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30.11.2016 | 6666 Aufrufe | 0 Kommentare | 0 Bewertungen Ø 0.0
Warum sich Barca und Real so hassen
Mehr als ein Spiel
Wie zerissen das Land Spanien ist, zeigt sich am Sonntag im Clasico

Mitten in Barcelona, unweit der Plaça de Catalunya, steht eine riesige Betonschüssel. Seit 1957 prägt sie das Bild der Mittelmeerstadt. Die Betonschüssel ist ein Blickfang im dicht gedrängten mediterranen Häusermeer. Es ist das Camp Nou, das größte Fußballstadion in Europa.
Vor allem wenn langsam die Nacht hereinbricht, verbreitet es seine imposante Wirkung.
Drei Ränge ragen unter gleißendem Fluchtlicht in den Abendhimmel. Es ist ein gewaltiger, ein auratischer Ort, der jeden Besucher sofort in seinen Bann zieht.
Wenn in diesem riesigen Oval der FC Barcelona seinen Gegner empfängt, werden 98.000 Fußballverrückte einen gigantischen Chor bilden und ihre Vereinshymne singen: Tot el camp! És un clam! - Das ganze Stadion! Es ist ein Geschrei! So lauten die ersten Zeilen der Barca-Hymne.
In diesem Moment wird dann die Betonschüssel zu einem blau-roten Hochofen. Das Camp Nou verschluckt die Kleinen, in ihm ist kein Platz für schwache Mannschaften. Doch am Samstag gastiert hier nicht irgendwer. Der nächste Gegner ist Real Madrid - spanischer Rekordmeister, amtierender Champions-League-Sieger.

"El clásico" - so wird das Duell zwischen Barca und Real Madrid genannt. Es ist das Aufeinandertreffen der beiden besten Vereinsmannschaften der Welt, es ist die Schlacht um Spanien, wie die Tageszeitung Marca einst titelte.
Doch wenn Barcelona auf Madrid trifft, dann geht es um mehr als nur drei Punkte. "El clásico" ist auch die medienwirksame Bühne für einen politischen Konflikt. Denn der FC Barcelona verkörpert die Region Katalonien, die die Unabhängigkeit von Spanien anstrebt. Und in den Augen der leidenschaftlichen Barca-Anhänger steht Real Madrid stellvertretend für die verhasste spanische Zentralregierung.
Barcelona wird in dieser Rivalität eine besondere Rolle zuteil. Weil sie von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen ist, bleibt die Existenz einer katalanischen Fußballmannschaft fast unbeachtet. Barca ist stattdessen der Repräsentant der Region. Aus einem Fußballspiel wird politische Symbolik: Katalonien gegen Spanien.

Ein alter Konflikt

Bei internationalen Begegnungen wird im Camp Nou ein großes Banner aufgehängt. "Catalonia is not Spain" steht darauf.

Es ist die Spitze eines alten politischen Konflikts. Denn bis zu Beginn des 18. Jahrhundert war Katalonien ein eigenes Königreich. Doch in Folge des Erbfolgekrieges musste es sich der Herrschaft des spanischen Zentralstaats unterwerfen und verlor sämtliche Privilegien einer Selbstbestimmung. Damit begann eine Abneigung gegen Spanien, die bis heute Bestand hat.
Später, Anfang des 20. Jahrhunderts, kam es in der stolzen Region nach und nach zu einer Rückbesinnung auf die eigenen historischen und kulturellen Wurzeln.
Katalane zu sein, wurde für die Menschen immer wichtiger. Als aber 1939 Francisco Franco nach dem drei Jahre dauernden Bürgerkrieg in Spanien endgültig an die Macht gekommen war, ließ er sämtliche Unabhängigkeitsbestrebungen unterdrücken.

Neben Katalonien gab es damals auch im Baskenland, also den industrialisierten Regionen des Landes, den stärker werdenden Wunsch, eigenständig zu werden. Doch der Diktator wusste das zu verhindern. Franco agierte radikal und furchteinflößend und ließ, wenn notwendig, seine Gegner eiskalt exekutieren. Die katalanische Sprache und Kultur wurden verboten.

In dieser Zeit wurde der FC Barcelona zum katalanischen Symbol gegen die diktatorische Herrschaft Francos. Hier, bei den Heimspielen Barcas, konnten sich die Menschen erlauben, Katalanen zu sein. Die Betonschüssel wurde zu einem Ort, der für das Regime nicht zu kontrollieren war.

Die Geburtsstunde der Feindschaft zwischen Barca und Real fällt für viele Beobachter ins Jahr 1943: Real Madrid, der Lieblingsverein des Diktators, hatte sein Heimspiel gegen Barcelona mit 11:1 gewonnen. Doch die Barca-Spieler waren zuvor von der Polizei eindringlich "gewarnt" worden, die Partie zu gewinnen. Es war von Anfang an ein abgekatertes Spiel - mit Barca als Leidtragendem.

El clásico war geboren: Das regimetreue Real Madrid gegen die aufständischen Katalanen.

Das weiße Ballett

In den vierziger Jahren konnte der Hauptstadtclub nicht einen nationalen Meistertitel gewinnen.

Auch zu Beginn der 50er Jahre dominierten andere den Fußball auf der iberischen Halbinsel. Atlético Madrid gewann 1950 und 1951 die Meisterschaft, 1952 und 1953 war der FC Barcelona an der Spitze.
Danach aber machte Real Madrid auf sich aufmerksam. Und zwar eindrucksvoll. Präsident Santiago Bernabéu, nach dem heute das Stadion benannt ist, baute ein schlagkräftiges Team um den damaligen Superstar Alfredo Di Stéfano zusammen. Ab 1956 schafften es die Hauptstädter, den Europapokal der Landesmeister viermal in Folge zu gewinnen. Es ist bis heute die erfolgreichste Zeit in der Vereinsgeschichte - das weiße Ballett war geboren.
Der Club hatte somit etwas, was dem Regime unter Franco bis dahin gefehlt hatte: internationale Anerkennung. Nachdem das nationalsozialistische Deutsche Reich und das faschistische Italien unter Mussolini den zweiten Weltkrieg verloren hatten, war auch der spanische Faschismus international diskreditiert. In Westeuropa hatte Spanien während des Kalten Krieges lediglich Portugal an seiner Seite. Umso willkommener waren da die glorreichen Siege von Real Madrid.

Der Diktator starb 1975. Nach dem Tod Francos erhielt Katalonien eine beschränkte Selbstverwaltung zurück.

Doch die Unterdrückung der Region war damit noch nicht zu Ende. Erst letztes Jahr berichtete der katalanische Schriftsteller Albert Sánchez Piñol in der ZEIT, dass die spanische Regierung "regelmäßig ein Gesetz gegen die katalanische Sprache und Kultur verabschiedet oder zumindest Politik dagegen" betreiben würde. Die jüngste Kränkung für die Katalanen: Die Gesetze zur Pädagogik, die darauf angelegt sind, "das katalanische Schulmodell zu zerstören. Wenn nur ein Kind kastilisch spricht, müssen die Lehrer die Unterrichtssprache von Katalanisch auf Kastilisch ändern." Piñol fragt sich deswegen: Warum ist Katalonien eigentlich noch in Spanien?

Im Rest des Landes ist die Region an der Grenze zu Frankreich unbeliebt. Viele Spanier sind genervt von den Katalanen. Sie gelten als sparsam und eigen, weil sie eine eigene Sprache sprechen.

Das Land ist gespalten

Die Unabhängigkeitsbewegung gewann in den letzten Jahren an Dynamik. Im Jahr 2015 wurden die Regionalwahlen in Katalonien zu einem Quasi-Referendum: Soll Katalonien eigenständig werden oder nicht?

Dafür haben sich die Konservativen sogar mit den Linken zusammengeschlossen. Es gab im Grunde nur ein Wahlkampfthema: die Unabhängigkeit.
Die Katalanen fordern ein Referendum wie es Schottland hatte, als es um die Frage ging, ob die Schotten Teil des Vereinigten Königreichs bleiben wollen oder nicht.
Es geht um das Recht auf Selbstbestimmung, sagen die Separatisten. Es wäre ein Rückschritt in längst überwunden geglaubte Kleinstaaterei, sagen die Gegner.
Die nach Unabhängigkeit strebenden Parteien haben sich bei der Wahl durchgesetzt. Für sie geht es jetzt darum, die Abspaltung voranzutreiben.

Längst sind viele Emotionen im Spiel. Es geht um Stolz, um Ehre, um Identität.

Der prominenteste Befürworter der Unabhängigkeitsbewegung: Star-Trainer Pep Guardiola. Der ehemalige Bayern-Coach, durch und durch Katalane, wirkt sonst schüchtern und wortkarg. Doch ein eigenständiges Katalonien ist für ihn eine Frage des Herzens, nicht des Gesetzes:

"Es sind viele Leute, die gehört werden wollen. Und wenn es so viele sind, dann gibt es kein Gesetz, das das verhindern kann."

Artikel zwei der spanischen Verfassung schreibt die "unauflösliche Einheit der spanischen Nation" vor. Aber auch das Recht auf Autonomie der "Nationalitäten" und "Regionen" ohne beide Begriffe zu definieren.

Spanien ist tief gespalten. Das Land steckt wirtschaftlich nach wie vor in einer Krise. Den Katalanen geht es im Durchschnitt aber besser als dem Rest des Landes.
Die Region Katalonien seit dem Autonomiestatut 1978 viele Rechte eingeräumt bekommen. Madrid hat der Autonomieregierung ´zahlreiche Kompetenzen, etwa in der Wirtschafts- oder Gesundheitspolitik abgegeben. Das reicht den Katalanen aber nicht. Etwa 20 Prozent des spanischen Bruttoinlandsprodukts stammen aus Katalonien. Die Region kann über ihre Steuereinnahmen aber nicht frei verfügen, Finanzpolitik ist Sache der Regierung in Madrid. Das ärgert die Katalanen und hat die Unabhängigkeitsbestrebung verstärkt.

Die wirtschaftliche Stärke der Region ist ein Hauptgrund, warum die Regierung in Madrid um Regierungspräsident Rajoy die katalanische Unabhängigkeit unbedingt verhindern möchte. Die Verfassung Spaniens sieht einen solchen Fall gar nicht vor. Aber ein echtes Gegenangebot gibt es nicht.

Katalonien indes gibt sich gerne jetzt schon als eigene, selbstbewusst auftretende Nation. In Berlin, nahe dem Checkpoint Charlie, weht über einem großen Bürogebäude die katalanische Flagge. Hier residiert die Vertretung von Katalonien in Deutschland mit über 200 Mitarbeitern. Es gibt einen Regionalminister für auswärtige Angelegenheiten. Es ist eine Provokation in Richtung Madrid. Katalonien begreift sich selbst als Nation und tritt damit in Gegensatz zu dem gesamtstaatlichen Anspruch, den Madrid für sich formuliert.

Natürlich gibt es auch innerhalb Kataloniens Zweifler und Gegenstimmen. Die volkswirtschaftlichen und politischen Auswirkungen einer Abspaltung sind nicht absehbar.

Der FC Barcelona hat ungeachtet aller Rechenspiele und Spekulationen jetzt schon klar Position bezogen: Pro Katalonien. In den vergangenen Jahren provozierte der Verein gerne mit seinen Auswärtstrikots, die rot-gelb gestreift waren. Sie ähnelten stark der katalanischen Flagge.
Das offizielle Clubmotto lautet més que un club - Mehr als ein Verein. Es ist ein Statement an die Welt: Barca steht für Freiheit und Unabhängigkeit.

Sportliche Rivalen, politische Gegner

Die Regionalregierung hat als Ziel ausgegeben, 2017 ihre Region und die 7,5 Millionen Katalanen in die Unabhängigkeit zu führen. Die Regierung in Madrid kündigte bereits an, das zu blockieren. Die Fronten sind verhärtet. Die Auseinandersetzung zwischen Zentral- und Autonomieregierung nimmt immer mehr die Züge eines Grabenkrieges an. Politik wird mit allen Mitteln betrieben.
Den Katalanen wurde mit dem Ausschluss ihres geliebten FC Barcelona aus der Liga gedroht, sollten sie für die Unabhängigkeit stimmen. Doch die Drohung scheint nicht zu wirken.
Beim Champions-League-Finale 2015 in Berlin hatten Barca-Fans katalanische Flaggen ins Olympiastadion geschmuggelt und entsprechende Gesänge angestimmt. Eine Woche zuvor standen sich Barca und Athletic Bilbao im Finale um den spanischen Pokal gegenüber. Bilbao liegt im Baskenland, das sich ebenfalls abspalten will. Aus Angst vor Protesten gegen die Regierung wurde die Begegnung von Madrid nach Barcelona verlegt. Als der Marcha Real, die spanische Hymne vor der Partie gespielt wurde, gab es im ganzen Stadion ein hasserfülltes Pfeifkonzert.

Dass die Fans des FC Barcelona ihre Abneigung gegen Spanien so offen zur Schau stellen, provoziert Real Madrid und dessen Anhänger. In den Augen der Barca-Fans steht der Hauptstadtclub für alles, wovon sich Katalonien frei machen möchte: die faschistische Vergangenheit, Zentralspanien, Königstreue. Und so wird der politische Konflikt auch in den Fußball getragen.
Am Wochenende wird das nächste Duell der Erzrivalen stattfinden. Die Betonschüssel mitten in Barcelona ist seit Wochen ausverkauft.
Die Erwartungen an die Partie sind riesig. Für die Anhänger des FC Barcelona ist das Spiel womöglich noch bedeutsamer als für die von Madrid. Die Katalanen haben das Bedürfnis zu jubeln, zu beben, ein gemeinsames Abenteuer zu erleben und dem politischen und sportlichen Feind zu zeigen, wozu ihr Katalonien in der Lage ist.
Für viele ist es ein Spiel zwischen den Hauptstädten zweier Länder. Catalonia is not Spain.
Wenn die beiden Mannschaft in die riesige Betonschüssel einlaufen, dann werden 98.000 Fußballverrückte lautstark ihre Vereinshymne singen. Das ganze Stadion! Es ist ein Geschrei! Sie singen voller Inbrunst und Stolz. In ihrer eigenen Sprache - auf Katalanisch.

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