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15.06.2010 um 15:28 Uhr
Wo ist der Strafraum?
Von Offensivspektakel keine Spur: die bisherigen Spiele der WM waren nicht gerade besonders schön anzusehen, höchstens etwas für Freunde starker mannschaftlicher Taktikumsetzungen in der Defensive. Doch ist das wirklich so überraschend? Darf man, nur weil die besten Spieler der Welt aufeinander treffen, wirklich schöne Spiele mit Toren am Fließband erwarten?

Zunächst die Fakten: In den bisherigen 12 Turnierspielen (Stand: Dienstag 15:30 Uhr) fielen bisher lediglich 20 Tore, macht einen Durchschnitt von 1,67. Nimmt man den 4:0 Erfolg der deutschen Mannschaft gegen die Australier heraus, so sinkt der Schnitt gar auf mickrige 1,45 Tore pro Spiel. Zum Vergleich: Selbst in der bisher torärmsten Bundesliga Saison 1989/90 lag der Durchschnitt bei 2,58 Treffern, der langjährige Schnitt liegt bei ziemlich genau drei Toren.
Die Entstehung der bisher gefallenen Tore ergibt sich wie folgt: Standardsituationen (inkl. Elfmeter) 5, Eigentore 1, Fernschüsse/Einzelaktionen 3, Lange Flanken 5, Herausgespielt 6. Der Anteil an Toren die wirklich aus dem Spiel heraus nach einer sinnvollen und geplanten Aktion fielen liegt daher bei weniger als einem Drittel. Darüber hinaus fehlen aber nicht nur die Tore, es mangelt auch an klaren Torchancen, insbesondere bei denen aus dem Spiel heraus, die nicht durch Zufälle aller Art oder individuelle Fehler entstehen.

Natürlich sind 12 Spiele statistisch wenig aussagekräftig. Allerdings lassen sich einige Trends insbesondere taktischer Natur ausmachen. Zunächst sei das derzeitige „Mode-System" 4-5-1 erwähnt. Betrachtet man die bisherigen taktischen Grundformationen der Teams, so spielt inzwischen die große Mehrheit das System mit zwei so genannten Sechsern und nur einer nominellen Spitze, welches ja auch Jogi Löw bevorzugt. Vom Prinzip her sehr flexibel da die beiden offensiven Flügelspieler auch in die Spitze gehen können und sollen, so erweist sich die Ausrichtung in den meisten Fällen als sehr defensiv-fixiert. Das viel zitierte kompakte Stehen im Mittelfeld, das „hinten dicht machen" hat höchste Priorität, die einzige Sturmspitze hängt oft in der Luft. So werden die Räume auf dem Spielfeld extrem eng und 80% des Spiels findet um die Mittellinie herum statt, dort „wabert" es umkämpft aber für den Zuschauer öde hin und her. Selbst die Holländer boten keine drei echte Spitzen auf wie es über Jahrzehnte nahezu Pflicht für jeden Bondscoach war, und auch die Brasilianer unter Trainer Dunga eröffnen das Spiel bedächtig aus einer wohl formierten Abwehr heraus, statt bloß auf die Dribbelkunst eines zu Hause schmorenden Ronaldinho zu setzen.

Hinzu kommt, dass gute Organisation kein Alleinstellungsmerkmal hoch professionalisierter europäischer Mannschaften mehr ist. Auch die Spieler exotischer Länder spielen zumeist in den großen europäischen Ligen, außerdem können durch den jahrelangen Export vieler Trainer aus den Fußball-Hochburgen auch Teams aus Afrika und Asien anders als noch vor zehn, fünfzehn Jahren ein klares Verteidungungs-Konzept aufweisen. Für starke Defensivreihen mit klarer Raumaufteilung, Einsatz und Laufbereitschaft braucht man keine technisch versierten Weltstars, dies ist mit Training und Disziplin beinahe überall einstudierbar, siehe das Beispiel Nordkorea. Einzig Kamerun wirkte hinten bisweilen wie ein Hühnerhaufen. Darüber hinaus stehen die Defensivreihen bei weitem nicht mehr so tief wie früher, mit neun Spielern am eigenen Strafraum verteidigen nur noch echte Fußballzwerge wie Liechtenstein oder Malta. So kommt es, dass auch mit Flanken oder Fernschüssen nur selten Gefahr heraufbeschworen werden kann.

Um solch einen gut organisierten Defensivverbund auszuspielen braucht es entweder herausragende Einzelkönner (Messi zeigte das zumindest phasenweise gegen Nigeria) oder aber einen klaren Plan wie ihn die deutsche Elf präsentierte, um in die berühmten Schnitt- und Nahtstellen der Abwehr zu gelangen. Zielloses Geschiebe im Mittelfeld oder weite hohe Bälle wie es die Griechen aber auch viele andere Teams praktizierten ist kein probates Mittel mehr im 21. Jahrhundert. Spieler wie Müller oder Cacau hingegen wissen wohin sie laufen müssen, und ihre Mitspieler (Özil!) wiederum wissen wie und wann diese anzuspielen sind. Andere Teams hingegen, darunter auch England und Italien taten sich gegen ihre gut organisierten Gegner extrem schwer im Spielaufbau, und selbst die biederen Dänen konnten bis zu dem unglücklichen Eigentor den Holländern das Leben außerordentlich schwer machen. Hier kam es dann erst mit der Einwechslung des Dribblers Elia zu Bewegung und Problemen in der Defensive der Nordeuropäer.

Als dritter Punkt ist anzufügen, dass bei einer WM selbst bei drei Gruppenspielen in der Vorrunde eine Niederlage beinahe schon das Aus bedeutet. Kein Team hat sich bisher getraut, sein Heil bedingungslos in der Offensive zu suchen, lieber wurde ein Punkt gesichert und ab und an ein Ball hoch nach vorne getreten. Attraktive Spiele die mit offenem Visier geführt werden wie es sie bei vergangenen Turnieren gerade zwischen vermeintlich schwächeren Mannschaften zu sehen gab fehlen bisher komplett. Die Angst vor den gegnerischen Kontern ist den Spielern und vor allem auch den Trainern einfach zu hoch.

Interessant zu beobachten bleibt, ob heute und morgen vielleicht Portugiesen und Spanier, und eventuell doch die Brasilianer anders auftreten werden. Diese Mannschaften besitzen zumindest auf dem Papier über genug individuelle Klasse um eine Abwehr schwindelig zu spielen. Doch allzu großer Hoffnung sollte man nicht sein, viele offensive Feuerwerke wird es bei diesem Turnier kaum geben, zu viel steht für alle Beteiligten auf dem Spiel. Und niemand möchte sich hinterher Vorwerfen lassen, er hätte seine Mannschaft blindlings nach vorne geschickt – Jürgen Klinsmann analysiert das Turnier nur fürs Fernsehen.
Aufrufe: 2612 | Kommentare: 4 | Bewertungen: 7 | Erstellt:15.06.2010
ø 8.0
WM  |Tore  |keine  |Defensive  |taktik  |
KOMMENTARE
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mread
15.06.2010 | 16:01 Uhr
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mread : Gewohnt brilliant!
15.06.2010 | 16:01 Uhr
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mread : Gewohnt brilliant!
Tja, was soll man da noch hinzufügen? Top analysiert, top formuliert. Ich habe die Hoffnung ja noch nicht aufgegeben, dass bei Portugal vs. Elfenbeinküste die individuelle Klasse der Spieler doch noch für Tore sorgt ...
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BadBlue
15.06.2010 | 16:23 Uhr
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BadBlue : 
15.06.2010 | 16:23 Uhr
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BadBlue : 
Ich gucke auch ohne Tore Fussball, ich finde den Blog zwar okay, jedoch schwachsinnig die ersten Gruppenspiele als Bewertung heranzuziehen.

Es ist einfach mal logisch, das einige der Teams sich zuerst auf die eigene 0 Konzentrieren, als auf das eigene Tor.
Safety First eben...kommt schon noch alles in Schwung.
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La_Pulga
15.06.2010 | 18:30 Uhr
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La_Pulga : 
15.06.2010 | 18:30 Uhr
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La_Pulga : 
Schöner Blog!

Das diese WM so schleppend verlaufen würde, hätte ich nicht gedacht!

Ich meine, ich gucke keinen Fussball um 5:5 Spiele zu sehen, ich kann auch mit 0:0 zufrieden sein, wenn es denn trotzdem ein gutes Spiel ist... Aber das gibt es bisher noch überhaupt nicht!

Warum?! Kein Plan... Weder die Trainer noch die Spieler scheinen auch nur die geringste Lust zu haben nach vorne zu spielen und mal zu gewinnen!

Ist ja nichtmal so, dass die Hintermannschaften so gut wären, sie werden einfach nicht gefordert!
Außer Deutschland, Mexico und Argentinien hat es noch keine Mannschaft geschafft mal 3 Bälle hintereinander an den Mann zu bringen, ganz enttäuschend!

Hoffentich können Spanien und Brasilien wenigstens noch ein bisschen FUSSBALL zeigen!

10 Points!
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Taktiker
16.06.2010 | 18:27 Uhr
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Taktiker : 
16.06.2010 | 18:27 Uhr
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Taktiker : 
Ganz ganz starker Blog. Nicht nur faktisch, auch sprachlich 1A, ich hab ihn jetzt erst über die Blogschau gefunden.

Zum Thema:

Ich erinnere mich an La_Pulgas Blog, ob die WM ein Offensivspektakel wird, doch das genaue Gegenteil ist eingetreten. Die Mannschaften mit den starken Offensivreihen (Holland, Portugal, Argentinien), Spanien lasse ich gerade mal raus, sind auf äußerst starke Deckungen der Gegner gestoßen. Diese waren aber nicht tief gestaffelt, sondern standen in den meisten Fällen sogar außerordentlich hoch, die Abwehrspieler sind dann schnell, und schon entsteht ein sehr schmaler Korridor von häufig nur 30m, der zu bespielen ist. Lange Bälle können zwar helfen, wie zB Südafrika gezeigt hat, aber nur wenn die gegnerische Verteidigung langsame Spieler hat.

Ich schließe mich sonst La_pulga an, auch ein 0-0 kann mich zufrieden stimmen, wenn die Qualität stimmt. Aber genau diese Qualität in der Offensive geht vielen Teams ab, oder wird ihnen von ihren Trainern genommen.

Die afrikanischen Teams Ghana, Elfenbeinküste und Nigeria haben allesamt deutsche Trainer, die Defensive Organisation predigen, dadurch verlieren die Afrikaner ihre größte Stärke, wie sie auch spielen könnten hat Südafrika in Ansätzen gezeigt, aber daran sind die jeweiligen TRainer "schuld". Spanien hat mMn gut gespielt, aber gegen den Trainerfuchs Hitzfeld und die, wie alle anderen Teams, gut organisierten Schweizer zu wenig Lücken gefunden.

Portugal und Elfenbeinküste haben sich gegenseitig ausgeschaltet, Holland hat sich an den defensiven Dänen beinahe die Zähne ausgebissen.


Ich finde diese Entwicklung äußerst erschreckend, weil sie den Spielen jegliche Abwechslung nimmt, weil sich das Spiel nur 20m rechts und links der Mittellinie abspielt, und wie du sagts nicht einmal wirklich Torchancen zustande kommen. Wirklich schade, ich hoffe, die WM lockert sich noch auf, meine Anfangseuphorie ist aber schon dahin muss ich sagen.
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