40 Jahre lang waren Reiner und seine Frau Edeltraut Kölnfans.

Diese armen Schleicher, werden sie sich sagen, erst saufen ihre Eltern vor der Namenswahl das ein oder andere Glas zu viel, und dann machen sie sich auch noch durch ihren Lieblingsverein zum Gespött der Nachbarschaft.

Und so war es auch tatsächlich. Ich und meine Frau haben uns am Frühstückstisch jedenfalls stets amüsiert, wenn wir sahen wie die beiden Hand in Hand in ihren Kölntrikots Richtung Kirche liefen. Erzählungen zufolge soll sogar der Pfarrer die Augen verdreht haben.

Das gehört sich natürlich nicht für einen Vertreter Gottes, aber okay, mittlerweile, also nachdem er im Rotlichtviertel Wangens erwischt wurde, hat sich das mit ihm sowieso erledigt.

Nunja, dem Ehepaar, das Köln stets supportete, zollte ich heimlich dennoch schon auch ein bisschen Respekt, sie steckten die ganzen Hänseleien nach außen hin echt gut weg. Nur einmal war es zu einem Vorfall gekommen, der mir erst im Nachhinein, nach diesen komischen Ereignissen im Sommer 2012, wieder ins Gedächtnis kam.

Es war im Entenpark, dem Ort an dem sich hier in Wangen immer die Gangster, die dreckigen und versoffenen Jugendlichen, rumtreiben. Da soll sich Reiner hingehauen und versucht haben auch mal Frustsaufen zu machen. Leider war dies das Revier von drei der härtesten Jugendlichen Wangens, Dennis, Justin und Kevin. Die drei hatten schon Drogen konsumiert, die waren noch nicht einmal erfunden. Sie wurden von allen nur "Die drei Coolen" genannt.

Jedenfalls hatten sie sich anscheinend über ihn lustig gemacht. Also muss er wohl einen Wutausbruch bekommen haben, jedenfalls landete er im Krankenhaus, Kevin auch.

Das schlug damals schon hohe Wellen, klar. Wangen ist eine kleine, friedliche Stadt, da kommt es nicht oft zu Gewalt.

Aber eine Woche später fand dann der Mord in Deuchelried statt. Erinnern Sie sich noch? Die Frau, die ihren Mann nicht mehr ertragen konnte und dann einfach ihn statt der Wiener Würstchen grillte? Mein Gott hat das gebruzzelt!
Da vergaßen die Bewohner das mit Reiner schnell wieder.

Dieser kam jedenfalls ansonsten eigentlich immer so rüber, als würde er das mit seinem Verein locker sehen! Er scherzte sogar selbst über seine Kölner.

Umso mehr war ich geschockt , als ich das Ehepaar eines Tages in nigelnagelneuen Paris St. Germain-Trikots an unserem Haus vorbeimarschieren sah.

Das hat mich nachdenklich gemacht. Sehr nachdenklich. Und so ließ ich mir nach und nach erzählen, was passiert ist. Und ich kann ihnen sagen, es ist eine Geschichte, bei der ich immer noch nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll. Es ist eine unglaubliche Geschichte alles begann, wenn man den Tuscheleien der Mitbürger vertraut, am 05. Mai 2012, dem vorerst letzten Spiel der Kölner in der Bundesliga

05. Mai 2012

"Des gibts doch nicht!!!", schreit Edeltraut und stampft wutentbrannt auf den Boden. Die Abwehr hat wieder einmal versagt.

Kurz scheint sie sich zu beruhigen, sie schnauft durch, zählt bis 10 doch beim nächsten Kölner Fehlpass hat es sich damit. Sie nimmt die Blumenvase, die sie gestern von ihrer Mutter zum 55. Geburtstag geschenkt bekommen hat, und wirft sie mit voller Wucht gegen die Wand. Genau an die Stelle, wo der jubelende Lukas Podolski hängt (und mittlerweile durch Ibrahimovic ersetzt wurde).

"DIESE SCHWEINE!!! DIESE SCHWEINE", schreit sie laut und reißt sich das Shirt vom Körper!

Ihr Mann sagt gar nichts. Er liegt müde an seinem Platz, längst hat er aufgegeben. Ihm ist das doch alles gleichgültig, scheiß drauf.

Erst nach dem Spiel, als vor seinem Haus drei Bayernfans stehen und Köln in einem Lied heruntermachen, wird ihm klar, dass es so nicht weitergeht. Wäre er Amerikaner, er würde sein Gewehr holen und die drei erschießen. So kann er sich nur traurig ins Bett legen und versuchen in die Welt der Träume zu versinken.

Irgendwann ist einmal Schluss, denkt er sich. Er hat genug Geld zusammen.

Schon morgen würde er versuchen seinen Plan umzusetzen. Er würde mit seiner Frau nach Paris fahren. In die Stadt der Liebe.

Wer weiß, lacht er, vielleicht kann er seine Frau tatsächlich dazu verführen.

Tatsächlich dazu verführen, wie er langsam aber sicher mit diesem Kölnscheiß aufzuhören.

21. Mai 2012

Paris. Edeltraut und Reiner stehen auf der zweiten Etage des Eiffelturm. Sie küssen sich. Ihre Liebe, sie ist auf einem neuen Höhepunkt angelangt.

Immer mehr verlieben sich die beiden in diese Stadt. In die Romantik, die von ihr ausgeht.

Und da geschieht es. Reiner hat eine wilde Idee.

"Edeltraut", lacht er laut, "komm. Lass uns einen Akt der Liebe ausführen".

Kurz darauf fallen seine Hosen auf den Belag des Eiffelturms.

Einige Asiaten in der näheren Umgebung reagieren geschockt, sie lassen ihre Nikon-Fotoapparate fallen.

Nur ein südkoreanischer Journalist hält drauf. Er weiß, dass er mit Bildern eines sich paarenden Paares mitten auf dem Eiffelturm viel Geld machen kann.

Und in diesem Moment, da muss die Entscheidung gefallen sein. Diese Entscheidung, die unsere ganze Nachbarschaft teilweise amüsierte, jedoch mich selbst schockierte.

Und mir keine Ruhe lässt. Überhaupt keine Ruhe.

Ist diese... diese ganze Vereinsliebe, die wir Fußballfans propagieren etwa nur... nur Fassade?

Ich entschließe mich, zu ihnen rüberzugehen. Mit den beiden zu reden.

Naja vielleicht morgen. Dann werde ich ihnen mehr darüber erzählen viel mehr...

(Pilotfolge der geplanten Trilogie Das große Konzert der Liebe)