Ihr kennt das sicherlich, es ist Samstag, zweiter Tag der Euro 2012 und Abends spielt die Nationalelf. Die Anspannung wächst von Minute zu Minute. Kaum auszuhalten das Ganze. Also Kopf frei kriegen und mit dem Hund raus. Geklappt hat es natürlich nicht. Zwei Stunden mit dem Fahrrad herum gurcken und trotzdem nur das Spiel im Kopf! Zu Hause angekommen (es ist gerade vier Uhr) ist dann das erste Nerven-Bierchen fällig. Das Telefon wird gezückt. Wo gucken die Kollegen? Verschiedene Optionen bieten sich: Kneipe, Sofa und EM in HD und mit Superzeitlupe, oder die Kollegen einladen. Aber viele sind genauso planlos wie ich. Erstmal ein Nikerchen machen...

Punkt 18 Uhr schrecke ich hoch! Fernseher läuft noch, also Ton an! Anspannung an! Noch 2 Stunden und 45 Minuten! Bierchen und dann ist flux entschieden, dass ich mich voll auf beide Spiel konzentriere und alleine gucke! Zwei Stunden und 45 Minuten mit perfekter Unterhaltung später: Der Anpfiff! Endlich der Tag ist überstanden. Herzklopfen! Überlegungen kommen auf, dass man sich das in höherem Alter wohl nicht mehr zu muten sollte. Bloß gut, dass man jetzt nicht selber kicken muss. Als Favorit und mit den Erwartungen der ganzen deutschen Öffentlichkeit auf den Schultern - definitiv nichts für mich.

Das Spiel geht also los! Ich sehe ein für mich extrem unterhaltsames Match. Das Tempo ist gut. Nicht wirklich schnell, aber ordentlich, wenn man den Druck bedenkt, der auf den 22 Akteuren lasstet. Ihr kennt das flaue Gefühl in den Muskeln wenn ihr extrem angespannt und aufgeregt seid? Vor allem das taktische Verhalten beider Mannschaften ist für den Fußballkenner ein Genuss. Dies hatte ich nicht unbedingt erwartet - immerhin sind die Nationalmannschaften erst kurz beisammen. Da zeigt sich einfach die gute Arbeit von Bento und Löw. Bento hat seine Portugiesen extrem gut eingestellt. Veloso, Mereilles und Moutinho bilden eine defenise Dreiherreihe im Mittelfeld und machen es zusammen mit der gesamten Portugiesischen Elf (auch Nani und Ronaldo!) der deutschen Mannschaft fast unmöglich das gewohnte Kombinationsspiel aufzuziehen. Daher also meine erste zentrale These: Das wir unser Kombinationsspiel nicht aufziehen konnten und nicht so oft nach vorne kamen lag an der perfekten Defensivleistung der Portugiesen. Erinnerungen an die Spiele gegen Portugal in den neunziger Jahren werden wach. Es wird deutlich, was ich vorher erwartet hatte: Es ist ein enges Duell auf Augenhöhe. Für solche Spiele gelten drei Regeln:

1) Es wird wahrscheinlich eine Aktion das Spiel entscheiden!
2) Du brauchst Geduld (Nerven)!
3) Du brauchst Glück!

Die erste Hälfte geht zu Ende. Ich habe ein Spiel gesehen in dem es auf beiden Seiten Chancen gab, die Mannschaften sich taktisch excellent verhielten und die Deutschen meiner Meinung nach optisch überlegen waren. Es war für alle beteiligten ein hartes Stück Arbeit. In der zweiten Hälfte bewahrheiten sich dann alle drei Regeln für enge Kisten. Das Niveau des Spieles sinkt etwas. Könnte an dem Wetter gelegen haben (Lahm: "Sauna"). Taktisch immer noch alles Top. Weiterhin ein Genuss - dazu die Spannung. Was für ein Spiel! Dann kommt Gomez! Draussen Raketen. Ich schreie und renne durchs Zimmer - der Hund bellt. Für den Rest des Spiels...

Bangen, Zittern ... und Schluss! Das Spiel ist aus! Ich denke mir noch was für ein Spiel. Neuer, Boateng, Badstuber, Hummels und Gomez ganz stark. Der Rest ausreichend bis befriedigend. Khedira zwar wichtig im Team und mit der entscheidenen Aktion, aber deutlich steigerungsfähig - wie Schweini. Sie hatten es aber auch mit am schwersten, da es im zentralen Mittelfeld extrem eng war. Von Aussen hätte mehr kommen können. Da war Portugal meinem Gefühl nach anfälllig. Müller hat das mit zunehmender Spieldauer immer besser gemacht. Poldi war bemüht, aber technisch einfach zu schwach. Kopf runter und druff war gegen diese Portugiesen zu wenig. Das Defensivverhalten war titelreif - mit wenigen Ausnahmen.

So das war der Eindruck, den ich vom Spiel hatte - wie gesagt isoliert zu Hause und hoch konzentriert. Dementsprechend groß war die Überraschung in der Nachbesprechung des Spieles. Unzufriedenheit macht sich breit. Zu ideenlos nach vorne. Kein Kombinationsspiel. Schweini nicht zu sehen. Gomez schwach. Gomez schwach?

Also Scholli. Von einem Trainer der irgendwann bei Bayern Chef sein will, erwarte ich mehr taktisches Verständnis und eine bessere Spiel-Analyse. Klar Gomez ist nicht der beste Fußballer. Passspiel, Übersicht, Ballannahme teilweise durchaus verbesserungsfähig. Aber darum ging es bei diesem Spiel doch gar nicht. Die Mitte war dicht. Da bleibt einem Stürmer im 4-5-1 nur die Kämpfer Rolle. Offensiv zählen Dinge wie das Abschirmen des Balles und das Lücken reißen, in die die Aussenspieler mal stoßen können. Defensiv muss die zentrale Spitze auf beiden Seiten immer wieder Gengner anlaufen.

"Gomez, Özil und Müller achteten beim Anlaufen der gegnerischen Innenverteidiger darauf, dass diese den Ball nicht nach außen spielen konnten. Oft wurde auch Bruno Alves als einzige Anspielstation für die Portugiesen gelassen." (http://spielverlagerung.de/2012/06/09/deutschland-portugal-10/)

Gomez musste also in viele Zweikämpfe mit den IVs und lief viele Gegner in meist hohem Tempo an. Das ist anstrengend. Ich stelle mir Scholli dabei vor...
Meine zweite These lautet: Gomez sah nicht gut aus, weil die Aussenspieler zu wenig machten. Lahm und Podolski waren hier noch einmal deutlich schwächer als Boateng und Müller. Khedira unterstützte oft (z.B. beim Tor) die rechte oder linke Seite. Da hätte von Schweini mehr kommen können. Es können aber auch nicht beide zu offensiv spielen - gerade in so einem Spiel.

Meine Dritte These lautet: Die Kritik einiger Experten fiel auf Grund mangelnder Qualifikation und chronischem Unterschätzen der Portugiesen deutlich zu negativ aus. Mir ist auch bewusst, dass das kein Spiel für ein Fanfest und die meisten Fans war, aber von Kitikern erwarte ich treffendere Analysen. Es könnte aber auch sein, dass die Kritik Schollis erste Amtshandlung war. Das ist schon Hoeness like. Den eigenen Spieler so anzustacheln. Er hat ja auch gesagt, es solle auch Trainer geben die einen Job hätten und bei der ARD rumstünden ( zum Thema: Dick Advocaats Vertrag beim PSV beginnt am Finaltag).

Ich empfehle euch zu dem Thema "Analyse des Spiel" noch mal die Analyse bei Spielverlagerung.de (link oben). Es bleibt festzuhalten, dass ich die realistischte Einschätzung von Jogi Löw gehört habe. Einem echten Fachmann eben!