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22.02.2010 um 20:23 Uhr
Keine Religion im Stadion!
Stuttgarts Stürmer Cacau steht fürs erste wieder im Mittelpunkt. Am Samstag in Köln erzielte er vier Tore und war dementsprechend der gefragte Mann des Abends, musste/durfte/konnte/sollte allenmöglichen Sendern aus allenmöglichen Medien Fragen beantworten. Als er vom ZDF, ausgestrahlt im ASS, gefragt wurde, woher er denn seine Stärke beziehe, antwortete er prompt: „Das kommt von Jesus, er gibt mir die Kraft."[1] Schön und gut, denkt sich der geneigte Fan. Aber was hat das mit Fußball zu tun? Gehören religiöse Zurschaustellungen nicht genauso aus dem Stadion verbannt wie Politik? Die Personalie Cacau macht die Sache noch ein wenig brisanter. Denn zu Nürnberger Zeiten pflegte er nach einem Treffer das Trikot hochzuziehen und Botschaften à la „Jesus liebt dich" darunter zum Vorschein kommen zu lassen. Das ging solange, bis die FIFA mit Verboten eingriff, auch der einfache Buchstabe „J" war wegen des bekannten Hintergrunds und der eindeutigen Absicht zuviel des Guten. Man argumentierte unter anderem damit, dass sich arabische Zuschauer davon angegriffen fühlen könnten. Immerhin wird die Bundesliga auch dort übertragen. Dass auch einheimischen Fans diese Bekenntnisse ein Dorn im Auge sein könnten, auf die Idee kam man nicht.
Cacau und auch andere tief religiöse Spieler, zumeist Brasilianer, halten dagegen, dass sie auf dem Feld ihren Glauben nicht einfach vergessen könnten und „zum Neutrum mutieren"[2]. Aber genau das müssen sie, denn sie sind nunmal keine Geistlichen, sondern Sportler. Und als solche tragen sie eine Verantwortung gegenüber allen Interessierten. Nicht nur gegenüber denen, die ihre Konfession teilen. Im Spiel werden sie ja auch tendenziell eher an die Vorgaben ihres Trainers denken, als an die Bergpredigt. Von Anpfiff bis Abpfiff hat es weder auf dem Rasen, noch in der Kurve eine Bedeutung, welcher Religion, politischen Richtung, sexuellen Neigung o.ä. man folgt. Es geht nur einzig und allein um den Fußball. Und genau das müssten selbst die Brasilianer akzeptieren.

Cacau und seine Landsleute haben jedes Recht, ihren christlichen Glauben außerhalb des Spielfelds in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen, ihre Prominenz und Popularität für die eigenen Werte und Ideale zu nutzen und auch entsprechend zu antworten, wenn sie gezielt nach ihren Motiven gefragt werden. Das ist ja der Sinn hinter Meinungs- und Religionsfreiheit. Nur: Freiheit ist keine Einbahnstraße. Auf den Gedanken, dass sie mit ihren eindeutigen Botschaften im Stadion, während des Spiels und unmittelbar danach, Anders- oder Nichtgläubige beleidigen, verletzen oder wenigstens genervt die Augen rollen lassen, kommen sie nicht. Dass manch einer diese Form der Propaganda (sie empfinden es nicht als solche, aber doch ist sie es) sogar schamlos oder widerlich finden könnte – keine Spur. Und man kann es ihnen nicht einmal vorwerfen, denn in ihrem Heimatland Brasilien spielt er Glaube nunmal eine immanent wichtige Rolle. Jedoch spielen sie nicht in Brasilien, sondern in Deutschland. Der bekannteste Sechstligaspieler der Nation, Ailton, bemerkte neulich treffend: „In Deutschland läuft der Karneval anders, als ich ihn kenne. Hier ziehen sich alle komisch an – in Brasilien immer alle aus."[3] Ja – und in Deutschland haben wir nicht nur ein anderes Religionsverständnis, sondern auch unabhängige Medien (zumindest laut Eigenaussage, wenn es darum geht, die Zwangskunden zur Gebührenzahlung zu erinnern/mahnen), die ihre Pflicht zur Neutralität ernst nehmen und Aussagen wie jene Cacaus letztlich aufgrund des deplatzieren, irrelevanten Inhalts streichen. Könnte man meinen.

Nehmen wir an, Franck Ribéry hätte am Samstag in Nürnberg vier Tore geschossen (was vielleicht auch ein wenig Wunschdenken des Autors ist, aber gut...), wäre anschließend gefragt worden, woher er denn seine Stärke nehme und der gläubige Moslem hätte geantwortet: „Von Allah! Ich habe vor dem Spiel in Richtung Mekka gebetet und daher bezog ich meine Kraft!" Hätte das ZDF das gesendet? Hätte die ARD das ganz selbstverständlich auf seine Homepage gestellt, direkt unter einen Spielbericht, und diese Aussage auch noch als „bescheiden" gelobt? Hätten sie eines der großen Vorbilder, einen der größten Namen des Fußballs in Deutschland Werbung für einen nicht-christlichen Glauben machen lassen, wie sie es am Samstag für Cacau und Jesus getan haben? Wie groß wäre der Aufschrei gewesen? Haben die Öffentlich-Rechtlichen nicht eine Verpflichtung zur Neutralität? Muss sich ein seriöser Sportreporter nicht die Frage stellen, ob die Antwort „Das kommt von Jesus, er gibt mir die Kraft." wirklich in ein Interview zum Spiel gehört? Diese Fragen sind rhetorischer Natur und genau das sollte zu denken geben.

Ein anderes Beispiel findet sich in der Hamburger HSH Nordbank Arena. Dort hängt regelmäßig ein Banner mit ebenfalls eindeutiger christlich-religiöser Botschaft. Und hier ist nicht von einem kleinen Banner die Rede, den – außer den in Reichweite sitzenden Zuschauer – kaum jemand sehen kann. Die Rede ist von einem Banner in großen Lettern, sogar in den HSV-Farben blau und weiß. Mit welchem Recht hängt er dort? Was hat Jesus mit Fußball zu tun? Ohne wirklich eine Ahnung zu haben, was es mit dem Banner wirklich auf sich hat – aber geht der Fan, der diesen Banner aufhängt auch konsequenterweise in die Kirche seiner Wahl und drückt dem an der Wand hängenden Jesus einen HSV-Schal in die Hand? Wären die gläubigen Kirchgänger darüber nicht zurecht entrüstet? Wäre eben jener HSV-Schal an diesem Ort nicht genauso deplatziert, wie ein religiöser Banner im Stadion? Und würde es der Verein zulassen, direkt neben dem religiösen Banner eine atheistische Botschaft aufzuhängen, wie sie schon in einer Mehrzahl deutscher Städte auf Bussen nicht zugelassen wurde?[4] Schon wieder rhetorische Fragen. So traurig es ist.

Dieses kleine und eigentlich unscheinbare Interview hat gezeigt, dass sich DFB-Präsident Zwanziger, der ja ungemein darauf bedacht ist, die Toleranz und Integrationsfähigkeit im deutschen Fußball zu betonen, vielleicht neben Rassismus und Homophobie einem weiteren Themenfeld öffnen sollte.

Es ist Fußball. Profisport. Und im Profisport hat Religion nichts verloren. Egal welche Religion.

Nachweise:
[1] http://www.sportschau.de/sp/fussball/news201002/20/koeln_stuttgart.jsp
[2] http://www.welt.de/welt_print/article2921906/Fromme-Fussballspieler-in-der-Defensive.html
[3] http://www.bild.de/BILD/sport/fussball/2010/02/15/ailton/das-ist-der-karnevals-wagen-des-uerdingen-stars.html
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Atheist_Bus_Campaign
Aufrufe: 5232 | Kommentare: 23 | Bewertungen: 10 | Erstellt:22.02.2010
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KOMMENTARE
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Raz
24.02.2010 | 13:27 Uhr
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Raz : 
24.02.2010 | 13:27 Uhr
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Raz : 
@FabianPramel: Wenn es so war, wie von dir beschrieben, dann widerlegt das meine Theorie nicht, denn eine solche Aussage wirst du von jedem gläubigen Mensch bekommen. Man hat ja seinen Hintergrund beleuchtet, in der Absicht ihn besser kennen zu lernen und ohne es gesehen zu haben bin ich mir relativ sicher, dass nicht sein Glauben als Grundlage für die sportliche Leistung zementiert wurde, wie es bei Cacau und anderen der Fall ist. Ich drück's noch mal deutlicher aus, mal wieder durch ein rein hypothetisches Szenario: Am Wochenende schießt ein atheistischer Spieler (wenn es homosexuelle geben soll, wird der ein oder andere ja auch dabei sein) vier Tore und sagt später in die Kameras: "Ich glaube nicht an einen Gott und diese Freiheit hat mir die Kraft gegeben, heute vier Tore zu schießen." Glaubst du ersthaft, das würde keinen Aufschrei des Entsetzens nach sich ziehen?

@xperte84:
Ist ja interessant, meine Theorien sind "Kaffeesatzleserei", deine Annahme, dies würde nur wenige stören, nicht? Meine Argumente haben zumindest einen logisch aufgebauten Hintergrund. Und deine? Wenn sich kaum jemand daran stört, warum wurden diese Jesus-Shirts u.ä. dann von höchster Instanz, der FIFA, verboten? Dein Fazit würde ich genauso unterstreichen. Aber wenn es wichtigeres gibt, warum tun es Cacau, Bordon & Co. dann so überdeutlich? Und weil sie es tun, wieso sollte dann nicht darüber geredet werden dürfen?
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celticfc
24.02.2010 | 13:43 Uhr
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celticfc : 
24.02.2010 | 13:43 Uhr
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celticfc : 
erstmal: interessanter blog, gut geschrieben!
zur diskussion:
ich persönlich kann es nicht verstehen wie sich jemand durch die aufschrift "Gott gibt mir kraft" oder "Jesus liebt mich" oder so verletzt fühlen kann. er redet ja nur von sich und solange nicht die intension zu erkennen ist andere missionieren zu wollen, kann ich da nix verwerfliches dran erkennen:

wennn du dich richtig über religion im fussballstadion aufregen willst geh mal nach glasgow
bsp alex fergusson: wurde von den rangers rausgeschmissen weil er ne katholiken (!!) geheiratet hat!
bsp: artur boruc: hat sich im spiel vor den rangers fans bekreuzigt, was diese zum asoluten ausrasten gebracht hat

nur 2 von hunderten solcher bsp!
da hättest du dann n richtigen grund dich aufzuregen!
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Raz
25.02.2010 | 12:51 Uhr
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Raz : 
25.02.2010 | 12:51 Uhr
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Raz : 
"er redet ja nur von sich und solange nicht die intension zu erkennen ist andere missionieren zu wollen, kann ich da nix verwerfliches dran erkennen:"

=> Genau die Intention lässt sich aber daraus ableiten. Bewusst oder Unbewusst benutzen sie ihre Prominenz und Vorbildfunktion, um für ihre Religion zu werben und das finde ich schon verwerflich. Im aufgeführten Artikel von der Welt steht: "Kritiker argwöhnen, die Sportler würden allzu eifrig für ihr Netzwerk werben und Mannschaftskollegen bedrängen. Auf Schalke hielten sich Gerüchte über Auseinandersetzungen mit Frank Rost und Ailton, die Bordon zu engagiert habe überzeugen wollen."

Die Sache mit den Rangers und Celtic habe ich schon erwähnt, aber da geht es meines Erachtens mehr um gegenseitige Provokationen. Wenn Boruc wüsste, dass es die Rangers noch mehr ärgern würde, dass er ihnen den blanken Hintern zeigt, würde er auch das tun. Die Bekreuzigung ist hier nur ein Mittel zum Zweck. Das ist eine andere Ebene - trotzdem aber ebenso Argument dafür, dass solche Sachen aus dem Stadion fern bleiben sollten.
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