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10.05.2017 | 10126 Aufrufe | 0 Kommentare | 1 Bewertungen Ø 9.0
Warum Barcas Trainerjob etwas Besonderes ist.
Altes Konzept braucht neue Ideen
Barca steht kurz vor einem Trainerwechsel. Was der Neue mitbringen muss und worauf es ankommen wird...

Es dauerte gerade einmal 24 Sekunden, da konnte der FC Barcelona den ersten Torschuss verzeichnen. Xavi schloss aus 20 Metern ab und eröffnete mit seinem Schuss ein großartiges Fußballspiel. Das Duell zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona ist immer ein außergewöhnliches, gilt doch el clásico als meistbeachtetes Fußballspiel der Welt. Doch jenes am 02. Mai im Jahr 2009 ging in die Geschichte ein - wegen eines besonderen Ergebnisses, aber auch wegen der Art und Weise, wie das Ergebnis zustande kam.

Barca gewann 6:2. Doch die Katalanen spielten ihren Erzrivalen nicht nur an die Wand, sie nahmen die Königlichen förmlich auseinander.

Ausnahmslos jeder Akteur Barcas beteiligte sich am Aufbau- und Angriffsspiel. Barca passte nicht fünf oder zehnmal, sondern zwanzig, fünfundzwanzig, dreißig Mal, ehe ein Madrilene an den Ball kam. Lionel Messi, Samuel Etoo und Thierry Henry bildeten eine Angriffsreihe, die jederzeit brandgefährlich werden konnte. Dahinter ließen Yaya Touré, Xavi und Andrés Iniesta Ball und Gegner mit einer furchterregenden Sicherheit zirkulieren und demonstrierten absolute Dominanz. Real Madrid, damals wie heute eine Mannschaft aus Weltstars, blieb nicht der Hauch einer Chance. 80.000 Zuschauer im Estadio Santiago Bernabeau sahen einen Triumphzug der Schönheit, den Durchbruch der Eleganz. Das Muster für eine Spielweise, die heute als "Tiki Taka" bekannt ist.

https://www.youtube.com/watch?v=dUeocn3Dkf8

Das Ende des schönen Spiels

In Deutschland ist Schnelligkeit das dominante Fußballthema. Früh attackieren, früh den Weg zum Tor finden das ist die Parole! Über die Hälfte der Tore fällt nur zwölf Sekunden nach der Balleroberung. Borussia Dortmund hatte das schnelle Spiel mit direktem Weg zum gegnerischen Tor unter Jürgen Klopp perfektioniert. Auch Hannover unter Mirko Slomka und Leverkusen unter Roger Schmidt spielten einen geradlinigen und von hohem Tempo geprägten Fußball. RB Leipzig ist mit der Idee des schnellen Spiels gerade der erfolgreichste Aufsteiger der Bundesligageschichte geworden. Ziel sind frühe Ballgewinne in gefährlichen Räumen. Sobald der Ball gewonnen ist vor das Tor, so schnell wie möglich! "Heavy-Metal-Fußball" nannte Jürgen Klopp einmal diese Spielweise.

In Barcelona wollen sie von diesem Trend, der bei manchen Experten schon als das Allheilrezept gilt, nichts wissen.

Spielen Klopps Mannschaften Heavy Metal, dann spielt Barca seit jeher ein sanftes Violinenstück. Bedächtig, präzise und voller Hingabe. Klopp, Hasenhüttl und Schmidt jagen den Gegner, sie wollen den Ball. Barca lässt jagen und hat den Ball.

1982 verlor Brasilien bei der Weltmeisterschaft in Spanien in der zweiten Finalrunde gegen Italien. Die Partie gilt bis heute als eine der besten in der Geschichte des Fußballs. Brasilien, mit Kapitän Socrates und Superstar Zico, verlor mit 3:2 - trotz drückender Überlegenheit. Italien, das mit Defensivfußball lediglich darauf aus war, das Spiel der Brasilianer zu zerstören, setzte sich durch und wurde am Ende sogar Weltmeister. "Die Ungerechtigkeit hat gesiegt, denn wir waren bei dieser WM die klar beste Mannschaft und hatten auch gegen Italien den Sieg verdient", sagte Zico später einmal. Das 3:2 der Italiener über die Seleção galt als das Ende des jugo bonito es war der Tod des schönen Spiels. Das risikoarme Spiel und die Taktik des Abwägens hatten sich nun durchgesetzt. Bei der WM 2006 in Deutschland hatte diese zwar legitime aber unattraktive Spielweise ihren traurigen Höhepunkt erreicht. Inzwischen hat sich der Fußball wieder gewandelt und ist wieder das Spektakel, das sich die Fans von ihm erhoffen.

Wien, am 29. Juni 2008. Deutschland hat gerade das EM-Finale verloren. Es ist das letzte große Turnier für zwei große deutsche Nationalspieler: Jens Lehmann und Michael Ballack. Das Finale von Wien sollte ihre Karriere krönen. Doch der Gegner an diesem Sonntagabend war zu stark, zu dominant und vielleicht auch zu modern. Statt Deutschland wurde Spanien Europameister. Und was damals noch keiner ahnte: Es war der Beginn einer legendären Ära.

Die Nationalmannschaft Spaniens war die erste Auswahl, die drei große Turniere in Folge gewann. Spanien wurde Weltmeister 2010 und verteidigte den Titel des Europameisters 2012. Begonnen hatte dieser Triumphzug in Wien. Für Deutschland war es eine verdiente und zugleich entwaffnende Niederlage. Spanien zog sein Kurzpassspiel so präzise, so unbeirrt und dominant auf, dass die Deutschen keine Chance auf den Turniersieg hatten. Das jugo bonita, es lebte plötzlich wieder.

Luis Aragones, damals spanischer Nationaltrainer, machte das gleiche wie sein Nachfolger Vincente del Bosque: Er adoptierte für die Nationalmannschaft die Spielweise des FC Barcelona: Mit präzisen, kurzen Pässen durch das Mittelfeld kombinieren und geduldig spielen bis sich eine Gelegenheit für eine Offensivaktion bietet.

Spieler wie Lehmann und Ballack verkörperten das, was Fußballfans in England oder Deutschland lieben: großen Kampf und absoluten Willen. Bastian Schweinsteiger wurde im WM-Finale 2014 zur deutschen Legende. Aber nicht, weil er schön spielte oder ein entscheidendes Tor erzielte, sondern weil er kämpfte, sich in Zweikämpfen aufrieb und sogar Narben davontrug. Dafür feiern ihn die Fans bis heute.

In Spanien wird Fußball auf einer anderen Ebene gespielt. Hier wird Fußball nicht als Schlacht, sondern als Spiel gesehen. Die Art und Weise, wie Barcelona spielt, ist die schwierigste überhaupt. Sie ist elegant, kompliziert und vor allem ist sie erfolgreich. Seit 2006 gewann Barca vier Champions-League-Titel und sieben Meisterschaften. Kein anderer Klub war im gleichen Zeitraum derart erfolgreich.

Fluch und Segen

Barcas Art und Weise Fußball zu spielen ist Fluch und Segen zugleich. Rinus Michels führte sie in den 1970er Jahren in Barcelona ein, nachdem die niederländische Nationalmannschaft und Ajax Amsterdam damit für Aufsehen gesorgt hatten. Unter Johan Cruyff, der ab 1988 acht Jahre lang Trainer in Barcelona war, wurde der totale Fußball etabliert. Unter seiner Leitung wurde auch die Nachwuchsabteilung modernisiert und auf die Philosophie der 1. Mannschaft ausgerichtet. Seitdem hat jeder Trainer in Barcelona seine eigene Handschrift einbringen dürfen. Aber das Fundament stand nie zur Debatte.

Luis Enrique modifizierte in seiner Zeit als Cheftrainer die Spielweise. Er brachte mit Luis Suarez und Ivan Rakitic nicht nur mehr Körperlichkeit ins Barca-Spiel, sondern erlaubte phasenweise auch lange Bälle im Spielaufbau, ein Stilmittel, das in der katalanischen Hauptstadt seit jeher als verpönt galt. Neun Titel gewann Barcelona unter Enrique. Auch wenn der Trainer nie beliebt war bei Stars und Publikum, so hat er doch die Messlatte hoch gelegt.

Die erfolgreichste Ära jedoch hatte der Klub unter Pep Guardiola. In vier Jahren gewann er 14 von 19 möglichen Titeln. "Der Erfolg hängt von den Spielern ab", sagte er einmal. In einem Interview mit Fifa.com erklärte der Katalane, der unter Cruyff spielte und der ihn geprägt hat, sein Erfolgsgeheimnis: "Man muss großen Respekt vor der Geschichte dieses Vereins haben, denn der FC Barcelona ist in jeder Hinsicht ein ganz großer Klub. Dann muss man gute Spieler verpflichten und die mit einem geschickten Händchen für den Nachwuchs verbinden, denn auch die Spieler, die von unten kommen, dürfen, wenn sich die große Gelegenheit ergibt, keine Scheu haben."

Dieses geschickte Händchen für den Nachwuchs haben sie in Barcelona schon seit vielen Jahren. Zahlreiche Weltstars wurden in Barcelonas berühmter Jugendakademie "la Masia" ausgebildet. Carles Puyol, Xavi, Pedro, Sergio Busquets, Andrés Iniesta oder Lionel Messi, also der feste Stamm von Guardiolas Erfolgsmannschaft, kamen aus der eigenen Talentschmiede. Dort wird vermittelt, was die Profis vorleben sollen: Bodenständigkeit, Disziplin, Identifikation, Hingabe zum Spiel.

Detailliert und professionell werden die Jungs in "la Masia" auf die seit Jahren gepflegte Spielkultur der 1. Mannschaft vorbereitet. Alle, die in Barcas Jugendakademie ausgebildet werden, sollen am Ende auch die sportliche DNA des Klubs in sich tragen.

Die Regelmäßigkeit, in der neue Stars aus der katalanischen Nachwuchsabteilung nachkommen, ist zuletzt ins Stocken geraten. Enrique installierte zwar mit Sergi Roberto einen neuen Rechtsverteidiger aus Barcas Jugend, doch der Nachfolger des nach Turin transferierten Dani Alves ist noch längst nicht über jeden Zweifel erhaben.

Mit Carles Aleñá, Sergi Samper, Munir El Haddadi und Jordi Mboula stehen aber vielversprechende Talente in den Startlöchern. Sie zu fördern und zu fordern wird eine der Hauptaufgaben des neuen Trainers sein.

Doch nicht nur die Integration neuer Talente wird eine Herausforderung. Der Umgang mit den zahlreichen Superstars im Kader wird von entscheidender Bedeutung sein. Vor allem Messi, der in der jüngeren Vergangenheit bei der Besetzung des Trainerpostens seinen Einfluss geltend machen wollte, muss der neue Trainer bei Laune halten. Enrique ist das nicht immer gelungen. Doch von Messis Genialität, seiner Torgefährlichkeit und seiner Aura lebt die Mannschaft. Weltweit lieben die Fans den kleinen Stürmer, den Guardiola mal als kostbare Praline bezeichnet hatte. Die Vereinsführung tüftelt an einem neuen Vertrag für den Argentinier. Auf die Zusammenarbeit des neuen Trainers mit Messi darf man zurecht gespannt sein...

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