So sieht also die deutsche Provinz aus. Augsburg heißt die Stadt. Sie ist irgendwie lieblich, aber sie muss auch die kälteste Stadt der Welt sein. Meine Zehen sind eiskalt, für die Finger hab ich mir heute Handschuhe gegönnt.

Ich muss mir für die nächste Winterpause was überlegen, so viel steht fest. Am besten frag ich mal bei Ailton nach. Wie der das immer so macht, wenn er länger zu Hause bleiben will - schon nicht schlecht. Aber vielleicht schieb ich auch ne Reizung am Syndesmoseband vor. Ich Fuchs.

Der Plan für nächstes Jahr ist also gebongt. Aber was passiert heute alles? Von Augsburg hab ich ja noch nie gehört. Wir gehen raus auf den Platz. Warmmachen, ich zusammen mit den anderen Reservisten.

Darf ja leider nicht von Beginn an ran. Ganz schön blöde. Und der Ze ist auch nicht dabei. Mit dem hab ich mich im Training doch immer so gut verstanden. Gut, könnte jetzt auch an der gemeinsamen Sprache liegen.

Schon auch schade, dass keiner mit mir reden will. Die anderen machen immer so lustige Sachen und lachen ständig. Ich hoffe nicht über mich. Immerhin rufen die Fans nach mir. Nur versteh ich sie nicht. Morgen im Deutschunterricht muss ich ganz besonders doll aufpassen.

Ich beschränke mich also mangels fehlender Alternativen auf ein kurzes Lächeln und winke artig zurück. Das Spiel geht los. Wir sind ganz gut, aber die Spielweise ist doch so völlig anders als zu Hause in Brasilien.

Ich hab mich auf der Bank fast ganz nach links gesetzt, weit weg vom Trainer. Links neben mir sitzt der kleine Typ mit den buschigen Augenbrauen und rechts von mir der eine Witzbold mit dem blonden Biber auf dem Kopf.

Es läuft gut, dann verletzt sich Oli Kahn. Unser zweiter Keeper, der zwischenzeitlich auch mal neben mir saß, muss ran. Kahn schießt aus Frust erst den Ball in die Zuschauerränge, danach will er dem Pfosten gezielt das Schienbein brechen.

Völlig genervt stapft er runter, das Gesicht des Trainers wird noch schmaler. Hoffentlich hau ich dem nie aus Versehen mal ein Eigentor rein. Könnte ungesund für mich enden.

In der Halbzeit machen wir uns warm. Mit dem Augenbrauen-Typ und einem anderen schieb ich mir ein paar Bälle zu, danach hauen beide ab und ich steh wieder alleine da. Plötzlich kommt einer der Betreuer auf mich zu und macht mir klar, dass ich gleich rein komme.

Jawoll, erster Einsatz. Aber die Blase drückt und ich muss vorher ganz dringend noch Pipi. Also schnell in die Kabine und laufen lassen. Ein paar Minuten später steh ich entleert und hoch motiviert auf dem Rasen.

Micho sagt mir ein paar Takte, dann geht's los. Innenverteidigung, perfekt. Da gehöre ich hin. Erster Einsatz: Ein robuster Rempler, Ball erobert, alles fair. Sauber. Meine Gegenspieler wechseln, wir übergeben ja schließlich. Mit dem kleinen Schwarzen hab ich keine Probleme, dieser wuselige Dürre aber hält mich ganz schön auf Trab.

Die Fans von den anderen zünden Raketen und Rauchbomben und Bengalos. Ein Lächeln huscht mir über's Gesicht. Fast wie zu Hause.

Wir machen das zweite Tor, ich freu mich mit. Aber auch hier wieder komisch: Keiner redet mit mir oder nimmt mich in den Arm. Noch von meinen Gefühlen überwältigt, passe ich einen Moment nicht auf.

Da dummerweise Augsburg genau jetzt seinen bisher einzig lichten Moment hat, steht der Dürre plötzlich ganz alleine vor Kahns Ersatz-Nachfolger. Ist mir schön im Rücken entwischt, der Schlingel.

Aber unser zweiter Mann ist voll da und stibitzt dem Dürren den Ball vom Fuß. Mann, wie muss dann erst unsere Nummer eins Kahn halten, wenn er mal nicht böse ist? Auf jeden Fall Glück gehabt.

Kurz vor Schluss passiert's dann aber doch. So ein Augsburger Verteidigertier packt die linke Wumme aus. Ich schön den Fuß reingehalten und fiesest abgefälscht. Der flache Ball steigt plötzlich an und hüpft über den Kahn-Ersatz-Nachfolger ins lange Eck.

"Maldito! Bosta!" (Verdammte Scheiße, Anm. d. Red.) Wäre ja auch zu schön gewesen. Jetzt wird's aber eng. Die anderen haben gewechselt, da ist jetzt einer dabei, der den Ball abschirmen kann wie Romario früher. Und ich kann machen was ich will, ich verlier auch jeden Kopfball gegen den. Unfassbar. Zum Glück ist er vor dem Tor völlig harmlos.

Augsburg macht tatsächlich noch den Ausgleich. War aber Abseits. Puh! Kurz darauf ist Schluss. Wir klatschen kurz ab, geredet wird nicht. Zum Glück müssen wir nicht auslaufen und ich kann gleich unter die Dusche hüpfen.

Die Kabinen hier gefallen mir, die erinnern mich mit ihrem Charme und dem etwas modrigen Geruch an Brasilien. Ich bin als einer der Ersten fertig und bahne mir den Weg durch die paar Journalisten. Auch die quatschen mich nicht an. Ich nehme mir fest vor, nachher noch ein paar Vokabeln zu büffeln und drehe den Spieß beim nächsten Mal einfach um, hehe.

Draußen toben ein paar Kinder vor dem Mannschaftsbus. Ich hab jetzt aber keine Lust auf Autogramme schreiben und lümmle mich in den Bus. Zwanzig Minuten später geht's zurück in die neue Heimat.

Ich bin ganz schön geschafft. Nach der Ankunft mit Mama und Papa noch ein schönes Glas Milch und dann ab in die Heia. Alles in allem war mein erster richtiger Arbeitstag in Deutschland ja schon ganz nett. Ein bisschen kalt vielleicht, aber nett.