Am 7. Juli 2012 startete der FC Schalke 04 mit hohen Erwartungen in die Vorbereitung auf die Bundesliga- und Champions-League-Spielzeit 2012/2013. Nach einer guten Vorsaison und Tabellenplatz 3 hatte man keinen großen Aderlass zu beklagen- mit einer Ausnahme: der Señor, Raúl Gonzales Blanco, seines Zeichens wohl größter Superstar der Klubgeschichte, verließ die Königsblauen mit Ende seines zweijährigen Vertrages Richtung Katar. Doch waren sich die Verantwortlichen offenbar einig, dass man den eingeschlagen Weg der Konsolidierung weitergehen sollte und man mit U21-Nationalmannschaftskapitän Lewis Holtby sowie dem ebenfalls blutjungen, im Ruhrgebiet aufgewachsenen Julian Draxler geeignete Alternativen in den eigenen Reihen habe und somit kein Geld in die Hand nehmen müsse, um Raúl durch einen kostspieligen Transfer zu ersetzen.

Die beiden Talente, die zuvor bereits zur Stammformation zählten- Holtby im defensiven Mittelfeld, Draxler auf dem linken Flügel- sollten sich einen Konkurrenzkampf um die frei gewordene Position Rauls hinter der einzigen Spitze Klaas-Jan Huntelaar liefern. Der damalige Schalker Trainer Huub Stevens gab während der Saisonvorbereitung zu verstehen, dass es mehrere Kandidaten gebe, die auf der 10 spielen können. Doch kristallisierte sich rasch Holtby als erste Alternative heraus, zumal für ihn mit Roman Neustädter ein ablösefreier Ersatz im Defensivverbund gefunden wurde. Draxler blieb auf der linken Außenbahn, beteuerte aber am liebsten in der Mitte zu spielen. Allerdings müsse er noch einige gute Spiele zeigen, um auch in der Bundesliga dort zu stehen.

Schalke startete gut in die Saison, in der Bundesliga galt man spätestens nach dem 2:1-Auswärtssieg in Dortmund am 8. Spieltag als erster Verfolger des durch die Liga marschierenden, späteren Meisters Bayern und in der Königsklasse errang man sieben Punkten aus den ersten drei Spielen, wobei man unteranderem beim Londoner Vorzeigeverein FC Arsenal 2:0 gewinnen konnte. Bei den beiden erwähnten großen Siegen fehlte Draxler allerdings wegen eines Unterarmbruchs, sodass auch sein Stammplatz auf links zwischenzeitlich von Barcelona-Leihgabe Ibrahim Afellay eingenommen wurde. Schalkes beste Saisonphase betrachtete das Supertalent also nur von Bank und Tribüne. Als Draxler wieder in die Mannschaft integriert wurde, geriet S04 in eine handfeste Krise, die nach nur fünf Punkten aus den letzten sieben Rückrundenspielen und dem Abrutschen auf den 7. Tabellenplatz in der Entlassung Stevens mündete und zur Einstellung des bisherigen U17-Coaches Jens Keller als Cheftrainer führte. Dass dieser nach nur zwei Tagen Vorbereitungszeit gegen starke Mainzer aus dem DFB-Pokal ausschied, tat sein Übriges. Immerhin konnte man die Champions-League-Gruppe B als Sieger beenden und sich so für das Achtelfinale qualifizieren.

Die Hinrunde war für die Ansprüche des Jung-Nationalspielers Draxler bescheiden verlaufen, wenn gleich man bei einem herkömmlichen 19-Jährigen bei einer
Bilanz von 22 Pflichtspielen, sechs Toren und vier Vorlagen niemals ein solches Attribut verwenden würde.
In der Winterpause wurde schließlich publik, dass der im Laufe der Vorrunde von starken Formschwankungen befallene Lewis Holtby den Revierklub Richtung London zu den Tottenham Hotspurs verlassen werde. Dazu kam, dass Afellay sich schwer verletzte, sodass Schalke gezwungen war, auf dem Transfermarkt aktiv zu werden. Jeweils zur Leihe kamen die beiden brasilianischen Offensivspieler Michel Bastos (Lyon) und Raffael (Kiew).
Dennoch sollte in der Rückrunde die Stunde des Julian Draxler schlagen: Für sein erstes Spiel auf der von ihm favorisierten Zehner-Position am 20. Spieltag gegen Schlusslicht Greuther Fürth bekam er zwar ordentliche Kritiken, jedoch endete die Partie mit einer 1:2-Niederlage in einem mittelschweren Desaster für die Schalker. Doch in der Folge sollte Draxler sich auf seiner neuen Position festspielen. Mit ihm in dieser Rolle gewann die Mannschaft vom 23. bis zum 28. Spieltag fünf von sechs Spielen, darunter auch ein erneuter Derbysieg gegen den BVB, Draxlers 100. Pflichtspiel für Schalke. In einem so jungen Alter hatte das vor ihm noch niemand erreicht.

Sein stärkstes Spiel machte er aber wohl beim Champions-League Achtelfinal-Rückspiel gegen Galatasaray Istanbul: Nach einer unterirdischen ersten Hälfte des gesamten Teams und einem daraus resultierenden 1:2 Pausenrückstands, der das Ausscheiden bedeutet hätte, riss Draxler das Spiel an sich, wie man es auf diesem Niveau wohl selten von einem 19-Jährigen zu sehen bekommt. Er leitete den Ausgleichstreffer ein und vergab später selbst die große Möglichkeit zum Führungstor. Dass man schließlich dennoch ausschied, konnte dem Jüngsten im Team, der in diesen Wochen zur Führungsfigur aufstieg, am wenigsten angelastet werden.

Seinen Anspruch auf eine Führungsrolle untermauerte er Ende März im Aktuellen Sportstudio des ZDF. Hier gab er an, nicht mehr der kleine Junge zu sein, sondern nach mittlerweile mehr als zwei Jahren im Geschäft ein so gesundes Selbstvertrauen zu besitzen, dass er auf und neben dem Platz vorangehen möchte. Außerdem sei es sein Traum, eines Tages für einen Riesenverein zu spielen. Dass er Schalke 04, den immerhin zweitgrößten Klub Deutschlands, nicht als einen solchen sieht, war durchaus hinaus zu hören.
Doch etwaigen Wechselabsichten schob Manager Horst Heldt schon im Vorfeld einen Riegel vor: Der Hype um Jule nimmt nie ab. Aber wenn sich jemand für ihn bei mir meldet, in welcher Sprache auch immer, lege ich gleich auf.
Doch auf Grund Draxlers Aussagen, sowie kolportiertem Interesse aus Dortmund und München, kam seine Vertragsverlängerung bis 2018 Anfang Mai dennoch überraschend. In einer eigens anberaumten Pressekonferenz wurde die Unterschrift verkündet und ihm sein neues Trikot mit der prestigeträchtigen Rückennummer 10, das er ab der kommenden Saison tragen wird, überreicht. Auch diese Geste spiegelt die ungemeine Wertschätzung wieder, die er dieser Tage auf Schalke erfährt. Zudem stellte der Klub acht Kleinlaster bereit, die mit Plakaten und der Aufschrift Julian Draxler: Mit Stolz und Leidenschaft bis 2018 geschmückt waren, um durch das gesamte Ruhrgebiet zu fahren und die frohe Kunde an alle Schalke-Fans zu übermitteln. Nicht zuletzt wohl ein kleiner Seitenhieb gegen den Erzrivalen Borussia Dortmund, der sein Eigengewächs Mario Götze kurz zuvor wegen einer Ausstiegsklausel und trotz des BVB-Werbe-Slogans Echte Liebe an den FC Bayern verlor.

Gerüchten zu Folge ließ sich allerdings auch Draxler eine solche Klausel in seinen Vertrag schreiben, deren Höhe wohl bei 45 Millionen Euro liegt. Damit bewahrt er sich die Möglichkeit eines vorzeitigen Abgangs, sofern ein interessierter Verein bereit ist, die veranschlagte Summe zu zahlen. In diesem Falle wäre Schalke machtlos und der Spieler dürfte mit dem Verein verhandeln.
Doch das ist Zukunftsmusik, in der nächsten Saison wird Julian Draxler wohl definitiv in Blau-Weiß auflaufen.

Die Bundesligasaison beendete Schalke auch dank eines weiterhin überragenden Draxlers, der in den letzten Spielen wieder auf dem linken Flügel eingesetzt wurde, auf einem milde stimmenden vierten Tabellenplatz, der zur Teilnahme an der Qualifikation zur Champions-League berechtigt.

Nach seiner formidablen Rückrunde beendete Julian Draxler die Saison mit 39 Pflichtspielen, 13 Toren, davon zehn in der Meisterschaft, und sieben Torvorlagen.
Mittlerweile ist er also auf dem besten Wege die Lücke zu füllen, die sein früherer Mitspieler und Vorbild Raúl hinterlassen hat. Und wer weiß, vielleicht wird eines Tages nicht mehr der Spanier, sondern der Gladbecker als größter Star der jüngeren Schalker Vergangenheit gelten.