Es ist vollbracht: Deutschland ist zum vierten Mal Weltmeister. Vollkommen verdient hat die Löw-Elf den Titel eingefahren und darf sich jetzt berechtigterweise für diesen grandiosen Triumph abfeiern lassen.
Ich müsste mich zum Heuchler machen, würde ich behaupten, diesen Erfolg so erwartet zu haben. Im Gegenteil, habe ich meine chronische Unlust auf das Turnier im Vorfeld nicht zuletzt mit meiner geringen Erwartungshaltung zu erklären versucht. "Wird eh wieder nix", war mein Credo, das sich auf die ernüchternden Erfahrungen der letzten acht Jahre gründete. Immer wieder zeigte die deutsche Elf starke Leistungen und machte sich auf, endlich wieder einen Titel zu holen, um im entscheidenden Moment doch zu scheitern. Es schien (mir), als wäre dieses Team trotz aller unbestreitbaren Qualität im Endeffekt titelunfähig.
Überraschend aber verdient
Der Sieg von Rio hat nicht nur mich eines Besseren belehrt. Jogi Löw und seine Mannschaft haben bewiesen, dass sie doch in der Lage sind, den letzten Schritt zu gehen und das eigene Potential in einen Pokal umzumünzen. Dass es, wenn die Argentinier eine ihrer guten Möglichkeiten genutzt hätten, auch ganz anders hätte kommen können, ist allenfalls eine Randnotiz. Im Moment des Erfolges darf und muss der Konjunktiv ausgeblendet werden.
So überraschend und unerwartet der Titel für mich und manch anderen Fan kam, so verdient ist er in der Gesamtbetrachtung doch. Und dabei meine ich weniger die Leistungen im Rahmen der Weltmeisterschaft 2014, die von überragend bis schwach changierten, als vielmehr die Entwicklung, die die deutsche Nationalmannschaft seit 2004 genommen hat. Bei jedem Turnier erreichte das Team mindestens das Halbfinale, konnte nach dem Vize-Titel 2002 zweimal in Folge Platz 3 bei einer WM belegen und präsentierte sich im internationalen Fußball als der Inbegriff der Kontinuität.
Kollektive Klasse
Die Darbietungen der Löw-Truppe waren dabei zuweilen geradezu berauschend, wie im Achtel- und Viertelfinale der WM 2010, ließen an und ab gleichwohl zu wünschen übrig. Und dennoch: Immer wenn es um die Wurst ging, war die deutsche Mannschaft zuletzt dabei und legte damit Zeugnis ihrer Fähigkeiten ab. Wer viermal in Folge die Runde der letzten Vier erreicht, muss einfach über Qualität verfügen. Das kann kein Zufall sein.
Das Gütesiegel, das sich die Adler-Truppe über nunmehr fast eine Dekade hinweg verdient hat, mag man als kollektive Klasse bezeichnen, ohne dabei das individuelle Potential leugnen zu müssen. Mit den Lahms, Schweinsteigers, Neuers und Khediras verfügt das DFB-Team nun schon seit Jahren über großartige Spieler mit außergewöhnlicher Persönlichkeit - schillernde Superstars vom Schlage eines Messi, Ronaldo oder Balotelli sucht man im deutschen Auswahlteam hingegen vergebens. Zum Glück, mag man meinen, liegt die Stärke der Mannschaft doch gerade in ihrer Geschlossenheit.
Zu nett für Titel?
Und doch schien es (bis zu dieser Weltmeisterschaft), als sei die den Kader tragende Harmonie womöglich ein Hindernis auf dem Weg zum ganz großen Triumph. Zu lieb, zu nett, ja vielleicht zu bescheiden wirkte das Mannschaftsgebilde, als dass man Jogis Jungs wirklich einen Titel zutrauen mochte. Ich selbst hatte meinen Glauben spätestens nach der enttäuschenden Halbfinal-Niederlage gegen Italien anno 2012 aufgegeben und verlor mich in einer Art (Zweck-)Pessimismus. So sehr ich um die Qualitäten dieser Mannschaft wusste, so sehr zweifelte ich doch, dass sie jemals einen Sieg bei Europa- oder Weltmeisterschaften erringen würde.
Der Makel des fehlenden Killerinstinkts, der mangelnden Siegermentalität im entscheidenden letzten Moment ist nunmehr beseitigt. Ich habe es nicht für möglich gehalten und bin entsprechend positiv überrascht. Gleichwohl entbehrt der Titel nicht einer unübersehbaren Logik, ist der doch die Krönung für fast zehn Jahre Fußball auf höchstem Niveau mit konstanten Platzierungen unter den Top 3.
Das Löw-Team darf sich mit Fug und Recht als beste Mannschaft der Welt feiern lassen. Und ich leiste nur zu gerne Abbitte nach meiner Skepsis zu Beginn des Turniers. Die Nationalmannschaft hat (jetzt endlich) das bewiesen, was ich ihr nicht zugetraut hätte. Chapeau, Respekt und Danke!
Toller Text. 10 Punkte.
Bei mir war es das Algerien-Spiel. In einem KO-Spiel so zu gewinnen, da wußte ich, da könnte etwas gehen.
Hat mich an 1990 gegen die CSSR erinnert. Ende ist bekannt.
Passend zur der Meldung vom vormittag.
Der Unterschied zu 1990 ist, daß Lothar M. weitergemacht hat um den Rekord zu knacken und der Philip. L. hört in der N11 auf.
Schöne Zusammenfassung Voegi.