Am Sonntag hat Lewis Hamilton die Chance, zum vierten Mal in seiner Karriere Formel 1-Weltmeister zu werden. Es wäre der dritte Titel in den letzten vier Jahren. Und dennoch ist mit dem Namen Hamilton noch immer ein Makel verbunden. Vor allem in Deutschland. Hamilton werde Weltmeister nicht durch das fahrerische Können, mehr durch das Glück der Anderen, durch die Stärke des Autos, durch alles, nur nicht ich ihn selbst.
Im Rennsport ist eines klar: Man wird nicht Weltmeister ohne die passende, schnelle und zuverlässige Technik. Da ist es egal, ob der Fahrer Hamilton heißt, oder wie Anfang des Jahrzehnts Sebastian Vettel, der bei seinem Vierfachtriumph von der Überlegenheit des Red Bulls ebenso profitierte wie Michael Schumacher bei seinen fünf Titeln vom starken Ferrari. Ein schneller Fahrer kann ohne schnelles Auto keine Titel holen. Und dennoch kann nicht jeder Fahrer ein schnelles Auto auch ganz vorne platzieren. Genau das macht große Rennfahrer auch aus: Die Dominanz, die ein funktionierendes und starkes Auto möglich macht, auch in den Asphalt brennen auf verschiedensten Strecken.
Hamilton hat das nun schon mit zwei verschiedenen Teams geschafft. Vettel und Fernando Alonso, die bei der Frage nach dem besten Fahrer der aktuellen Generation im gleichen Atemzug wie Hamiltons Name genannt werden, ist dieses Kunststück nicht gelungen. Zumindest bisher.
Und dennoch: Hamilton, so unter anderem in den Kommentaren in den Sozialen Netzwerken und in Foren zu lesen, ist für die meisten in Deutschland ein rotes Tuch. Als Inselaffe und Heulmilton wird er dort verschrien. Grundlegender Respekt vor einem Menschen? Fehlanzeige. Anerkennung seiner fahrerischen Leistungen? Nicht vorhanden. Es ist auch eine Image-Frage. Die deutschen Rennfahrer der Vergangenheit, ob Schumacher, Vettel oder Rosberg glänzten nicht durch extravagante Outfits, durch viel Trubel um ihre Persönlichkeit, sondern auf der Strecke.
Klar ist, Hamilton ist eine Erscheinung. Extrovertiert, mal mit Nasenpiercing, mal mit Brilli am Ohr, oft mit Sonnenbrille vor den Augen, das Handy für die aktuellste Snapchat- und Instagram-Story sogar bei Pressekonferenzen oder Siegerehrungen immer direkt im Anschlag. Man muss das nicht mögen, so viel ist klar. Es gehört aber eben zu dem Typen Hamilton dazu. Typen, die gefragt sind. Typen, die man sich in der sonst so glattgebügelten Sportwelt doch wünscht. Hamilton ist nicht der Champion, den sich alle wünschen, aber er ist der Champion, den die Formel 1 dringend gebraucht hat in den vergangenen Jahren.
Der Glanz des Rennsports, vor allem der Formel 1, ist in den vergangenen Jahren abgeblättert. Hamilton ist ein Popstar. Verbindet seinen Sport mit Mode, Partys und anderen Nebenschauplätzen vergleichbar vielleicht mit David Beckham Anfang der 2000er-Jahre im Fußball. Der 32-Jährige bringt Glanz und Glamour, der dem Geschäft, das die Formel 1 eben auch geworden ist in den vergangenen 20 Jahren, gut tut.
Aber Hamilton ist eben nicht nur der Brilli am Ohr, der mal glänzt, aber irgendwann abfällt. Seit der überragenden, aber unnötig ungekrönten Debüt-Saison 2007, als er als Frischling dem damaligen Doppel-Weltmeister Fernando Alonso im Mclaren-Mercedes um die Ohren fuhr, hat Hamilton in jedem Jahr mindestens einen Sieg gefeiert. Auch in Zeiten, als es nicht so lief. Mittlerweile sind das elf Saisons in Folge Rekord in der langen Geschichte der Formel 1.
Besonders mit seinem Pole Positions-Rekord von 71 Qualifikationssiege beweist er seine Fähigkeit, auf den Punkt da zu sein. Der Vorwurf, Hamilton habe viel mehr Rennen als seine Kontrahenten, kann leicht widerlegt werden. Mit einer Erfolgsquote von fast 35 Prozent, liegt er weit vor Schumacher (22,15 Prozent) und Vettel (25,25 Prozent). Einzig Hamiltons Idol, Ayrton Senna (40,37 Prozent) steckt ihn dabei in die Tasche.
Auch, dass er nur in zwei Saisons schlechter war als sein Teamkollege, zeigt Hamiltons Klasse. Einer der beiden Fahrer war Nico Rosberg, der Weltmeister wurde und danach sagte, er habe alles auf diesen Sport ausgerichtet. Genau das spricht eben Bände. Rosbergs Weltmeisterschaft ist deswegen beeindruckend, weil er Hamilton schlug wenn auch mit dem nötigen Glück, als Hamiltons Motor in Malaysia in Rauch aufging. Rosberg musste alles dafür tun, sein ganzes Leben nach dem Rennsport ausrichten, um am Ende knapp vor Hamilton zu stehen. Der Mann, der jedes Wochenende woanders auf der Welt zu sein scheint, dort wieder für ein neues Modelabel Fotos macht oder mit Rihanna Partys feiert. Hamilton ist da, wenn man ihn braucht. Egal, was neben der Rennstrecke abläuft. Er macht das alles super gerne und mit großer Leidenschaft. Aber am liebsten rast er allen davon und jubelt am Ende auf dem Podest.
Weltweit ist Hamilton beliebt, bei Kollegen sowieso. Zuletzt sprach James Allison, Technikchef von Mercedes, davon, dass er überrascht von Hamilton sei. Er sei ganz anders, als Allison zunächst gedacht habe. Er ist ein Typ, der sich so gut benimmt, dass man froh ist, an seiner Seite sein zu dürfen." Vielleicht ist steckt eben doch mehr hinter dem Briten als nur funkelnde Diamanten, fette Partys und neue Fotos vom Jetset-Leben. Vielleicht ist Hamilton ja gar nicht so, wie ihn auch die Medien immer darstellen.
Was man von ihm aber weiß, nach all den Jahren: Hamilton ist ein Rennfahrer, der genau das hat, was die Größten der Geschichte ausgemacht hat. Er ist ein Typ, der im Infight noch immer gegen jeden bestehen kann. Einer, der in jedem Moment eines Rennens für ein Highlight sorgen kann, aber genauso einen langweiligen Start-Ziel-Sieg nach Hause fahren kann. Ganz unspektakulär auch wenn ihm das nicht ähnlich sieht. Seine Geschwindigkeit, seine Entwicklung, sich immer wieder aufs Neue zu konzentrieren, seine Fähigkeit, auch Rennen zu Ende zu bringen, in denen er nicht gewinnt das alles macht Hamilton zu einem wahren Champion. Einen, den die Deutschen Fans vielleicht nicht haben wollen. Aber einen, mit dem sie leben müssen. Es ist eine Frage von Hamiltons Image: Kann ich jemandem etwas gönnen, den ich aufgrund seiner Art, seiner Außendarstellung, seiner Wirkung, seines Andersseins vielleicht nicht so sehr mag? Und wenn ich es ihm nicht gönne, kann ich das alles wenigstens anerkennen oder zumindest respektieren?
Hamilton ist vielleicht der beste, aber mit Sicherheit der größte Fahrer der aktuellen Formel 1-Generation. Ob sie mögen oder nicht, anerkennen müssen sie das aber trotzdem. Denn nur mit Glück wird niemand dreifacher, geschweige denn vierfacher Weltmeister, und schon gar nicht über einen solchen Zeitraum, schon gar nicht in dieser Art und Weise. Da gehört auch schon eine ganze Menge Können dazu.
Leider trug auch RTL lange Zeit mit der sehr einseitig auf die deutschen Fahrer zugeschnittenen Kommentierung zu einem negativen Image von LH bei. Lange wurde da ja behauptet, der Wagen wäre von Schumi in seinen drei Jahren perfektioniert worden und Hamilton würde nur deshalb so stark fahren. Das ist erst in den letzten Jahren etwas ausgewogener geworden...
Der Kommentar bringt vieles auf den Punkt: Fehlender Respekt vor allem von deutschen Fans, seine absolute Professionalität an Rennwochenenden und seine unglaubliche Performance, eben auch an Samstagen. Die Rookiesaison 2007 war eine Demonstation, wie man sie nur selten erlebt hat. Der Abschnitt zu Rosberg ist meiner Meinung nach auch fair. Rosberg musste sich in einem Jahr unglaublich strecken, alles investieren um am Ende mit viel Glück (natürlich auch guter Leistung) WM zu werden.
Schlussendlich sagst du genau das, was viele (unbewusst) regelmäßig bestätigen: Die Formel 1 hat so einen Fahrer nach dem Abgang Schumachers und den allgemein schweren Jahren gebraucht. Ohne Hamilton (als ein wichtiger Teil) wären wir heute nicht da, wo wir sind. Beispielsweise vor vollen Tribünen in Houston..