STADIONBESUCH FÜR MÄNNER MIT ANSPRUCH

Die nächste Gehaltserhöhung steht vor der Tür. Ihr Chef hat Sie zum Manager of was auch immer gemacht. Aus einem Katalog in Hochglanzpapier dürfen Sie sich einen sportlich-eleganten Firmenwagen aussuchen. Die Qual der Wahl weckt große Kindheitserinnerungen, allerdings haben Sie sehr bald ein Original in der Garage. Vorbei die Zeit der 1:18-Maßstäbe. Satte 300 PS brummen bei dem bloßen Gedanken durch Ihren Kopf. Eine Snackpause und drei Stunden später haben Sie sich für einen BMW X5 M entschieden. Sie wollen schließlich nicht gierig erscheinen. Gut so!
Ihr Chef betritt erneut das Büro und hält eine weitere Überraschung bereit. Zur Feier des Tages lädt er Sie zu einem Bundesligaspiel ein. Am kommenden Wochenende dürfen Sie sich in die Welt der Unterprivilegierten stürzen. Hier eine kurze Anleitung zum Meistern dieser Herkulesaufgabe!


COACH:

Rund um das Leder
So wie Paycom das Internet und die Pornoindustrie revolutionierte, so beeinflusste ein Phänomen mit Ursprung im verregneten Osten Englands die Welt der Arbeiterklasse. Die Rede ist von Fußball, einem Sport, der die Einfältigkeit quasi herauf beschwört. Das Spiel dauert 90 Minuten und findet auf einem kurz geschnittenen Grün statt, das in keinster Weise dem Fairway-Rasen eines gut situierten Golfclubs das Wasser reichen kann. Nicht selten schreien sich fremde Vertreter in von Grundfarben bestimmten Outfits an. Man befindet sich eindeutig in einem Überbleibsel der Working class. Gerade bei gut besuchten Partien dieser Sportart liegt der typische Geruch von Pilsener (keine Premium-Qualität!) und frittierten Snacks in der Luft. Fahnen werden geschwenkt. Zigarettenqualm bahnt sich den Weg aus dem Moloch. Kurzum: igittigitt!

Etikette im Betonklotz
Sie kennen es womöglich aus Funk und Fernsehen. In Stadien ist es laut und ausgelassen. Gelegentlich gesellt sich eine leise Form der Melancholie hinzu. Nicht selten ist die Stimmung greifbar und kann aufgeschnappt werden. Falls Sie einem solchen Event noch nie beigewohnt haben sollten, empfiehlt sich ein Schaufilm wie etwa „Fußball ist unser Leben" (zu finden in jedem gut sortierten Autobahnrasthof, direkt neben den Schmuddelfilmen; ca. 9 €), damit Sie sich in diesem Umfeld leichter zurechtfinden und den richtigen Ton treffen. Der Sprachjargon ist durch einsilbige Schlagwörter geprägt, die dem einfach verständlichen Mannschaftssport Rechnung tragen.

Dos und Don'ts

Dos
- behalten Sie stets das Spielfeld im Auge und geben Sie Seufzer von sich, sobald mehr als 50% der um Sie vertretenen Personen mit den Armen fuchteln
- halten Sie Ihr Kaltgetränk möglichst fest in der Hand, um bei Remplern nicht Ihr teures Freizeithemd von Louis Vuitton zu beflecken
- kommentieren Sie das Umfallen der Akteure auf dem Rasen mit Beleidigungen (je drastischer, desto besser)
- grölen Sie mit den Anwesenden um die Wette

Don'ts
- auch wenn es Ihnen sonst verziehen wird, verzichten Sie tunlichst darauf die Beine über Kreuz zu schlagen
- lächeln Sie keinen Gast an, der eines der auf dem Feld vertretenen Shirts trägt
- vermeiden Sie es bei eingespielter Musik zu tanzen, etwa bei Spielbeginn oder bei Fallen eines Tores (meint: Spielgerät Ball landet in einem der beiden Fangnetzrahmen an den Platzenden)
- halten Sie sich bei Diskussionen zurück, die hier vertretenen Gäste kennen sich wirklich aus und verzeihen keine naiven Kommentare zu Schuhfarben oder modischen Frisuren


STYLE:

Schal der Wahl
Bei diesen Events ist es üblich sich zu verkleiden. Das sollten Sie auch tun. Für den Einstieg empfiehlt sich das Tragen eines so genannten Fanschals der Heimmannschaft (ca. 10-15 €; 100% Polyester), der ungewaschen vor Eventbeginn außerhalb des Stadions erworben werden kann. Auch wenn es momentan en vogue ist, Halstücher und Schals casual zu tragen, wird in Stadien auf die linksbündige Knotvariante verzichtet. Sie sollten den Schal möglichst locker über die Schultern (im Nacken anliegend) werfen. Dabei ist darauf zu achten, dass beide Enden gleich lang anliegen. So kann Ihnen style-technisch nichts passieren. Sie sehen absolut fantastisch aus!

Dress Up
Neben dem passenden Accessoire gilt es einen sportlichen Dress mit schlichten Farbtönen zu wählen. In diesem Umfeld wird wenig Wert auf die Farben der Saison gelegt. Wenn Sie nicht negativ auffallen wollen, sollten Sie sich daran halten. Wir empfehlen die folgende Zusammenstellung:

Zweifarbige Bomberjacke von Jill Sander (seemannsgrün-asphaltgrau); ca. 970 €
Poloshirt von LANVIN (perlgrau); ca. 190 €
Stretch-Jeans von BURBERRY (indigo); ca. 225 €
Schnürsneaker aus Kalbsleder von ZEGNA (nachthimmelblau); ca. 290 €
Ledergürtel aus Saffiano-Leder von PRADA (ostseeblau); ca. 220 €
Pilotenbrille von DIOR HOMME (nachtschwarz); ca. 350 €

Kosten: ca. 2.245 €
Styling: unbezahlbar!

Go-Go-Gadgets
Um bei dem anstehenden Event nicht völlig ahnungslos zu sein, wird das heimliche Nutzen einer Sport-News-App (bspw. Spox-App) empfohlen. Die dort im Live-Ticker bereitgestellten Informationen können Sie nutzen, um Smalltalk mit anderen Gästen zu führen. Ein kurzer Blick genügt und Sie wirken gut informiert. Doch Vorsicht ist geboten: die Ticker-Informationen sind nicht in Echtzeit verfügbar. Vermeiden Sie deshalb das laute Rufen von „Tor", „Foul" oder „Abseits", wenn sich ein Großteil der Anwesenden kurz zuvor furchtbar echauffiert oder enthusiastisch verhalten hat.


CARE:

Kulinarisches Abenteuer
Worum Sie sonst einen großen Bogen machen, um Ihren BMI-Wert nicht unnötig in Gefahr zu bringen, sollten Sie hier zugreifen. Ihr Personal Trainer wird es Ihnen sicherlich verzeihen bzw. wieder austreiben. Neben kalorienhaltigen, alkoholischen Kaltgetränken und fettigen Snacks vom Grill oder aus der Fritteuse gibt es allerhand Abenteuerliches zu entdecken. Die Servicequalität lässt leider zu wünschen übrig:
- es wird nur am Schalter bedient
- Bestellungen vom Sitzplatz sind schwer möglich (auf „Garçon" wird mit Unverständnis reagiert)
- Sonderwünsche werden wissentlich überhört oder umgehend ausgeschlossen
- das Personal legt kaum Wert auf aufgesetzte Freundlichkeit

Nichtsdestotrotz lohnt sich dieses Abenteuer.


FLIRT:

Schwieriges Pflaster
In Stadien ist der Kontakt zu potentiellen One-Night-Stands eher kompliziert, da die wenigen Frauen zumeist in Begleitung Ihrer Lebensabschnittspartner zu finden sind oder zu sehr von den Geschehnissen auf dem Rasen abgelenkt werden. Es wird davon abgeraten, Kontaktversuche zu unternehmen. Die Risiken sind zu vielfältig und machen Erfolge nahezu unmöglich.


Viel Erfolg bei dem großen Abenteuer Stadionbesuch!