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02.04.2012 um 08:28 Uhr
Tackle Me If You Can
Wie extreme Härte nicht nur die Richtigen trifft

Die Sicherung ist schon lange raus. Mit reichlich Anlauf kommt der körperlich leicht unterlegene Verteidiger dem gegnerischen Angreifer zur Hilfe gesprungen. Ein rhythmisches Knacken später bleibt der Gegner am Boden liegen. Sein Schreien hallt über den Platz. Es erinnert an das Gejammer einer Katze, doch hier ging etwas zu Bruch. Mit diebischem Lächeln und aufgesetztem Mitgefühl beugt sich der Extremsportler über sein Opfer. Es wird Monate dauern, bis die Verletzung auskuriert ist. Eine gewöhnliche Verletzung in einem körperbetonten Sport. Doch warum herrscht solch übertriebene Brutalität auf Fußballplätzen?

Brauchen wir noch Eier?
Oliver Kahn hat es vorgemacht. Ein ums andere Mal. Dem Sport fehlt oft genug die nötige Härte. Wer nicht zutritt, verzichtet eindeutig auf die stillen Regeln dieses Mannschaftssports. Wenn man nicht bereit ist, über den eigenen moralischen Schatten zu springen, hat man dort draußen auf dem Rasen nichts zu suchen. Es geht viel zu selten darum, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Stattdessen gehört Härte ins Spiel, sonst verliert man das Gesicht. Du kannst den Ball nicht ordentlich hochhalten, dann sei wenigstens geschickt beim Ausführen von diagonalem Rasen-Kung-Fu. Nicht selten gilt es noch heute als Allheilmittel Härte zu zeigen, Gegner zu zertreten, still und heimlich zu attackieren, so möglichst nachhaltig zu erniedrigen oder schwächen.
Es geht dabei vorrangig um prähistorische Verhaltensmuster. Statt einer Keule packt man die Sohle aus und spaziert damit über des Gegners Körper. Nicht selten bekommt man als Aggressionsverweigerer das Gefühl, man hätte sich den falschen Sport ausgesucht. Nichtsahnend von hinten weggetreten zu werden, ist keine erleuchtende Erfahrung, die es braucht, um gestärkt wieder aufzustehen. Viel zu oft bleiben Narben, Prellungen und Brüche, nicht mehr. Die Gefahr, die von diesen Hardlinern ausgeht, liegt dabei nicht nur in ihren Aktionen. Es sind nicht bloß die abartig gedankenlosen Tritte und Schläge. Viel schlimmer wiegt das Selbstverständnis für diese Aktionen. Es gilt als situationsgerecht, was schon an sich der stumpfste Blödsinn ist, den man in Anschluss an ein hartes Foul von sich geben kann. Wenn man also so schon nicht in der Lage ist, eine Situation im Sinne des Regelwerks zu lösen, attackiert man in einer Art und Weise, die den eigenen Möglichkeiten entspricht und den Gegner doch noch stoppt. Klasse. So kann es funktionieren. Nein, vielmehr: so muss es funktionieren!

Leichtsinn ist der Welten Lohn
Nun ist es aber so, dass Fußball ein temporeicher Sport ist. Gedankenschnell kann man sein, aber nicht jeden Kontakt vermeiden. Wenn der Gegner also aus einiger Distanz genauso zielorientiert auf den freien Ball zustürmt, lässt sich nicht immer prognostizieren, ob der eigene Fuß nur den Ball trifft oder auch den Gegner. Da liegt ein Risiko, das sich nicht komplett ausschließen lässt. Was aber problematisch ist, wird auch heute noch so gut wie jedem Nachwuchsspieler mit auf den Weg gegeben: Zurückziehen kann böse enden. Immer durchziehen!
Wie sinnvoll das ist, belegen Statistiken wie zahlreiche Videoclips zu hübschen Verletzungen. Die besten Verletzungen gibt es beim Vollkontakt. Erst, wenn richtig aufeinander getroffen wird, kracht es gewaltig. Da können die ohne gegnerisches Zutun auftretenden Bänderrisse, Gelenk- und Muskelverletzungen nicht mithalten. Das größte Risiko lauert im Zweikampf und übertriebenem Körpereinsatz. Von außen dröhnen wenig hilfreiche Anweisungen herüber, während die Verzweiflung am überlegenen Gegenspieler wächst, schon herrscht eine aggressive Grundstimmung, die sich nicht durch flaches Atmen wegschieben lässt. In dieser Verfassung entstehen die größten Missverständnisse, die dieser Sport zu bieten hat. Der Leichtsinn und eine gefährliche Rücksichtslosigkeit lösen die spielerischen, taktischen Elemente fließend ab. Vielleicht nur für einige Augenblicke, aber das reicht schon aus, um viel zu zerstören.

Nur ein Spiel
Selbst wenn es sich nur um ein Spiel handelt, steht oft auch ein Wettkampf im Vordergrund, der mit Leidenschaft und Engagement angegangen wird. Es geht vielleicht nicht immer um die Führung in einer Liga, welcher genau ist zweitrangig, aber oft um einen Beweis, den man sich und der Mannschaft erbringen muss. Verlieren scheint oft unmöglich und so brodelt es an vielen Orten wie aus heißen Quellen. Drohende Niederlagen machen aus für gewöhnlich gut erzogenen Sportlern urplötzlich Jäger und aus leicht provokant auftretenden Spielern die ausgemachte Beute. Ob nun jeder Versuch den Gegner laufen zu lassen als größtmögliche, spielerische Beleidigung einzustufen ist, sei dahingestellt, das gehört zum Spiel. Was allerdings diskutabel ist, lässt sich dann sehr gut am Verhalten der unterlegenen Mannschaft erkennen. Statt das eigene Spiel zu optimieren, wird viel zu häufig ausgeteilt und vehement versucht das Spiel des Gegners zu zerstören. Dass das nur bedingt erfolgversprechend ist, liegt auf der Hand. Man bestraft sich und die eigene Mannschaft mit Fouls und im schlimmsten Fall Platzverweisen, doch wird das aus Frust gerne in Kauf genommen. Häufig verliert damit das gesamte Spiel an Klasse und nach und nach werden weitere Spieler infiziert. Eine schlimmere Schwächung als durch zu hartes Auftreten gibt es wohl kaum, trotzdem wird viel zu regelmäßig in dieser Form auf einen Rückstand oder gefühlte Unterlegenheit reagiert. Die Freude am Spiel hat zu diesem Zeitpunkt längst ausgecheckt, doch davon bekommt man im Kampf nichts mit. Leider.

Natural Born Tacklers
Für einige Vertreter der härteren Gangart spielt es nicht einmal eine Rolle, wie es um die eigene Mannschaft steht. Für sie ist Fußball ganz offensichtlich ein Ventil zur Frustbewältigung. Jede Möglichkeit zur freien Entfaltung wird genutzt, um den eigenen Hormonhaushalt zu fluten. Sie nehmen den Sport als Therapie wahr, aber statt sich behandeln zu lassen, geben sie Anderen die Möglichkeit behandelt zu werden. Was ihren Gegenspielern denn einfallen würde, sich über den doch ganz offensichtlich angelegten Arm zu beschweren. Wo wir denn da hinkämen. Fußball ist immer noch ein Sport für Kerle.
Ja, in diesen Vollkontaktsituationen wird klar, dass eine Abneigung gegen Fairness und mangelnde Rücksicht auf die Gesundheit der anderen Spieler nicht ganz normal sind. Die zugrunde liegende Argumentation, welche besagt, dass man eine Diva sei, wenn man sich über unnötig harte, fiese Fouls beschwere, kränkt das Bild von einem sauberen Sport. Nicht immer sind es Skandale, Manipulationen und ein weiterer Investor, die den Sport beschmutzen. Oft reicht schon eine verzerrte Wahrnehmung auf das eigene Handeln, das gefühlt Jahrtausende alte „Sport für Männer"-Argument und eine weitere Tätlichkeit, die es nie gegeben haben soll.


In diesem Sinne

tobzzzzn
Aufrufe: 4431 | Kommentare: 5 | Bewertungen: 7 | Erstellt:02.04.2012
ø 8.6
KOMMENTARE
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tobzzzzn
02.04.2012 | 08:33 Uhr
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tobzzzzn : Invalidenbonus!
02.04.2012 | 08:33 Uhr
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tobzzzzn : Invalidenbonus!
Moije spoxer,

ich bitte das blog zu entschuldigen. Nach einem rüden Foul und dadurch bedingter Zwangspause musst ich über die (unnötige) Härte im Spiel schreiben.

Sobald ich wieder fit bin, wird das blog auch gelöscht. Versprochen!

Was sind eure schlimmsten Erinnerungen an gedankenlose Fouls und die schmerzhaften Erfahrungen danach?


Greetz,
tobz
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DerUli
03.04.2012 | 15:21 Uhr
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DerUli : 
03.04.2012 | 15:21 Uhr
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DerUli : 
Ich entschuldige dir deine Entschuldigung für den Blog nicht. Hättest dir sparen können, weil recht haste; auch wenns keiner zugeben will weils schlecht fürs Image ist...
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Rockstady
03.04.2012 | 15:23 Uhr
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Rockstady : 
03.04.2012 | 15:23 Uhr
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Rockstady : 
Ganz nett geschrieben.

Zu deiner Frage und beim Stichwort gedankenlose Fouls ist wohl so ziemlich das Paradebeispiel Axel Witsel.
Wer es nicht kennt, man sollte "mental gefestigt" sein, um diese Foul bzw. die Folgen anschauen zu können.
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SVG1919
03.04.2012 | 17:17 Uhr
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SVG1919 : 
03.04.2012 | 17:17 Uhr
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SVG1919 : 
also erst mal gut geschrieben!!!
Ist natürlich ein sehr schwieriges Thema, da es kaum möglich ist eine exakte Grenze zu ziehen zwischen einem normalen Foul und übertriebener Härte. So ist es meiner Meinung nach durchaus legitim Fouls zu machen um den Spielfluss des Gegners zu stören und Angriffe zu unterbinden.
Natürlich sollten die nicht zu hart sein. Was meiner Meinung nach in den meisten Fällen auch erfüllt ist. Durch das sehr physische Spiel heutzutage, hat es halt trotzdem, auch ungewollt immer öfter schwerere Folgen, ohne das dies beabsichtigt wäre.
Dann gibts halt noch so Aktionen wie von Guerrero, wo nur dumm sind und eigentlich nicht zum Fußball gehören.
Dennoch denke ich, dass er dort auch Ullreich nicht verletzten wollte, sondern entweder gefrustet/ übermotiviert oder ne Kombination aus beiden war(soll keine Entschuldigung sein).
Klar sollte sein, dass die Regeln dazu da sind die Grenzen zu setzen, dennoch denke ich, dass es normal ist, das diese auch manchmal überschritten werden, ohne bösen Willen um sich einen Vorteil zu verschaffen und dies auch dazugehört.
Das der Gefoulter und der Fouler dies immer verschieden sehen, liegt in der Natur der Sache.
Dir natürlich gute Besserung und hoffentlich bist du bald wieder fit!
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ThierryHenry
03.04.2012 | 21:56 Uhr
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03.04.2012 | 21:56 Uhr
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klasse blog! spricht mir aus der seele, als hättest du viele meiner gedanken zu papier gebracht. danke dafür!
hab mal in der A-jugend mit meinem team schon in in halbzeit eins 4:0 gegen unseren erzrivalen geführt, gegen den wir noch im jahr zuvor knapp die meisterschaft gewonnen hatten. es waren noch 5 min ca. bis zum pausentee, als ein gegenspieler, wohl aus frust, völlig übermotiviert in die schwungphase meines beines rannte, als ich einen pass spielte. es stellten sich kreuzband- und meniskusriss heraus, welche mich zu einem brutalen jahr abstinenz von jeglichem kontaktsport zwangen. frust und hilflosigkeit in gewissen situationen sind somit auch für mich ernsthafte gründe, warum manche spieler viel aggressiver zu werke gehen. leider!
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