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27.01.2017 | 6667 Aufrufe | 1 Kommentare | 1 Bewertungen Ø 10.0
Wie ich Fan des FC Ingolstadt wurde
Schanzer Herz
Wie wird man Fan des unbeliebtesten Bundesligisten in Deuschland? Die Geschichte dazu findet ihr in meinem ersten Blogeintrag.

Alles begann mit der Suche nach einem geeigneten Geburtstagsgeschenk für meinen Vater. Jedes Jahr stehen meine Schwester, meine Mutter und ich vor der Frage, was wir dem lieben Vater denn dieses Mal zu seinem Ehrentag schenken könnten. Dass die Antwort auf diese Frage letztendlich das Fundament meines Fußballfan-Daseins erschüttern würde, hätte ich mir nicht erträumen lassen. Und dennoch hat diese Frage und die dazugehörige Antwort mein (Fußball-)Leben auf den Kopf gestellt und mich dazu bewogen, die Todsünde für einen Fußballanhänger zu begehen - nämlich den Verein zu wechseln.

November 2014. Karten für das Theater? "Nein, viel zu langweilig!", antwortete meine Schwester. "Vielleicht Tickets für ein Konzert? Das haben wir ihm doch schon letztes Mal geschenkt", entgegnete meine Mutter schon sichtlich genervt. Mein letzter Versuch dieses Gespräch ohne Streit zu beenden, zielte auf die Fußballbegeisterung meines Vaters, die er mir glücklicherweise auch vererbt hat: "Schenken wir ihm doch diese Rückrunden-Dauerkarte für den FC Ingolstadt, die spielen zurzeit doch einen ganz guten Fußball!", schlug ich vor. Die Schanzer spielten zu diesem Zeitpunkt, im Herbst der Saison 2014/15, den besten Fußball ihrer jungen Vereinsgeschichte und waren Tabellenführer der 2. Fußball-Bundesliga. "Wenn die diese Saison wirklich aufsteigen, dann haben wir nächsten Saison die Dauerkarte für die 1. Bundesliga sicher", fügte ich hinzu, "und wir haben schon sicher Karten für zumindest ein Bayern-Spiel." Mit diesem Argument konnte ich Mutter und Schwester überzeugen und das Geschenk für meinen Vater stand fest: Zwei Rückrunden-Dauerkarten für den FC Ingolstadt 04.

Nur der FCB

Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht, welche Auswirkungen dieses Geschenk auf mein Leben als Fußballfan haben würde, welches man bis dato einfach mit drei Wörtern beschreiben konnte: Nur der FCB. Aufgewachsen in Wolnzach, etwa 60 Kilometer nördlich von München und 30 Kilometer südlich von Ingolstadt, gab es für mich als Kind eigentlich nur zwei ernsthafte Alternativen: Südkurve oder Nordkurve. Rot oder Blau. Bayern oder Sechzig. Die Wahl wurde mir jedoch frühzeitig von meinem Vater abgenommen: Geprägt von den Europacup-Erfolgen des FC Bayern in den 70er-Jahren schleppte er den Sohnemann schon im frühen Kindesalter mit ins altehrwürdige Olympiastadion. Der Weg meines Daseins als Fan war also geebnet: Begleitet von Mario Basler, Stefan Effenberg, Mehmet Scholl und Oliver Kahn an den Wänden meines Kinderzimmers wurde ich zum eingefleischten Anhänger des FC Bayern München. Ich heulte Rotz und Wasser, als Manchesters Ole Gunnar Solskjaer den großen Traum vom Champions-League-Titel 1999 zerplatzen lies und ich freute mich im Mai 2001 umso mehr, als der Titan Oliver Kahn ebendiesen Titel gegen Valencia festhielt. Ich ließ keine Chance ungenutzt meinen FC Bayern in der Allianz Arena zu unterstützen und begleitete Schweini und Co. auf Auswärtsspiele nach Nürnberg, Mönchengladbach und Barcelona. Für mich war klar: FC Bayern, forever number one.

Das Erweckungserlebnis

17.12.2014, Audi-Sportpark Ingolstadt. Ich erinnere mich noch ziemlich genau an diesen nasskalten Dezembertag, als der FC Ingolstadt den Tabellenletzten aus St. Pauli empfing. Es war der erste Spieltag der Rückrunde und somit unser Premierenbesuch mit Dauerkarte in Block N. Statt Neuer, Schweinsteiger und Ribery hießen die Akteure an diesem Tag Özcan, Groß und Hinterseer; meine Begeisterung, dass ich meinen Vater an diesem frostigen Mittwochabend begleiten durfte, hielt sich folglich Grenzen.

Schon vor diesem Tag hatte ich im Laufe der letzten Saison einige Spiele des FCI besucht und konnte mich weder für den Verein und die Mannschaft noch für die kümmerliche Fangemeinde begeistern. Dieser Tag im Dezember 2014 hingegen sollte an meiner festgefahrenen Meinung rütteln. Im Gegensatz zu meinen vorherigen Besuchen bei den Schanzern, erkannt ich in diesem Spiel erstmals so etwas wie eine Spielidee, ein fußballerisches Konzept. Das laufintensive und aggressive Spiel des FCI imponierte mir: War das wirklich dieselbe Mannschaft, die letzte Saison auf Tabellenplatz 18 stand? Natürlich, das Spiel der Schanzer hatte hier und da ein wenig Leerlauf und man erkannte an der ein oder anderen technischen Unzulänglichkeit, dass hier doch fast dieselbe Elf auf dem Platz stand wie in der Vorsaison. Trotzdem: Die Hingabe und Lauffreude begeisterten mich, auch wenn der FC Ingolstadt am Ende nur mit Mühe einen 2:1-Sieg feiern konnte.

Im Verlauf der Rückrunde begleitete ich meinen Vater daher regelmäßig zu den Heimspielen und meine anfängliche Skepsis wich schnell einer wachsenden Sympathie für den Verein und vor allem für die Mannschaft des FC Ingolstadt. Im kommenden Heimspiel mussten die Aufstiegsambitionen mit einer Niederlage gegen Sandhausen zwar einen Rückschlag hinnehmen, aber in den darauffolgenden Spielen stabilisierte sich die Mannschaft von Trainer Ralph Hasenhüttl und Co-Trainer-Legende Michael Henke wieder. Am 33. Spieltag schließlich war es so weit: Gegen die ambitionierten Millionentruppe von RB Leipzig schoss ausgerechnet Stefan Lex, der zwei Jahre zuvor noch für die zweite Mannschaft von Greuther Fürth kickte, die Donaustädter mit seinem Tor in die Erste Bundesliga und ich fand mich plötzlich inmitten der Feierlichkeiten auf dem Rasen des Audi-Sportparks wieder. In erster Linie freute ich mich, dass ich mir durch den Aufstieg eine Dauerkarte für die nächste Bundesliga-Saison gesichert hatte.

Hätte mich nämlich jemand im Frühjahr 2015 nach meinem Lieblingsverein gefragt, wäre Antwort immer noch eindeutig gewesen: Nur der FCB. Spätestens seit dem Gewinn der Champions League 2013 gehörte die Mannschaft aus der bayerischen Landeshauptstadt zu den besten Vereinen Europas. Außerdem gehörten mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller drei echte Identifikationsfiguren der Mannschaft des Rekordmeisters an. Wieso sollte man sich also von diesem Verein abwenden, ausgerechnet jetzt, wo die Mannschaft den vielleicht schönsten Fußball aller Zeiten spielt?

Natürlich, die Spielweise und der Erfolg einer Mannschaft spielen eine wichtige Rolle bei der Frage, ob man Fan eines Vereins wird oder bleibt. Wer jedoch das Fan-Dasein, die Liebe zu einem Verein, nur vom Erfolg abhängig macht, wird nicht zu Unrecht als Erfolgsfan bezeichnet, einem Urteil, mit dem sich viele Bayern-Fans oftmals konfrontiert sehen. Für mich gehörten jedoch neben den Erfolgen des Vereins auch immer andere Faktoren zum Fan-Dasein dazu: Kann ich mich mit der Mannschaft, der Spielweise und den Spielern identifizieren? Kann ich die Fan- und Vereinspolitik meines Vereins vertreten? Solange ich diese Fragen mit einem deutlichen Ja beantworten konnte, gab es für mich jedoch keinen Grund meine Identität als Bayern-Fan in Frage zu stellen.

Entfremdung auf Raten

Im August 2015 begann mit dem Verkauf von Publikumsliebling Bastian Schweinsteiger jedoch eine schleichende Entfremdung von meinem Herzensverein Bayern München. Obwohl es rationale Gründe für die Trennung gab, schrie mein Bayern-Herz vor Schmerz: "Wie kann man den beliebtesten Bayernspieler der letzten zehn Jahre, das Herz der Mannschaft, einfach so verkaufen?" Die Schuldigen waren für mich schnell gefunden: Pep Guardiola und vor allem Karl-Heinz Rummenigge. Der Guardiola, der für seine Spielidee keine Rücksicht auf Identifikationsfiguren wie Schweini oder Müller nahm. Und der Rummenigge, der jenem Guardiola jeden Wunsch von den Lippen ablas und ihm blind erfüllte. Von diesem Zeitpunkt an beäugte ich das Treiben Vereinsführung immer kritischer. Die sportliche Strategie, die sich in den letzten Jahren immer mehr davon entfernte, Spieler aus der eigenen Jugend zu fördern, und lieber auf teure Transfers von Spielern aus dem Ausland setzte, war dabei nur ein weiteres Puzzlestück, das mich an meiner Loyalität zu den Bayern zweifeln lies. Neben diesen sportlichen Aspekten brachte mich noch ein weiterer Punkt zum Nachdenken: die Vereinspolitik der Bayern. Nach dem Haftantritt von Uli Hoeneß schien Rummenigge nun freien Lauf zu haben: Ob beim Thema Zentralvermarktung oder bei der erst kürzlich beschlossenen Champions-League-Reform - der Gier des Bayern-Chefs nach mehr Einnahmen schienen keine Grenzen gesetzt zu sein. Mantraartig wiederholte er die Leier von der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und schien dabei den nationalen Wettbewerb zu vergessen. Vorbei ist die Zeit, als der Manager Uli Hoeneß noch Solidarität mit den kleineren Vereinen der Bundesliga anmahnte. Eben jener Hoeneß war es auch, der den einfachen Bayern-Fan nie aus den Augen verlor. Heute kosten zwei Tickets, für das Champions-League-Achtelfinale in der mittleren Preiskategorie 180 Euro. Viele können und wollen sich das nicht mehr leisten und so bleibt der Besuch eines Bayern-Spiels, sieht man mal vom harten Kern der Südkurve ab, mittlerweile meist Besserverdienern, Fan-Touristen und vor allem Sponsoren vorbehalten. Alles in allem wurde mir immer mehr klar: Das ist nicht mehr mein FC Bayern.

Das erste Mal

21. Januar 2017, Veltins-Arena auf Schalke. Ich habe es also getan. Es ist 13 Uhr an diesem sonnigen Wintertag, als ich mit meinem Vater nach fünf Stunden Fahrt auf dem Parkplatz C1 aus dem Auto steige. "Endlich wieder ein Auswärtsspiel", denke ich und freue mich wie ein kleines Kind auf das anstehende Bundesligaspiel. Doch im Gegensatz zu den vorherigen Auswärtsfahrten gibt es dieses Mal einen kleinen, aber feinen Unterschied: Ich begleite nicht den FC Bayern, den Verein, der immer und überall gewinnen will und muss. Heute ist mein erstes Auswärtsspiel mit dem FC Ingolstadt, also dem Verein, der nach 16 Spieltagen im Tabellenkeller der Bundesliga dümpelt und ganz tief im Abstiegskampf steckt. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie von Nielsen Sports ist der FC Bayern immer noch der beliebteste Bundesligist Deutschlands. Den FC Ingolstadt hingegen unterstützen nur 0,2% der Deutschen, er ist damit der Bundesliga-Verein mit den wenigsten Anhängern in der Bundesrepublik. Etwa 400 Anhänger - und das ist sehr viel für die Schanzer - haben sich an diesem Samstagnachmittag in den Gäste-Fanblock der Veltins-Arena verirrt. Bei der Personenkontrolle für die Gästefans scheinen selbst die Security-Mitarbeiter in der Überzahl zu sein. Aber es war vor allem dieses Flair, das für mich den besonderen Reiz ausmachte: Ein kleines gallisches Dorf gegen den Rest der (Bundesliga-)Welt. Im Gegensatz zu den Galliern um Asterix und Obelix sind die Donaustädter jedoch eines meistens nicht: nämlich erfolgreich. An diesem Tag, dem ersten Spieltag nach der Winterpause sollte sich das ändern: Die Mannen um Aushilfs-Libero Roger, den unermüdlich laufenden Almog Cohen und den aufopferungsvoll kämpfenden Dario Lezcano liefern sich ein Spiel auf Augenhöhe mit den ambitionierten Schalkern. Spielerisch limitiert, aber mit totaler Hingabe halten sie ein 0:0 - leider nur bis in die 92. Spielminute. Guido Burgstaller heißt der Mann, der den 1:0-Endstand erzielt und dem FCI in meinem ersten Auswärtsspiel mit den Schanzern eine bittere Niederlage zufügt.

Und trotzdem: Diese Mannschaft, mit ihrer leidenschaftlichen und ehrlichen Spielweise, und der Verein ist mir in den letzten beiden Jahren immer mehr ans Herz gewachsen. Bis heute bin ich stolzer Besitzer einer Dauerkarte und besuche bei Wind und Wetter die Heimspiele des FC Ingolstadt. Ich habe neben meinem ersten FCI-Schal mittlerweile auch ein Schanzer Trikot gekauft. Eben jenes Trikot, das ich auch trug, als der FCI die Münchner Bayern zu Gast hatte und ich auf dem Weg ins Stadion nicht etwa den Stern des Südens, sondern Schanzer Herz, die Vereinshymne des FC Ingolstadt, trällerte. Aus dem Bayern-Fan und Ingolstadt-Sympathisant ist inzwischen ein Bayern-Sympathisant und Ingolstadt-Fan geworden. Und spätestens nach meiner ersten Auswärtsfahrt mit den Donaustädtern ist mir eines klar geworden: In mir schlägt jetzt ein Schanzer Herz.

KOMMENTARE
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ead
07.02.2017 | 13:03 Uhr
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ead : 
07.02.2017 | 13:03 Uhr
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ead : 
Hab mich irgendwie an mich erinnert gefühlt.
Bloß ist's bei mir nicht Ingolstadt, sondern der FWK

Der FCB ist für mich auch mittlerweile viel zu weit weg: nicht nur entfernungstechnisch sondern auch von der Clubpolitik her.
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