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16.04.2012 um 07:57 Uhr
Erwecke den Rudi in dir
Während andere Vereinsoffizielle mit Vorliebe für Geschwätz daherkommen, gibt es irgendwo im Westen der Republik einen grauhaarigen Lockenwickler von unnachahmlicher Natur. Im Gegensatz zum Rest der Bruderschaft greift er auch gegen die Medien durch und zeigt allen, ob sie nun wollen oder nicht, wo der Hammer hängt.

Grauer Star
Früher hat man sein Temperament noch für das Zünglein an der Waage gehalten und seine verbalen Eskapaden deshalb schnell verdrängt. Spätestens nach der gemeinsamen Abstiegsverarbeitung vor laufender Kamera mit Andi Brehme erkannte man ihn auf der Straße nur noch völler Respekt, wie üblich stieg damals übrigens der 1. FC Kaiserslautern ab. Rudi Völler ist ein Unikat, schon immer gewesen. Als Stürmer eine echte Garantie für Treffer am Fließband, so gut wie regelmäßig seinen Verteidigern eine Locke voraus, stellte er die Weichen für einige Exportschlager, die aus der Bundesliga in die Serie A noch folgen sollten. Bei internationalen Turnieren fürchteten und bewunderten sie ihn. Rudi war halt wer. Nur einer hatte schon damals, anno 1990, keinen Respekt vor Tante Käthe: der fiese Spucker Frank Rijkaard.
Und als sich besagter Rudi dann zum Ende seiner Karriere auf ein Intermezzo bei Bayer 04 Leverkusen einließ, nahm man ihm das nicht mal übel. Wer würde so etwas nicht zum Ende einer großen Karriere wagen? Mitte der 90er Jahre hielt man noch nichts von Ausflügen in die US-amerikanische Major League Soccer, da musste man halt in den Westen der Republik, nach Leverkusen. Sonst nicht unbedingt das begehrteste Ziel altgedienter Weltmeister.


Anhänger der Zen-Meditation: Rudi Völler

Alle Macht der Teilzeitkraft
Aber so einer wie Rudi tritt ja nicht einfach ab. Nein, der macht auch in Leverkusen gut Tore und überlegt sich bereits in den 90er Jahren, was er denn so im neuen Jahrtausend anstellen könnte. Als Typ mit Format muss ein Job mit Verantwortung her. Rein zufällig fiel besagtem Held des deutschen Fußballs direkt im neuen Jahrtausend die Anstellung als DFB-Teamchef in den Schoß, die er vorübergehend bekleiden sollte. Durch einen unbedeutenden Kokain-Lapsus eines anderen wortgewandten und eigentlich für die Stelle vorgesehenen, aber eher grobnäsigen Trainers wurde aus dieser Teilzeitstelle als DFB-Übungsleiter ein unbefristetes Abenteuer, das sogar in einer glücklichen Finalteilnahme bei der WM 2002 gipfelte. Entgegen anderslautender Behauptungen konnte Deutschland gegen allerhand Großmächte siegen, wobei das einzige Spiel gegen eine Mannschaft aus der Top 10 der Weltrangliste leider verloren ging. Es war trotzdem sein großer Verdienst, das man es bis dahin schaffte. Ein damaliger Leverkusener mit nicht ganz so starker Lockenausprägung musste ja auch unbedingt das Finale schwänzen. Vakant. Rudi war unser Held. Wer sonst hätte das Wunder vollbracht?
Sollte sich irgendjemand noch heute für die fußballerische Qualität der deutschen Auswahl zu Zeiten der WM in Südkorea und Japan interessieren, so sei derjenige gewarnt, denn leider ist es bei diesem Turnier wie mit verträumten Kindheitserinnerungen: im Nachhinein neigt man zum Ausschmücken der glorreichen Vergangenheit. Mit Vorsicht zu genießen.

Fluch der (guten) Taten
Rudi behielt das Ruder in der Hand und führte die DFB-Auswahl auch zur EM in Portugal, die dann leider weniger erfolgreich verlief. Nach einer desolaten Gruppenphase gegen die Niederlanden (1:1), Lettland (0:0) und abschließend Tschechien (1:2) war zeitig Schluss, auch für ihn. Nach dem Turnier hing er den DFB bzw. seine Anstellung an den Nagel. Unvergessen aus der Zeit nach der erfolgreichen WM bleibt aber vor allem ein Interview im Anschluss an das EM-Qualifikationsspiel gegen Island, welches 0:0 endete. Waldi Hartmann bekam den Frust des erweckten Völlers mit voller Wucht zu spüren. Ein Klassiker der TV-Geschichte:


EM-Qualifikation mal anders: Rudi gegen Waldi

Und dieses Interview sollte großen Einfluss auf die Außendarstellung des Ex-Profis haben, denn nach und nach mehrten sich die Auftritte, die den Glanz vergangener Tage vergessen machten. Ob seine Reaktion auf Philipp Lahms „Der feine Unterschied", in welchem sich Völler in weniger gutem Licht dargestellt fühlte, kritische Nachfragen nach Spielende in Interview-Zonen oder Talkrunden mit anderen Vertretern der Bundesliga, Rudi reagierte des Öfteren ungehalten und überzog in seinen Ausführungen. Jüngst geschah das nach dem Hinspiel im Champions League-Achtelfinale gegen den FC Barcelona, als er Ecki Heuser im Regen stehen ließ (klick), oder bei einer mittelschweren Fluchattacke gegen den Schiedsrichter Dr. Felix Brych in der Halbzeitpause des Spiels gegen den 1. FC Köln. Einem Spieler könnte man das verzeihen, aber in seiner Position als Sportdirektor und erfahrener Ex-Profi bzw. -Teamchef setzt man andere Maßstäbe, die er teilweise nicht erfüllen kann (oder will). Dass Völler seit 2005 als Sportdirektor bei Bayer Leverkusen aktiv ist, aber kaum mit Heldentaten seinerseits werben konnte, macht die verbalen Fehltritte umso auffälliger. Wäre er an anderer Stelle ebenso auffällig mit Selbstlob, wie es in der Branche üblich ist, würde es nicht weiter ins Gewicht fallen. Dafür ist er aber nicht der Typ, zu ehrlich und bescheiden. Tugenden, die in diesem Umfeld nicht immer zielführend sind. Er hält sich oft zurück, doch wenn er dann medial in Erscheinung tritt, sind es leider oft negative Äußerungen oder unfreundliche Töne.

Typisch Ex
Im Anschluss an eine aktive Karriere fällt es vielen Ex-Ikonen schwer Fuß zu fassen. Einige brauchen viele Jahre, um für sich die richtige Rolle im passiven Umfeld des Profisports zu finden. Der Weltmeisterbonus hält zwar viele Türen offen, macht aber unbedarfte Versuche an vielen Stellen unmöglich. Zu hoch sind die Erwartungen an die Stars von gestern. Rudi macht da scheinbar keine Ausnahme, da die Karriere nach der Karriere anderen Gesetzen folgt und auch er damit hadert. Als Sportdirektor bei Bayer Leverkusen ist er noch nicht auf dem Level angekommen, das er als Spieler hatte. Es bleibt abzuwarten, ob er es jemals erreichen wird. Nur seine scheinbar unkontrollierten Wutreden sollte er sich sparen, denn, auch wenn das dramatisch klingen mag, viel mehr bleibt von ihm aktuell nicht hängen als der nächste Ausraster. Und das ist wirklich beängstigend.

Oder wie er selbst sagt: „Man muss sich ab und zu nicht alles gefallen lassen. Das ist wichtig. Wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, dann kann man das auch mal sagen." (DW-TV; „Und jetzt... Rudi Völler Spezial" - 16.11.2011)

… und das tut er auf seine Art. Ein echtes, manchmal launisches Unikat.


In diesem Sinne

tobzzzzn
Aufrufe: 7957 | Kommentare: 2 | Bewertungen: 3 | Erstellt:16.04.2012
ø 10.0
KOMMENTARE
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tobzzzzn
16.04.2012 | 08:01 Uhr
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tobzzzzn : Nachschlag gefällig?
16.04.2012 | 08:01 Uhr
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tobzzzzn : Nachschlag gefällig?
Ein unterhaltsames Völler-Interview (DW-TV - 2011): klick
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Joyside
23.04.2012 | 21:10 Uhr
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Joyside : 
23.04.2012 | 21:10 Uhr
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Joyside : 
Rudi Völler ist der einzige Mensch Deutschlands, wahrscheinlich sogar der Welt, der mit Pornobalken und Vokuhila cool ist. Eine Legende und einer der größten Spieler, die Deutschland je hatte.

Hättest aus der Spielerlaufbahn noch seine Bude im WM-Final erwähnen können, oder seinen CL-Sieg, aber egal. Geiler Blog, vielen Dank.

Ich denke allerdings, es gibt viele schlechtere Sportdirektoren und Manager in der Liga, als Rudi Völler.

Egal, Rudi ist eh eine Legende hoch 10. Hab ihn vor Jahren mal in Seligenstadt in der Eisdiele getroffen, der war echt gut drauf und hat mir ein Autogramm gegeben.

"Du sitzt hier, hast drei Weizenbier getrunken und bist schön locker!" Weltklasse! Einfach megageil, unfassbar geil!
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