Als Bayern-Fan wird man öfters mit diesem Begriff konfrontiert: Der Bayern-Dusel. Diese ungreifbare Macht, die dafür sorgt, dass Bayerns 26 nationale Meistertitel, die 18 Mal, die man den DFB-Pokal gewann und bestimmt auch die meisten der fünf Champions League Titel eigentlich nicht rechtmäßig sind. Sondern schlicht und einfach pures Glück waren.
Dieser Dusel zeigte sich in glänzender Form auch beim Spiel gegen Hertha BSC. Eine Mannschaft, die seit acht Jahren nicht mehr gegen den FC Bayern gewonnen hatte. Eine Mannschaft, die in der 20. Minute in Führung durch einen Freistoß ging, den sie aufgrund einer Schwalbe bekam. Und auch deswegen, weil die Bayern-Abwehr im Kollektivschlaf war. Aber darum geht es nicht, das war ja noch in der regulären Spielzeit.
Hertha mehr mit Diskutieren als mit dem Spiel beschäftigt
Je weiter die Zeit fortschritt, umso mehr schien sich die Zeit zu strecken. Vielleicht war es den müden Beinen der Herthaner geschuldet, dass nicht mehr schnell gespielt wurde. Vielleicht war es aber auch die Vorsicht der Spieler, ja nicht unnötige Ballverluste zu risikieren. Als sich das Spiel der magischen 90-Minuten-Marke näherte, hatten die Spieler vom Berliner Ballsportclub immer mehr mit der Physis zu hadern: Krämpfe häuften sich, ein wirkliches Spiel war seitens der Berliner nicht mehr wahrzunehmen.
Was hingegen von den Berlinern wahrgenommen wurde, war die Chance, in den angezeigten fünf Minuten Nachspielzeit in aller Ruhe auszuwechseln. Da man vorher es nicht für nötig erachtete, total ausgelaugte Spieler wie Kalou rauszunehmen, bot sich die Nachspielzeit für zwei Wechsel an. Ansonsten nutzte man die Nachspielzeit, um zu mauern, sich auszuruhen und den Ball wegzuschlagen. Das führte skandalöserweise dazu, dass Schiedsrichter Ittrich noch eine Minute weiterspielen ließ. Dann kam der sagenumwobene Freistoß, der noch ausgeführt wurde. Hertha, die immerhin seit 75 Minuten in Führung lagen, schien es für wichtiger zu halten, zu reklamieren anstelle sich mit dem immer noch laufenden Spiel zu beschäftigen. Robben bekam so einen Freifahrtschein, wurde nicht gedeckt, der Rest ist bekannt: Abpraller, Lewandoswki, Tor. Unentschieden, Schlusspfiff, Ende.
Der FC Bayern kann es nur falsch machen
Die entrüstete Fußballwelt richtet zwei Vorwürfe an die Bayern: Erstens, wie kann man nur so viel Dusel haben. Ständig treffen sie in der Nachspielzeit. Zweitens, wie können die Spieler dann noch so arschig sein, und sich freuen, als hätten sie eben die Champions League gewonnen? Dabei waren es Last-Minute (oder kurz vor Last Minute)-Siege wie gegen Ingolstadt oder das Remis gegen die Hertha.
Erstens: Es gibt so viele Faktoren, die ein solches Ergebnis begünstigen, aber der proklamierte Dusel ist es nicht. Der FC Bayern spielt für mich momentan eine Bundesligasaison, bei der ich ins Grübeln gerate: Ist Ancelotti diese Salatschüssel aka Meisterschale mit der damit verbundenen Bundesliga einfach zu suspekt, und er kümmert sich schlichtweg nicht darum, wie sein Team hier abschneidet, Hauptsache, man schafft die erneute Qualifikation für die Champions League? Dort wiederum pusht er sein Team zu Höchstleistungen, damit man auch möglichst den begehrten Henkelpott holt?
Oder erreicht er die Mannschaft nicht, und die CL-Auftritte resultieren lediglich aus der noch vorhandenen Eigenmotivation der Spieler? So oder so, der FC Bayern ist eins der stärksten Teams Europas. Allein von den Einzelspielern gibt es hier ein großes Potenzial, durch einen Geniestreich eines einzelnen Spielers ein Tor zu erzielen. Je länger ein Spiel dauert, umso höher die Chance, dass ein nicht konzentrierter Gegner dadurch dann ein Gegentor kassiert. Einfache Mathematik. Bayern hat es zudem in der letzten Zeit gelernt, nicht nur früh zu führen und dann drei Gänge runterzuschalten, sondern vor allen Dingen auch aus dem Spiel heraus schrittweise den Druck zu erhöhen und aufrecht zu erhalten. Ein weiterer Grund, der ihnen zuletzt den ein oder anderen Punkt oder mehr sicherte.
Zum Punkt der Freude: Hierzu möchte ich gerne Thomas Müller zitieren, der einmal sagte "Als Spieler des FC Bayern kann man es nie richtig machen: Gewinnt man knapp, heißt es "Der Bayern Dusel!". Wenn man hoch gewinnt, war der Gegner zu schwach. Und wenn man unentschieden spielt oder gar verliert, ist die Krise da." Auf das Spiel gegen die Hertha bezogen: Was hätten denn die Zuschauer gesagt, wenn die Bayern nach dem Abpfiff kurz geklatscht hätten und dann in die Umkleide gegangen wären? Sehr wahrscheinlich hätte man ihnen Arroganz unterstellt. "Ach ja, klar. In letzter Minute den Ausgleich erzielt. Und es ist ihnen egal. War ja klar. Söldner!"
Gebranntes Kind scheut das Feuer
Wie gesagt: Das ist lediglich eine Bestandsaufnahme. Es geht mir nicht darum zu sagen, "ach, man hats nicht leicht." Die Sichtweise anderer Fans wird man nie ändern können, und das ist vielleicht auch gut so. Denn Fußball lebt von den Fans. Allerdings gibt es auch als Bayern-Fan eine Anekdote, die mit zu meinen fassunglosesten Momenten als Fan gehört. Champions League Finale 1999, seit der sechsten Minute durch das Tor von Mario Basler in Führung. 91. Minute der Ausgleich. Zwei Minuten später der Siegtreffer von Solskjaer. Die Spieler des FC Bayern standen bei den Gegentoren total neben sich. Wie zuletzt auch die Hertha.