Fast auf den Tag ein Jahr hat es gedauert, aber nach 362 Tagen ist Arminia Bielefeld zurück in der Zweitklassigkeit. Dabei hätte es fast ein unerwartetes Déjà-Vu für den DSC gegeben. Auch, weil Die Meier-Elf aus dem traumatischen Darmstadt-Erlebnis gelernt hat. Ein Kommentar über die ostwestfälische Sturheit.

Wir haben alles dafür getan, um morgen im eigenen Stadion den letzten Schritt machen zu können. Den wollen wir jetzt gehen und unser großes Ziel erreichen. Unser Fokus liegt nur auf diesem Spiel - Sportdirektor Samir Arabi weiß, wie wichtig es ist, Steilvorlagen zu verwerten. Das Problem: Seine Arminia ist nicht gerade gut darin, genau diese zu nutzen. Selbst wenn sie kaum besser sein könnten. Selbst wenn du als Stürmer den Ball aus einem Meter über die Linie drücken musst - ohne Torwart!

Genauso eine hatte die Arminia am Samstagnachmittag. Der DSC durfte auf der Alm den Tabellenletzten Jahn Regensburg begrüßen. Nicht nur, dass der SSV bereits sicher abgestiegen war und die Saison auch am unteren Tabellenende beenden würde, die Truppe von Christian Brand ist auch das schlechteste Auswärtsteam der Liga. Ganze vier Zähler schnappten sich die Regensburger auf fremdem Rasen - in 18 Partien! Hinzu kommt, dass die Bielefelder zuhause eine Macht sind und die Heimtabelle der 3. Liga anführen. Das Sahnehäubchen: Mit Holstein Kiel und dem MSV Duisburg nehmen sich die direkten Konkurrenten gegenseitig noch Punkte weg. Besser kann ein Matchball zum Aufstieg gar nicht aussehen - es sei denn, man hat Arminia Bielefeld im Klubnamen stehen.

Denn Arabis Zitat stammt nicht etwa von der Abschluss-PK vor dem Spiel gegen die Regensburger, sondern ist gut ein Jahr alt. Zu diesem Zeitpunkt spielten die Bielefelder in der Zweitliga-Relegation gegen Darmstadt 98, das Hinspiel am Böllernfalltor entschieden die Arminen mit 3:1 für sich. Drei Auswärtstore sollten eigentlich reichen, vor allem weil die Bielefelder als Favorit in das Duell mit den Lilien gingen. Auch hier hatte der DSC eine Steilvorlage zum Klassenerhalt. Normalerweise sollte das Rückspiel einem lockeren Auslaufen zum Ligaverbleib gleichen - es sei denn, man hat Arminia Bielefeld im Klubnamen stehen.

Trotz einer herausragenden Stimmung am 19. Mai 2014 in der ausverkauften SchücoArena hatten die Gastgeber sprichwörtlich die Hosen voll. Behrens und Gondorf knipsten die Lilien schnell mit 2:0 in Führung, bevor Burmeister per Kopf verkürzen konnte. Ein Treffer für das eigene Selbstbewusstsein? Denkste! Elf Minuten vor Schluss besorgte erneut Gondorf das 3:1 für Darmstadt - Verlängerung! Die Bielefelder schwammen nun im eigenen Stadion, bevor Przybylko in der 110. Minute die Alm zum Beben brachte. 2:3 - das bedeutete Klassenerhalt.

Auch knapp ein Jahr später, am 16. Mai 2015, schien alles für die Arminia zu laufen. Duisburg führte gegen Kiel schnell mit 3:1, ein Punkt würde dem DSC also zum Aufstieg reichen. Und nach knapp einer halben Stunde war es dann soweit: Müller setzte zu einem unwiderstehlichen Sprint über links an, Jahn-Keeper Bergdorf kann nur vor die Füße von Klos abwehren, der zum Torjubel abdreht. Die Alm explodierte - wie auch schon ein Jahr zuvor bei Przybylko. Doch auch danach verfiel Arminia in eine unerklärliche Passivität und träumte vor sich hin. Die Viererkette träumte eine Sekunde zu lang vor sich hin, Königs sprintete davon und netzte zum Ausgleich. Egal, dachten sich die immer noch frohen Arminia-Fans. Ein Punkt reicht ja zum Aufstieg.

Was dann passiert, ist so typisch Arminia wie die Alm oder Kuh-Maskottchen Lohmann: Ecke Pusch, die Ball landet zentral 20 Meter vor dem Tor, Güntner zieht ab, abgefälscht drin. Auf der Alm herrscht kollektives Entsetzen. Einerseits, weil viele schon das Endspiel in Großaspach vor ihrem geistigen Auge sehen, andererseits, weil sie sich an einen gewissen Treffer ein Jahr zuvor erinnert fühlen. Denn auch beim Relegations-Rückspiel netzte ein Spieler von exakt der selben Position und hielt per Direktabnahme in Richtung Nordtribüne drauf. Elton da Costa, ebenfalls eingewechselt, schickte die Bielefelder mit einem Sonntagsschuss in die Drittklassigkeit. Geschichte wiederholt sich normalerweise nicht, doch auf der Alm herrschen eigene Gesetze.

Doch irgendwas war anders am 16. Mai 2015. Irgendwie wollten sich die Bielefelder diesmal nicht ihrem Schicksal beugen. Auch die Fans drehten nach einem kurzen Moment des Entsetzens wieder auf und peitschten ihre Mannschaft in Richtung Ausgleich. Schuld daran war und ist Norbert Meier. Der oft als stur verschriene Coach schaffte es binnen eines Jahres, dem DSC eine komplett andere Mentalität einzuimpfen. Sein Credo: Wir arbeiten an der Trotzreaktion. Typisch ostwestfälisch, typisch stur. Heißt im Falle der Arminia: Der direkte Wiederaufstieg.

Während Arne Feick gegen Darmstadt den letzten Versuch noch an den Pfosten setze, sollte das Glück diesmal bei den Arminen sein. Meier reagierte nach dem 1:2 gegen blitzschnell und spielte seinen letzten Joker. Schlucke, wie ihn einige DSC-Fans aufgrund seiner Ähnlichkeit zum gleichnamigen Charakter aus dem Film Bang Boom Bang nennen, schickte Pascal Testroet auf den Platz. Der Stürmer, der eigentlich schon aussortiert und mit den Gedanken bei seinem neuen Klub Dynamo Dresden war, bei dem er kommende Saison wieder spielt. Wie es der Zufall dann wollte, nickte Testroet wenige Minuten später zum Ausgleich ein. Gemeinsam mit seinen Teamkollegen grölte er dann Nie mehr 3. Liga - obwohl er genau dort nächstes Jahr wieder spielen darf.

Testroets Treffer ist sinnbildlich für die Saison der Arminia, die auf einmal auch zurückschlagen kann. Statt wie früher nach jedem Gegentreffer mit dem Zittern anzufangen, kämpften sich die Bielefelder in fast jede Partie wieder zurück und holten so noch wichtige Punkte. Architekt dieses neuen DSC ist Meier. Der Coach feiert nun schon seinen insgesamt vierten Aufstieg. Auch, weil seine Neuverpflichtungen größtenteils einschlugen. In letzter Sekunde holte er noch Dennis Mast aus Karlsruhe, der mit Holland-Einkauf Christoph Hemlein zur neuen, gefährlichen Flügelzange wurde. David Ulm holte Schlucke aus der Arbeitslosigkeit. Mittlerweile ist der vielseitige Elsässer Publikumsliebling in Bielefeld. Julian Börner wurde im Laufe der Saison zu einer wichtigen Stütze in der Innenverteidigung - und zum Matchwinner gegen Erzrivale Preußen Münster. Daniel Brinkmann wurde im Saisonverlauf zu einer wichtigen Kraft von der Bank und lieferte gegen Borussia Mönchengladbach im Pokal schließlich das Spiel seines Lebens ab. Selbst Peer Kluge, der den Großteil der Saison verletzt verpasste, leistete mit einem ganz starken Auftritt gegen seinen Ex-Klub Hertha BSC einen wichtigen Beitrag zur erfolgreichen Saison der Arminia. Nicht zu vergessen: Keeper Alexander Schwolow, der zum Pokalhelden avancierte und die Bielefelder speziell zu Saisonbeginn einige Male vor Punktverlusten rettete.

Schlussendlich war es der Pokal, der den DSC auf die Siegerstraße brachte. Nachdem 4:1 in der ersten Runde gegen Sandhausen kippte die Stimmung beim DSC, auf einmal lief es beim Absteiger, der nach vier Spieltagen nur Platz 17 in der 3. Liga belegte. Gegen die Hertha, Werder Bremen und Gladbach lieferten die Arminen dann drei taktische Glanzleistungen ab, die zum Großteil Meier, aber auch der willensstarken DSC-Elf angerechnet werden dürfen. Auch wenn der Traum von Berlin im Halbfinale gegen den VfL Wolfsburg dann deutlich platzte: Die deutsche Fußball-Landschaft nahm wieder Notiz von Bielefeld - auch wegen der absolut bombastischen Stimmung.

Nun steht also nach dem Absturz aus der Bundesliga in die Drittklassigkeit die schon zweite Zweitliga-Saison an. Der Kader ist jetzt schon besser als die Unterhaus-Ausgabe 2013/14, der ein wenig die Explosivität und der Überraschungsmoment fehlte, den Typen wie Hemlein, Mast und Ulm ausstrahlen. Auch Tom Schütz und Christian Müller sind in besserer Form als noch während der ersten Zweitliga-Saison. Insgesamt kann das Drittliga-Jahr als eine Art Probe für die nächste Visite im Unterhaus gesehen werden. Die Mannschaft ist jetzt eingespielt und dürfte, speziell in der Defensive, noch einmal ordentlich verstärkt werden. Mit Meier hat man einen erfahrenen Coach an der Seitenlinie, der mittlerweile auch von den Fans akzeptiert wird. Kurz nach dem Pokal-Viertelfinale gegen Mönchengladbach gab der Verein sogar eine App heraus, in der der User Meier davon abhalten musste, Käsebrötchen zu essen. Der Hintergrund: In der PK vor dem Spiel hatte Schlucke seine Vorliebe für die Semmel kundgetan.

Meiers letzter Zweitliga-Aufstieg ist mittlerweile sechs Jahre her. Nur drei Jahre nach dem Gang ins Unterhaus, schaffte er mit Fortuna Düsseldorf den Aufstieg in die Bundesliga. Langfristig will die Arminia da sicherlich auch wieder hin. Also: Machs noch einmal, Schlucke!