Edition: Suche...
21.09.2011 um 16:29 Uhr
Körperkultur ahoi!
In Berlin regieren in der nächsten Zeit unter anderem, man höre und staune, die Piraten. Im Parteiprogramm enthalten sind Kernpunkte, wie: "Bürgerrechte verteidigen" oder "Transparenz - die Abkehr vom 'Prinzip der Geheimhaltung'". Rein objektiv, wertungsfrei und noch ungetestet betrachtet, ein durchaus erfrischendes Angebot im doch eher grauen Bürokratenwirrwarr der Republik. Stehen sie doch für Revolution im Sinne des kleinen, ganz normalen Mannes. Ein Hauch von David gegen Goliath auf parteipolitischer Ebene. Die Gesinnung nach Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Transparenz war am Sonntag aber nicht nur der Bundeshauptstadt vorbehalten.

Mehr als tausend Worte
In Niedersachsen, genauer im europäisch euphorisierten Hannover kam es in der Partie gegen den deutschen Meister zu einer überraschenden Wendung. 96 drehte die Partie innerhalb von zwei Minuten zu seinen Gunsten. Die Tribünen standen bereits nach dem 1:1 Kopf und wenig später gab es kein Halten mehr. Der in dieser recht jungen Saison noch nicht oft zum Einsatz gekommene Didier Ya Konan war nach dem 2:1, seinem ersten Saisontor, derart erleichtert, dass er sich in seiner Freude dazu hinreißen lies, kurzzeitig mehrmals an seinem Trikot zu zupfen. Ein Schelm, wer böses denkt!

Im Zuge des Augenblickes erschienen ihm je ein Blatter Sepp auf der linken und der rechten Schulter als Entscheidungshilfen. Gekleidet in Engels- beziehungsweise Teufelsgewändern flüsterten sie dem kleinen Ivorer zu: "Zieh es aus! Tu es! Tu es!", hauchte der Rote ihm ins Ohr. "Du kennst die Konsequenzen. Lass es an", erwiderte die engelsgleiche Gestalt. Hin- und hergerissen kämpfte Ya Konan mit sich und seinem Gewissen, das den Emotionen immer weniger Freiraum zur Entfaltung ließ. Schlussendlich total verwirrt am Ende seines Jubelpfades angekommen, wich die Freude der Leere. Ein Gesichtsausdruck, mehrsagend als tausend Worte füllte Millionen Fernsehbildschirme. Er behielt sein Trikot an, aber gelassen wirkte Ya Konan nicht.

Sicherlich eine individuelle Geschichte, aber die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Bestrafung für eine derartige "Entblößung" muss gestattet sein. Der Einwand des Zeitspiels kann hier nicht geltend gemacht werden. Ganze Tanzkurse finden sich regelmäßig an Eckfahnen zusammen, um auf eine, teilweise recht amüsante Art und Weise, ihrer Freude Ausdruck zu verleihen. Nicht zu vergessen sind natürlich die Schuhputzer, die seltene Spezies der Raupenläufer oder der allseits bekannte "Ich-roll-mich-in-eine-Matte-ein"-Giovane Elber.

Kultureller Wellengang
Ursprünglich angedacht war die Unterbindung, da es in einigen Kulturen als moralisch verwerflich gilt, entkleidete männliche Oberkörper zu zeigen. Ein nicht zu vernachlässigendes Argument, allerdings wäre hier zu bedenken, dass Trikottausch oder auch nur das Anheben des Trikots zur, wie sagt man so schön, Entschweißung des Kopfes ebenfalls "missbraucht" werden und daher auch einer Zensur unterliegen müssten. Zudem bleibt zu differenzieren, ob der Betroffene denn auch wirklich nichts drunter trägt. Ein Unterhemd zu präsentieren birgt nur leider dieselbe gelbe Karte in sich. In der heutigen Zeit ist ein Fußballdress mehr denn je nur ein Mittel zum Zweck. Spieler haben größtenteils die Möglichkeit weite sowie enganliegende Textilware für ihren Körper zu wählen.

Werbetechnisch mag es in den Sekunden vom Übertreten des Balles der Torlinie bis zum Re-Überstreifen des Jerseys einigen Freiraum geben. Kämen meistens nicht doch noch aus den letzten Ecken des Spielfeldes Mannschaftskameraden zum Gratulieren vorbei, die den selben Sponsor auf der Brust tragen, könnte man der Theorie fast glauben schenken. Wer aber mal ein Fußballspiel besucht hat, weiß, wie schwierig es ist zu erkennen, wie viel Bier sich noch in seinem mit Werbung bedruckten Becher befindet, ohne von oben reinzugucken. Die Reizüberflutung durch Werbepräsenz ist beim Fußball eh schon fast nicht zu übertreffen.

Kurswechsel
Insgesamt ist die Verhältnismäßigkeit zwischen grobem Foulspiel und dieser "Unsportlichkeit" nicht erkennbar. Hat die Situation keinen direkten Einfluss auf den weiteren Spielverlauf, was beim Vorgang "Trikotausziehen" nicht gegeben ist, wäre eine andere Lösung, z. B. ähnlich der jetzigen "Respect"-Kampagne der UEFA, weitaus prägnanter. Man muss Dinge verstehen und nicht fürchten, um sie richtig bewerten zu können und dementsprechend zu interagieren. Wenn es moralische Bedenken seitens Kulturen gegen diese Art des Torjubels gibt, hilft Aufklärung an den ausführenden Organen, den Spielern, sicher mehr als stupides Bestrafen mittels einer gelben Verwarnung. Eine Selbige ist etwas Negatives. Die Weisheit der Gewalt mit der Gegengewalt kennt jeder, und aufgrund dieser ist der Lernfaktor recht niedrig anzusetzen. Vielleicht hätte Didier Ya Konan erst gar nicht darüber nachgedacht und sich stattdessen auf andere Dinge konzentriert: voller Freude zu Feiern.

In der mittlerweile taktisch geprägten Welt des Fußballs sind Faktoren wie Karten zu wichtig, um damit Spieler zu belasten, die im Grunde genommen nichts Unfaires im sportlichen Sinn getan beziehungsweise sich unerlaubt einen Vorteil verschafft haben. Der Transport von Botschaften, sei es auf T-Shirts oder als Tätowierung mag dem einen oder anderen nervig erscheinen, aber diese fallen, solange niemand persönlich angegriffen wird, unter Meinungs- oder Religionsfreiheit einer demokratischen Gesellschaft.

Fußballpolitisch bedarf es in dieser Hinsicht einer erfrischenden "Revolution" im Regeldschungel der FIFA, angeführt von Schiffkapitän Didier Ya Konan.



Aufrufe: 6219 | Kommentare: 11 | Bewertungen: 24 | Erstellt:21.09.2011
ø 9.2
KOMMENTARE
Um bewerten und sortieren zu können, loggen Sie sich bitte ein.
Jacks_Rabbit
21.09.2011 | 17:07 Uhr
0
0
21.09.2011 | 17:07 Uhr
0
immer gern kritik und meinungen
0
donluka
22.09.2011 | 16:03 Uhr
1
0
donluka : 
22.09.2011 | 16:03 Uhr
0
donluka : 
Ich finde diesen Blog (wie auch Deine anderen Werke) sehr, sehr stark! Du zeigst Dich insgesamt sehr vielseitig. Zudem ist der Ausdruck top und auch die Aussage kann ich zu 100% unterschreiben!

10P!
1
Jacks_Rabbit
22.09.2011 | 17:30 Uhr
1
0
22.09.2011 | 17:30 Uhr
0
danke, danke
1
DerDugen
26.09.2011 | 16:36 Uhr
2
0
DerDugen : 
26.09.2011 | 16:36 Uhr
0
DerDugen : 
Ursprünglich angedacht war die Unterbindung, da es in einigen Kulturen als moralisch verwerflich gilt, entkleidete männliche Oberkörper zu zeigen.

das ist tatsächlich der Grund?! na super, in anderen kulturen ist es verpönt, frauen fussball spielen zu lassen oder man lässt sie nur in ganzkörper-anzügen herumlaufen, konsequenterweise müsste die fifa darauf auch reagieren.

ähnliches gilt doch dann letztlich für beachvolleyball, Schwimmsport, Eislaufen, eiskunstlaufen, etc. pp

irgendwo muss man eine grenze ziehen; man kann es nicht allen recht machen.
2
Luizinho
26.09.2011 | 16:41 Uhr
0
0
Luizinho : 
26.09.2011 | 16:41 Uhr
0
Luizinho : 
Kann mich den anderen nur anschließen. Gut und unterhaltsam zu lesen.

Zum Trikotausziehen. Keinerlei Verständnis. Hatte ich noch nie. War das nicht auch in den 90gern noch erlaubt?

FIFA usw. haben panische Angst vor politischen Botschaften imo.
0
tedtudor
26.09.2011 | 22:30 Uhr
0
-1
tedtudor : 
26.09.2011 | 22:30 Uhr
-1
tedtudor : 
Hallo allerseits


Interessantes Thema, bei dem ich die allgemeine Meinung jedoch nicht teilen kann. Meiner Ansicht nach ist das Sanktioneren des Trikot-Ausziehens eine vertretbare Massnahme.

a) Kann dieser Torjubel unter Umständen zu einer Spielverzögerung führen. Man denke an die WM 2002, als Adidas (und Nike(?)) diese Trikots mit einem inneren Netzstoff produzierten. Diese Trikots konnten schweissgetränkt nicht so schnell wieder übergestreift werden. Man denke daran, dass gewisse Fussballer schon mit einfachen, breit geschnittenen Überzieh-Shirts so ihre liebe Mühe haben...

b) Kann nicht davon die Rede sein, dass durch das Trikot-Ausziehen "Emotionen eingeschränkt" werden. Vielmehr wird einer absolut unnötigen narzistischen Neigung vieler Fussballer Einhalt geboten. Diese Pose ist nicht Ausdruck der Freude über ein Tor, sondern der puren Selbstdarstellung. Selbstdarstellung hat nichts mit Sportsgeist zu tun, denn Fussball ist ein Mannschaftssport... An den Punkt mit den Emotionen anschliessend:

c) Wenn die Emotionen zum Trikotausziehen so stark wären, wieso sieht man diese Unsitte dann kaum von Athleten in anderen Sportarten? Im Fussball wurde/wird das so inflationär gemacht, dass das Verbot Sinn macht.

d) Wenn das so ein natürlicher Drang ist, dass man(n) sein Hemd auszieht, wieso wurde es dann bis in die 90er-Jahre von kaum einem Torschützen praktiziert?

e) Nur weil andere übertriebene Torjubel-Arten nicht sanktioniert werden, bedeutet dies nicht, dass dieses Verbot falsch ist. Beim Trikot-Jubel kann man eine klare Grenze ziehen: Sobald das Trikot über dem Gesicht ist, gibt's den gelben Karton.

f) gehört das Trikot zur Ausrüstung eines Fussballspielers. Die Schuhe oder die Stulpen, Schienbeinschoner zieht ja auch kein Schwein aus... (die Hosen habe ich bewusst nicht erwähnt, da Vucinic dies bereits getan hat... Sehr respektvoll gegenüber dem gegnerischen Team, in Unterhosen zu feiern...)
0
chuteirosazuis
26.09.2011 | 22:44 Uhr
0
0
26.09.2011 | 22:44 Uhr
0
Ich mag mich täuschen, aber ich dachte, der Sinn dieses Verbots bestünde in dem Prinzip, dass ein Spieler sein Trikot solange anbehalten muss, wie er auf dem Spielfeld steht.
Damit sollte verhindert werden, dass z.B. anlässlich eines Torjubels beim Trikotausziehen heimlich die Trikots getauscht werden.
So könnte beispielsweise ein mit gelb vorbelasteter Spieler seine bestehende Verwarnung mitsamt seinem Trikot an einen nicht verwarnten Spieler "übertragen". (z.B. ein Verteidiger an einen Offensivspieler, der in der Regel weniger Foul spielen muss)
Hab ich mal so gehört. Weiß nicht, ob das wirklich der Hintergrund ist, aber das wäre noch der nachvollziehbarste Grund für die Regelung.
0
Jacks_Rabbit
27.09.2011 | 10:18 Uhr
0
0
27.09.2011 | 10:18 Uhr
0
ganz so dramatisch sehe ich das nicht. zum thema selbstdarsteller fallen mir aber immer auch z.B. raul ein (den ich als fußballer und persönlichkeit sehr schätze), der des öfteren zum jubeln zwar sein trikot nicht auszieht, aber mit dem rücken zum publikum läuft und mit beiden daumen auf seinen namen zeigt. oder die spieler die mit ausgebreiteten armen zur fankurve laufen und sich feiern lassen. ist natürlich eine subjektive geschichte, welche jubelarten man für angebracht hält.

sonst ist trikot ausziehen sicherlich heute mehr in mode, als noch vor 15 jahren, und vielleicht ist es in 15 jahren nicht mehr so populär. weiß man nicht, wobei ich maradona auch schon mit trikot in der hand hab jubeln sehen. die bestrafung an sich finde ich allerdings nicht gerechtfertigt, es sei denn, wie du schon sagst, es wird daraus zeitspiel. dann gibt es, wie bei jeder art von spielverzögerung, zurecht die gelbe karte.

@chuteirosazuis
das sind ja schon fast mourinhosche taktiken
0
Sanna
27.09.2011 | 10:26 Uhr
0
0
Sanna : 
27.09.2011 | 10:26 Uhr
0
Sanna : 
Also ich bin ja auch total dagegen, dass das Trikot ausziehen sanktioniert wird...
0
DerDugen
27.09.2011 | 17:04 Uhr
0
0
DerDugen : 
27.09.2011 | 17:04 Uhr
0
DerDugen : 
Wenn das so ein natürlicher Drang ist, dass man(n) sein Hemd auszieht, wieso wurde es dann bis in die 90er-Jahre von kaum einem Torschützen praktiziert?

das argument überzeugt mich nicht, es gibt viele dinge, die früher nicht gemacht wurden;

Vielmehr wird einer absolut unnötigen narzistischen Neigung vieler Fussballer Einhalt geboten.

kann ich nicht unterstützen.
0
COMMUNITY LOGIN
Du bist nicht angemeldet. Willst Du das ändern?
Benutzername:
Passwort:
 

Wir aktualisieren unsere Nutzungsbedingungen und unsere Datenschutzrichtlinie. Wir haben neue Community-Richtlinien zur Inhaltsnutzung - Verhaltenskodex eingeführt und mehr Informationen darüber bereitgestellt, wie wir Ihre Daten erheben und nutzen. Indem Sie unsere Website und unsere Dienste weiterhin nutzen, stimmen Sie diesen Aktualisierungen zu.
Neueste Kommentare
isEgal
Artikel:
hmmm das macht doch sonst der bvb Ein Spieler der 1 gute Saison spielt wird
25.04.2024, 02:35 Uhr - 20 Kommentare
Realmadrio
Artikel:
Würde echt gut zu Barca passen. Wird der hier gehighlightet weil Bayern Grad
25.04.2024, 02:35 Uhr - 11 Kommentare
mustrum
Artikel:
vermutlich musste barca wieder umschwenken, weil sie flicks transferwünsche
25.04.2024, 02:35 Uhr - 20 Kommentare
isEgal
Artikel:
Die Bayern brauchen einen Trainer wie in der Vergangenheit Hitzfeld, Heyncke
25.04.2024, 02:34 Uhr - 75 Kommentare
SoccerDealz
Artikel:
Die Post-Klopp Ära ist ungewiss, das ist schon mit einem gewissen Risiko ver
25.04.2024, 02:16 Uhr - 0 Kommentare
isEgal
Artikel:
Sie kritisieren ja nicht den Spieler an sich sondern den spielertyp. Das Han
25.04.2024, 02:13 Uhr - 20 Kommentare
Gurkengott
Artikel:
Ich denke Toni sollte sich in Bescheidenheit üben und mit den 5 Titel zufrie
25.04.2024, 01:15 Uhr - 19 Kommentare
LegendeHE
Artikel:
Defense von Luka war gestern tatsächlich on Point! In Spiel ein war es phase
25.04.2024, 00:53 Uhr - 44 Kommentare
Kompetenz_
Artikel:
Ich zähle 8 Titel, auch wenn da natürlich auch kleinere dabei sind. Aber bei
25.04.2024, 00:51 Uhr - 18 Kommentare
LegendeHE
Artikel:
Das war allein von der Einstellung her ein ganz anderes Mavs Team als in Gam
25.04.2024, 00:44 Uhr - 131 Kommentare