Ruhige und sachliche Analysen? Das ist Schnee von gestern! Seb_Blah und RoyRudolphusAnton schießen sich die Argumente nur so um die Ohren und diskutieren über aktuelle Themen aus der Welt des Sports. Heute: Die DFB-Streichkandidaten.
Warum Erik Durm zum Stammspieler avancieren könnte und warum die Schalker erstmals seit 1994 keinen WM-Kicker stellen, lest Ihr hier...
RoyRudolphusAnton: Draxler wird überschätzt
Ein Nationalspieler, der in aller Öffentlichkeit uriniert. Ein Bundestrainer, der högschde Disziplin predigt und (wiederholt) als Verkehrsrowdy auffällt. Eine profilierungssüchtige Unternehmung, die sich abschottet, aber Zeit für Marketing-Aktivitäten findet. Dass diese in einem Unglück münden, ist eine zynische Laune des Schicksals; die Tragik lindert es freilich nicht.
Ob Kevin Großkreutz noch als Vaterlandsvertreter taugt? Muss jeder selbst wissen. Ich setze die Personal - vor die Prinzipienfrage, Sport vor Knigge, und sage ja. Variabel einsetzbare Defensivakteure haben gute Karten in diesen aufgeregten Tagen.
Das Beispiel Großkreutz zeigt schon, dass Jogis Entschlackungskur vorhersehbar geworden ist. Wenn Löw drei seiner 27 Akteure zur Auslese entsendet, dürften die Sensationen ausbleiben. Für mich war die Nichtberücksichtigung von Mario Gomez ein Anlass zum Stirnrunzeln: Irgendwo nachvollziehbar, wenn man Verletztenvita und Löw'sches Standing betrachtet; angesichts der Nominierung Sami Khediras dennoch unverständlich, weil die Regel zwar der Ausnahme folgt, drei Gehversuche nach Kreuzbandriss aber nicht für eine Ausnahme genügen (können). Siehe Lissabon.
Dass es beim dauermaladen Ilkay Gündogan nicht für Brasilien reichen würde, war lange absehbar. Sven Benders Malaise kam nicht minder überraschend, hinter Bastian Schweinsteiger prangt ein mittelgroßes Fragezeichen, selbst die Konstante Philipp Lahm kuriert eine Blessur aus - nicht die erste der Saison. Spätestens, als Lars Bender den Daumen senkte, avancierte Christoph Kramer zur unabdingbaren Alternative. So schnell kann's gehen.
Marcel Schmelzer ist eine ordentliche Besetzung auf der linken Seite, kein Überflieger, aber international geprüft. Erik Durm halte ich - auf Dauer - für die stärkere Variante, präferiere in der Dortmunder Auslese jedoch Schmelzer. Meine These: Bei der EM 2016 erleben wir Durm als Stammkraft.
Aus ähnlichen Gründen verzichte ich auf Shkodran Mustafi, der im Test gegen Polen eine ansehnliche Visitenkarte abgab. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass sich Matthias Ginter schon bald zu einem gefragten Mann entwickelt. Ein südamerikanischer Schnupperkurs unter Extrembedingungen schadet nicht. Deshalb: Vorteil Ginter, keine Rose für Mustafi.
Streichkandidat Nummer drei wäre Julian Draxler. Um ehrlich zu sein, ist der Schalker nicht einmal ein Härtefall. Die Meinung mag unpopulär sein, aber für mich wird Draxler überschätzt, was die gehobene Klasse anbetrifft. Sicher, er ist flink, fintenreich und (immer noch!) 20 Jahre jung. Mehr Talent denn Führungsspieler. Außerdem hat Draxler eine komplizierte Saison hinter sich, erst verletzt, dann nicht auf Touren. Jedenfalls für seine Verhältnisse.
Unter dem Strich zählen Konstanz und Ist-Zustand, also die Fähigkeit, zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Verfassung zu sein. Da fällt Draxler durch mein persönliches Sieb. Das Angebot an Offensivvirtuosen, gerade auf den Außenbahnen, ist derart üppig, dass Bundestrainer RoyRudolphusAnton den Schalker aussortiert. Reus, Götze, Müller, Podolski, Schürrle, auch Volland, dazu Özil - wir bewegen uns inzwischen in Verhältnissen, die anno 2000 zu kühnen Träumen geführt hätten. Draxler ist, Stand 2014, schlicht überflüssig.
Seb_Blah: Gomez nur die Nummer fünf
Joachim Löw beging seinen größten Fehler, als er den Medien mitteilte, dass er einschließlich 100 Prozent fitte Spieler in seinen erlesenen Kreis der 30 möglichen WM-Fahrer aufnehmen werde. Gut, der Bundestrainer konnte natürlich nicht ahnen, dass seine Stammkräfte in einer Verletzungswelle untergehen, wie es zuletzt 2010 der Fall gewesen war. Dennoch mutet seine Aussage in der Nachbetrachtung wie ein schmerzvoller Schnitt ins eigene Fleisch an.
Trotzdem hat Löw meiner Meinung nach in den Fällen Khedira und Gomez die richtige Entscheidung gefällt. Zum einen ist diese systemgeschuldet: Jogi hat mit der Nominierung von nur zwei Vollblut-Stürmern klar gemacht, dass er mehr den je auf Ballbesitz und Kombinationsfußball setzen und an der eigentlich schon aus der Mode geratenen (weil mittlerweile auch von der Abwehr stoppbare) falschen Neun festhalten will. Wir sollten uns nicht wundern, wenn Klose und Volland in Brasilien zu Bankdrückern werden. In diesem Zuge ist Sami Khedira als Dreh- und Angelpunkt im Spielaufbau unverzichtbar, Mario Gomez verkommt dagegen zu einem entbehrlichen Spieler einer fast schon anderen Generation.
Zum anderen hat ein auch zu 80 Prozent fitter Khedira eine Klasse, die man auf seiner Position vergeblich sucht. Ganz zu schweigen von der Turniererfahrung, die er mittlerweile mitbringt. Selbst pünktlich zum Auftaktspiel wäre ein Mario Gomez vermutlich nicht besser gewesen als ein Max Kruse oder ein Stefan Kießling, auch wen letzterer wohl nur bei einem abrupten Trainerwechsel im Kader gestanden hätte. Für den bloggenden Bundestrainer Seb_Blah hat der reale Bundestrainer Löw also richtig entschieden auch wenn die Entscheidung Volland für Kruse anzufechten ist.
Kommen wir zu der Suche nach den drei Streichkandidaten, die angesichts der vielen Jünglinge im Kader leicht anmutet. Kollege RoyRudolphusAnton schlägt vor, auf einen Linksverteidiger zu verzichten, ich halte so eine Entscheidung, übertrieben ausgedrückt, für wahnsinning. Schmelzer und Durm sind die einzigen echten Linksverteidiger im Kader, Allzweckwaffe Kevin Großkreutz sehe ich persönlich eher rechts. Bei allem Respekt vor dem Ehrgeiz und dem Einsatz des Dortmunders und unabhängig von seinen Eskapaden der vergangenen Wochen: Großkreutz sieht auch gerne mal eine gelbe Karte und sollte der zuletzt nicht komplett fitte Schmelzer auch mal eine Pause brauchen, wäre eine Sperre fatal. Daher fliegt bei mir auch kein Linksverteidiger.
Viel mehr sind die überflüssigen Akteure in der Innenverteidigung zu suchen. Wie Roy sehe ich auch Matthias Ginter vor Shkodran Mustafi, bedingt durch die Variabilität des Freiburges. Mustafi fliegt also schon mal. Dann folgt allerdings ein Schalker: Benedikt Höwedes gehört für mich nicht in den 23er-Kader für Brasilien. Warum mag sich so mancher fragen. Nun, die Flexibilität von Höwedes, auch nach außen ausweichen zu können, wird im Notfall auch von Jerome Boateng abgedeckt. Sieht Joachim Löw Philipp Lahm als Rechtsverteidiger, Wären die Außenbahnen mit Großkreutz und Lahm sowie Durm und Schmelzer exzellent besetzt. Mit Hummels, Boateng und Mertesacker verfügt man dann über drei hervorragende Innenverteidiger, dahinter folgt noch Matthias Ginter. Ich ziehe den Freiburger dem Schalker vor, weil im defensiven Mittelfeld ein größerer Bedarf besteht als auf den Außenpositionen.
Mein dritter Streichkandidat eliminiert auch den letzten Schalker aus dem DFB-Kader. Julian Draxler ist für mich in der stark besetzten Offensive aktuell das schwächste Glied, vielleicht gemeinsam mit Lukas Podolski, der aber nach einer verletzungsgeplagten Saison sicherlich bei der WM seine Rolle finden wird und bei Löw augenscheinlich ein besseres Standing als der junge Schalker, der seine Turniertauglichkeit im Gegensatz zu Poldi auch noch beweisen muss. Der gute Roy bringt es auf den Punkt: Draxler wäre 2000 wohl der absolute Überflieger in der Ribbeck'schen Auswahl gewesen, jetzt taugt er wohl nicht mal für die Brasilien-Bestbesetzung.
Bildquelle: spox.com
10 ist sowieso obligatorisch.