Nachdem die Rückkehr von Shinji Kagawa zum BVB perfekt war, konnte man im Netz ja an vielen Stellen sehen, wie sehr sich diejenigen, die sich mit Borussia Dortmund identifizieren, über diese Meldung freuten.

Als BVB-Mann bei SPOX gehört es zu meinen beruflichen Pflichten, quasi alles zu konsumieren, was schwarzgelbe Inhalte zu Tage fördert.

Man sah beispielsweise eine große Werbetafel neben einer Dortmunder Tankstelle, die die Aufschrift "#freeshinji mission completed" trug.

Und man sah auch dieses Video:

Das fand ich persönlich bärenstark. Diese Schlichtheit faszinierte mich vollkommen. Diese Monotonie. Diese Freude der beiden Sänger.

Das Video erinnerte mich daran, dass mir bereits vor längerer Zeit ein ähnliches Stück über den Weg lief.

Klaus Neuhaus heißt der Mann an den Instrumenten. Weil mich das irgendwie von den Socken haute, dachte ich mir: Wenn seine Lieder solche Renner bei YouTube sind, wieso nicht mal bei ihm durchklingeln und ein kurzes Interview führen?

Nun gab's allerdings noch die Frage zu klären, wie der Rest der Redaktion dazu steht. Das Feedback war schnell positiv, doch als reiner redaktioneller Artikel aufbereitet bietet das vielleicht nicht unbedingt den absoluten Mehrwert für den Leser.

Man sagte mir: Jochen, mach das Ding, erkläre in einem Blog, was du daran toll findest und lass den Mann mit den Instrumenten zu Wort kommen.

Im Folgenden also ein exklusives Interview mit dem BVB-Fan und Dortmunder Liedermacher Klaus Neuhaus, in dem er über den Beginn und Erfolg seiner Videos auf YouTube spricht:

Tittmar: Sie schreiben seit 30 Jahren Kinderlieder, die beispielsweise in der "Sendung mit der Maus" oder bei "Kinderquatsch mit Michael Schanze" bekannt wurden. Wie sieht heute ihr beruflicher Alltag aus?

Klaus Neuhaus: Ich bin immer noch Komponist und Texter für Kinderlieder und habe über 20 CDs, Kassetten und Platten veröffentlicht. Mein Erstlingswerk hieß "Klaus die Maus". Ich schreibe Lieder für große Musikverlage und stelle Liederbücher zusammen. Seit zehn Jahren führe ich in Dortmund zudem eine Musikschule mit dem Schwerpunkt musikalische Früherziehung. Anfang 2013 habe ich noch zusammen mit einem Freund ein mp3-Label für Downloads gegründet.

Tittmar: Und sind nebenher seit Kindesbeinen Fan des BVB?

Neuhaus: Genau, seit meinem elften Lebensjahr. Mittlerweile bin 62 Jahre alt. Ich bin einmal mit meinem Papa in die Rote Erde gegangen und danach immer alleine. So habe ich die Anfänge der Bundesliga mitbekommen, den Umzug ins Westfalenstadion und gehe auch heute noch mit meinem Sohn zu Drittligaspielen der zweiten Mannschaft in die Rote Erde. Für die Profis habe ich seit rund 20 Jahren eine Dauerkarte mit einem Musikerkollegen zusammen.

Tittmar: Wie kam die ursprüngliche Idee zustande, diese Videos mit BVB-Bezug hochzuladen?

Neuhaus: Das war überhaupt keine Idee. Ich hatte mir eine neue, kleine Kamera gekauft, war mit meiner Frau in der Musikschule und habe sie gebeten, einmal die Kamera zu halten. Ich wollte das einfach mal ausprobieren. Shinji Kagawa hatte sich Anfang 2011 einen Mittelfußbruch zugezogen und verbrachte Teile der Reha in Japan. Man hatte in Dortmund eine gewisse Sehnsucht nach ihm. Daher kam ich auf dieses Lied hier:

Tittmar: Eine Spontan-Aktion also?

Neuhaus: Genau. Ich habe daraufhin einen Kanal bei YouTube eingerichtet und das als mein allererstes Video hochgeladen.

Tittmar: Was dann kam, wird Sie aus den Socken gehauen haben, oder?

Neuhaus: Absolut. Speziell am Anfang habe ich überhaupt nicht mit diesem Erfolg gerechnet. Dass dieser Hype entstanden ist, war schon ziemlich verrückt.

Tittmar: War Kagawa Ihr Lieblingsspieler oder warum haben Sie sich ihn ausgesucht?

Neuhaus: Das ist im Nachhinein schwer zu beantworten, auch wenn er natürlich schnell zum Publikumsliebling bei uns wurde. Er ist ein sehr bescheidener Typ und mir gefällt auch seine Spielweise. Ich werde nie vergessen, wie ihn die Fans nach seinen zwei Toren beim Derbysieg auf Schalke allen Ernstes auf Händen über das Trainingsgelände getragen haben.

Tittmar: Welche Auswirkungen hatte der Erfolg des Kagawa-Videos?

Neuhaus: Ich kam mir teilweise vor wie die japanische BVB-Geschäftsstelle. An manchen Tagen kamen bis zu 100 Emails aus Japan zu mir. Die Leute wollten wissen, wie es Shinji gehe. Die dachten, ich wüsste alles. Im Jahr darauf ist auch ein gewisser Japan-Tourismus entstanden. Die haben in Japan drei Tage Dortmund gebucht, sich dann das Trainingsgelände, das Stadion und ein Spiel angeschaut, sind noch schnell in die Sushibar und dann wieder nach Hause geflogen.

Tittmar: Der erste Shinji-Song wurde 145.000 Mal angeklickt. Nach Kagawas Rückkehr haben Sie nun wieder ein Video veröffentlicht, das bei über 36.000 Aufrufen steht. Wie kam es zur Neuauflage?

Neuhaus: Ich war vergangene Woche beim Spiel der Dortmunder Amateure in der Roten Erde. Dort hat mir jemand einen zarten Hinweis gegeben und meinte: "Du kannst schonmal ein neues Lied schreiben." Das habe ich aber nicht ernst genommen. Ich musste am Freitag aber auf die Geschäftsstelle, weil ich die CD mit dem Ciro-Immobile-Song für Norbert Dickel abliefern sollte. Dort habe ich eine gewisse Betriebsamkeit wahrgenommen und wusste, dass da irgendwas in der Mache war.

Tittmar: Und dann haben Sie sich zu Hause gleich hingesetzt und losgelegt?

Neuhaus: Ich habe am Wochenende mit meinem Kumpel Rüdiger Wache gesprochen und da haben wir gemerkt: Zwei Doofe, ein Gedanke. Auch er hatte die Idee, zur Melodie von "Football's coming home" ein neues Lied zu machen. Montagmittag haben wir das dann zwischen zwei meiner Unterrichtsstunden schnell aufgenommen, Dienstag hochgeladen - und ein paar Stunden später lag mir schon die erste Interviewanfrage vor.

Tittmar: Wer genau ist denn Rüdiger Wache, der ja immer häufiger an Ihrer Seite auftaucht und mitsingt?

Neuhaus: Das ist mein ältester Freund, den ich seit Jugendtagen kenne. Er ist absoluter Hardcore-BVB-Fan der ersten Stunde und steht seit Jahren auf der Südtribüne direkt hinter dem Tor. Bei den Fans ist er sozusagen der Star und ich derjenige, der ein bisschen Musik beisteuert (lacht).

Tittmar: Wie kam es dazu, dass Sie beide "zusammenarbeiten"?

Neuhaus: Auch das war eine Schnapsidee. Wir haben angefangen, eine Spieltaganalyse zu machen. Ich habe ihn gefragt, was er vom Spiel gehalten hat, er antwortete und fertig. Dann kam uns die Idee, dass es aus den 60er und 70er Jahren noch so uralte Lieder gibt, die man benutzen könnte. Rüdiger ist Schlager-Fan und hat da einige Perlen ausgepackt. Kurz vor dem Champions-League-Auswärtsspiel bei Ajax Amsterdam haben wir dann "Ajax ist zum Putzen da" veröffentlicht. Da hatten wir nach zwei Tagen fast 70.000 Klicks zusammen - und die Fans haben das Lied in der zweiten Halbzeit des Spiels komplett durchgesungen.

Tittmar: Ich habe den Eindruck, dass der Erfolg auch mit der Schlichtheit der Videos und der Monotonie der Melodien zu tun haben könnte. Wie sehen Sie das?

Neuhaus: Das spielt sicherlich eine Rolle. Ich bezeichne das Ganze als Anti-Fernsehen. Manche TV-Anstalten haben sich das Material einfach geschnappt und ohne mich zu fragen gesendet - obwohl ich die Rechte daran habe. Ich habe dann aber jeweils mein Honorar noch bekommen, da es falsch ist, YouTube als Selbstbedienungsladen zu sehen. Ich habe denen klar gemacht: Ihr macht Fernsehen, ich mache Anti-Fernsehen. Wer vorher anruft und nachfragt, mit dem werde ich immer eine Lösung finden.

Tittmar: Gab es schon Rückmeldung in die Richtung: Die beiden da haben doch nicht mehr alle Tassen im Schrank?

Neuhaus: Nicht wirklich. Ich finde es nicht so prickelnd, wenn Leute das bierernst nehmen. Das ist doch nur so ein kleines Ding, das wir gemacht haben, eine spaßige Sache. Das sollte nicht überbewertet werden. Ich kann aber gut damit leben, wenn manche sagen, dass da zwei Bekloppte Musik machen und andere Beklopptere das auch noch annehmen.