Bayer-Trainers.

Dessen derzeitiger Vertrag läuft übrigens lediglich bis zum Jahre 2011. Mehr will sich der 64Jährige momentan nicht zumuten. Und möglicherweise eignet sich diese Art der Bescheidenheit ja auch als Vorbild für das sonst so schnelllebige Geschäft, in dem überzogene Erwartungen und übereilte Veränderungen an der Tagesordnung sind. Vielleicht zeigt es der Alte ja noch einmal den Jungen. Ich jedenfalls würde es meinem Jupp wünschen.

Aufrufe: 2887 | Kommentare: 15 | Bewertungen: 33 | Erstellt:25.12.2009
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KOMMENTARE
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donluka
29.12.2009 | 14:21 Uhr
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donluka : 
29.12.2009 | 14:21 Uhr
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donluka : 
Toller Blog, Voegi!!!

Ich war auch sehr überrascht, als der Heynckes plötzlich aus dem Hut gezogen wurde. Aber was soll man sagen: Der Erfolg gab Hoeneß/Völler wieder einmal Recht!

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GNetzer
29.12.2009 | 11:26 Uhr
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GNetzer : 
29.12.2009 | 11:26 Uhr
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GNetzer : 
Schönes Ding, Mr. Edelfeder!

Werde ich mal den Eintracht-Fans meiner Umgebung zu lesen geben. Vielleicht hören sie dann mit ihrem allsamstäglichen Ritual auf: Dem Verbrennen von Heynckes-Püppchen.
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Josh9
28.12.2009 | 12:16 Uhr
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Josh9 : 
28.12.2009 | 12:16 Uhr
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Josh9 : 
sehr schöner Blog voegi.

früher konnte ich den Typen auch nicht unbedingt was ab,
aber jetzt ist er ziemlich cool geworden.
sehr souverän als würde dieser ganze Zirkus einfach mal locker an seinem
Pelz abprallen.
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schlibbedewitz
28.12.2009 | 12:07 Uhr
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schlibbedewitz : man beachte...
28.12.2009 | 12:07 Uhr
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schlibbedewitz : man beachte...
jupp´s entlassung bei real war für mich der erste eindeutige beweis dass einem grossen verein wie real glamour und schlagzeilen in der boulevardpresse wichtiger waren bzw sind als der sport. ich finde wirklich beachtenswert dass heynckes immer seinen stil behalten hat und sich nicht der presse unterworfen hat.
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Andreana
28.12.2009 | 10:48 Uhr
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Andreana : 
28.12.2009 | 10:48 Uhr
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Andreana : 
Schöner Blog über einen Fußballlehrer der alten Schule.

Wenn ich Jupp Heynckes beschreiben müsste, würde ich es immer mit der Szene tun die sich in Gladbach abspielte, als er sich den Mob beugte und zurück trat.

"Der Wagen ist frisch gewaschen und aufgetankt" sagte er, als er den Autoschlüssel Rolf Königs zurück gab und somit symbolisch ohne viel Worte seinen Rücktritt verkündete.

Das er dabei auf eine Abfindung oder gar die Lohnfortzahlung bis zum Vertragsende verzichtete ist bei diesem Mann glaube ich keine gesonderte Erwähnung wert.

Über Lukas Podolski sagte er mal:"Wenn ich so einen linken Fuß wie er gehabt hätte, hätte ich nicht 220 Tore sondern 500"

Jupp Heynckes, kein Lautsprecher sondern ein ganz großer des Fußballsports. Höflich, voller Verantwortungsgefühl, mit besten Manieren.

Bravo Jupp, bravo Voegi, toller Blog.

10 Punkte!
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schlibbedewitz
27.12.2009 | 11:36 Uhr
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schlibbedewitz : gut ming jung
27.12.2009 | 11:36 Uhr
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schlibbedewitz : gut ming jung
klasse zu lesen,9 points
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sirandres
26.12.2009 | 23:16 Uhr
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sirandres : 
26.12.2009 | 23:16 Uhr
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sirandres : 
Der braucht sein Material. Also nen guten kader.
In Gladbach hat man die andere Seite gesehn!
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Pinola
26.12.2009 | 21:23 Uhr
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Pinola : 
26.12.2009 | 21:23 Uhr
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Pinola : 
Letztlich aber gefiel mir einfach der Typ Heynckes: Zurückgenommen, sachorientiert, nüchtern, schnörkellos und stets jeglicher Versuchung widerstehend, die eigene Person in den Mittelpunkt zu rücken. Wenn man so will der Gegenentwurf zu Peter Neururer.


wie wahr
es gibt glaube ich keinen trainer, außer vl norbert meier, den ich so verabscheue wie Neururer.


netter blog, 9 punkte von mir
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Clemens
26.12.2009 | 20:03 Uhr
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Clemens : großes Kino!
26.12.2009 | 20:03 Uhr
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Clemens : großes Kino!
feines Thema, toller Blog = 10 Punkte
Hast auch meine Gedanken bzgl. Jupp super getroffen.
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gartenzwerg
26.12.2009 | 19:14 Uhr
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26.12.2009 | 19:14 Uhr
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Ich kann zwar Deine Begeisterung für Don Jupp nicht teilen,
dafür kann ich mich regelmäßig für Deinen Schreibstil begeistern.
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