Mein Vater rief mich ein paar Wochen zuvor an und bat mich, uns doch ein paar Karten für das Bayern-Spiel in Leverkusen zu besorgen. Er hätte einen Bekannten, Roland, der wäre großer Bayern-Fan und würde sich nichts seliger wünschen, als mal ein Spiel seiner Bayern live im Stadion zu erleben. Ein, zwei Mal im Jahr sehe ich meinen Vater er wohnt schon seit Jahren nicht mehr hier.
Roland kannte ich nicht. Ein Mittvierziger schätzte ich. Mein Vater wollte Freunde von früher besuchen und hatte diesen Roland im Gepäck. Sitzplatzkarten solle ich kaufen, Roland könne nicht lange stehen gesundheitlich ist er nicht so gut dran, sagte mein Vater mir am Telefon.
Am Spieltag standen wir gegenüber der BayArena im Biergarten und genossen die warmen Sonnenstrahlen. Roland war aufgeregt und freute sich, dass es endlich so weit war und er seine Bayern mal live, hautnah erleben durfte. Wir frotzelten ein wenig gegen meinen Vater, Fan des 1. FC Köln und Roland genoss sichtlich meine Unterstützung. Er ging gebeugt, so als hätte er einen Buckel. Seine Wirbelsäule war verformt und er hatte eine nicht heilbare Krankheit. Ich weiß gar nicht mehr genau woran er erkrankt war, aber es war eine dieser grauenhaften, immer schlimmer werdenden Leiden. Dieser mir vollkommen fremde Mann strahlte eine Freude, eine wärmende Herzlichkeit aus, die einen direkt vereinnahmen musste. Dass er wie ich Bayern-Fan war, tat sein übriges. Inmitten von hunderten Fans, die fachsimpelten, prognostizierten, tippten und dabei ihr Bier tranken, genossen wir diesen großartigen Nachmittag. An das Spiel habe ich wenig Erinnerung. Ich glaube am Ende ging es Unentschieden aus. Aber alleine die kindliche Freude und Aufgeregtheit eines erwachsenen Mannes zu sehen, für den ein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen war, ist mir nachhaltiger in Erinnerung geblieben als jeder Auswärtssieg es hätte sein können.
Bei diversen Telefongesprächen danach, erzählte mir mein Vater wie sehr es Roland gefallen habe und wie sehr er dieses Wochenende mit uns genossen hätte. Roland schickte mir sogar einmal eine Postkarte, auf der er sich erneut für dieses, für ihn unvergessliche Wochenende bedankte. Ein paar Jahre später erzählte mir mein alter Herr dann, dass Roland verstorben sei. Mit Ende vierzig.
Ich weiß nicht, warum mir dieser Kerl, mit dem ich nur einen Nachmittag verbracht hatte, irgendwie ans Herz gewachsen ist? Ich weiß auch nicht, warum ich so oft an dieses Strahlen in seinem Gesicht denken muss, wie er da so stand in seinem FC Bayern-Anorak. Vielleicht weil es genau das widerspiegelt, was Fußball für uns Fans bedeutet. Es ist nicht nur gewinnen oder Triumphe feiern. Es ist mehr als das. Es ist der Geruch des Grüns, es ist die vorfreudige Spannung das Drumherum und es sind die unvorhersehbaren Momente des Spiels. Und vielleicht ist es auch die Möglichkeit die unerträglichen Momente im Leben für neunzig Minuten vergessen zu dürfen. Zumindest für Roland wird es an diesem sonnigen Nachmittag in Leverkusen so gewesen sein.
André Zechbauer thematisiert in seinem Blog "FernglasFCB" Woche für Woche den Fußball im Allgemeinen und insbesondere alles rund um den FC Bayern München. Nach Jahrzehnten auf Fußballtribünen im In- und Ausland beobachtet er den Klub mittlerweile mehr aus der "Fernglas"perspektive.
Der Autor ist seit nunmehr 35 Jahren Fan des FCB, seit 25 Jahren Mitglied des Rekordmeisters und lebt in der Nähe von Köln.
aber eben auch sehr wichtig. danke, zechi!
Hat mir sehr gut gefallen.
EDIT: Den Blog FernglasFCB natürlich gleich mal unter den Favoriten gespeichert.