Der größte Skandal der Geschichte

Von Walandi Tsantiridis
Der Montreal Screwjob veränderte das Verhältnis zwischen Bret Hart (r.) und Vince McMahon
© Getty

Der Montreal Screwjob bei den Survivor Series 1997 prägte eine komplette Wrestling-Generation und erschreckt immer noch die folgenden. Bret Hart wurde Opfer seiner eigenen Eitelkeit und der Rücksichtslosigkeit von WWE-Boss Vince McMahon.

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"Läute die verdammte Glocke!" Diese unmissverständliche Aufforderung Vince McMahons an den Zeitnehmer Mark Yeaton am 9. November 1997 markiert den größten Skandal der WWE-Geschichte. Es ist der Main Event der Survivor Series zwischen dem WWE Champion Bret Hart und Shawn Michaels. Und er endet damit, dass der Heartbreak Kid Hart ausgerechnet in dessen Aufgabegriff nimmt - den Sharpshooter.

"Als ich Shawns Bein zum Konter griff, hörte ich jemanden sagen, dass die Ringglocke geläutet werden soll. Da habe ich realisiert, dass es Vince McMahon war. Sie hatten mich beschissen - diese lausigen Bastarde", erklärte der Hitman im Anschluss an das Match.

"Vince McMahon hat die Angewohnheit, Wrestler wie Zirkustiere zu behandeln. All die Wrestler, die über die Jahre ihre Knochen für den Job hingehalten haben, enden mit Nichts. Dann schaffen sie dich hinter die Scheune und jagen dir eine Kugel in den Kopf. Dies ist das Leben eines Wrestlers."

Der missratene Abschluss einer Vorzeige-Karriere

Dieses Match sollte die 14-jährige WWE-Karriere des Hitman abschließen, da sein Wechsel zur WCW bereits feststand. Die Absprache zwischen Bret Hart und seinem Arbeitgeber sah im Vorfeld eigentlich eine Disqualifikation für das Ende des Matches vor.

Hart zeichnete das letzte Gespräch insgeheim auf. "Ich denke, ich möchte nur den Tag überstehen. Morgen möchte ich meine Abschiedsrede halten und den Titel abgeben. Ich denke, so kann ich erhobenen Hauptes das Unternehmen verlassen. Ich muss Shawn nicht besiegen", bot der amtierende WWE Champion seinem Chef damals an.

Als Sicherheit betrachtete Hart seinen langjährigen Freund, den Ringrichter Earl Hebner, der dem Hitman beim Leben seiner Kinder schwor, dass er ihn nicht betrügen werde. Nach dem ominösen Ringgong jedoch verschwand Hebner schnellstmöglich aus dem Ring und im vor der Halle bereitstehenden Auto Richtung Hotel. Wahrscheinlich die vernünftigere Entscheidung, als die von McMahon, in der Halle zu bleiben.

McMahon k.o. geschlagen: "Die richtige Entscheidung"

Der entthronte Champion entlud seinen ganzen Frust an seinem einstigen Förderer und spuckte McMahon zunächst ins Gesicht. In der Umkleidekabine machte der Hitman seinem Namen dann alle Ehre und verpasste McMahon noch ein blaues Auge.

"Es war die richtige Entscheidung. Ich hatte keine andere Wahl, als Vince niederzuschlagen, um meinem Ärger Luft zu machen", sagte er später am Abend. Spätestens jetzt war klar, dass an diesem Abend etwas Unvorhersehbares geschehen war.

Bei den Survivor Series hob der WWE-Boss unverblümt für jeden Zuschauer sichtbar den Vorhang der Fassade des Wrestlings. Fünf Jahre zuvor hatte derselbe Vince McMahon Bret Hart das Vertrauen ausgesprochen, beim SummerSlam 1992 im Londoner Wembley Stadion vor über 80.000 Zuschauern den Main Event gegen den British Bulldog zu bestreiten. Und Hart hatte ihn nicht enttäuscht.

Bret Hart nahm in der Folgezeit eine ähnliche Rolle ein wie einst Hulk Hogan im Unternehmen in den 80er Jahren. Der Hitman wurde zum Aushängeschild der neuen Ära der New Generation der WWE. "Der Hitman-Charakter vertritt das Gute", beschrieb er persönlich sein Gimmick. Fans standen Schlange, um ein Autogramm vom Kanadier zu ergattern.

Die Attitude-Ära als Wendepunkt im Verhältnis

Allerdings machte die WWE im Zuge des Konkurrenzkampfes mit der WCW eine erneute Umstrukturierung durch. Attitude war das neue Credo - mit aggressivem, sexuell angehauchtem Programminhalt. "Wir wollen nicht Eure Intelligenz beleidigen. Die Zeiten der Superhelden, die Euch - den Fans - sagen, dass Ihr Eure Gebete sprechen und Eure Vitamine nehmen sollt, sind vorbei", so McMahon.

Was sich auf dem Papier hoffnungsvoll anhört, war jedoch Bret Hart ein Dorn im Auge "Ich halte nichts davon. Wrestling hat nichts mit Sex zu tun. Ich halte das Produkt für nicht präsentierbar gegenüber Kindern. Ich will damit nicht in Verbindung gebracht werden", gab er in der Fernsehsendung "Off The Record" bekannt.

Somit geriet Hart 1996 ins Visier von WCW-Boss Eric Bischoff. Der Hitman entschied sich jedoch vorerst, aus Loyalität zu McMahon nicht zu wechseln. Stattdessen unterschrieb er einen 20-Jahresvertrag bei der WWE. Die Schnelllebigkeit des Geschäfts sollte ihn jedoch bereits ein Jahr später einholen.

Wörtlich bezeichnete McMahon Harts langfristigen Vertrag als "finanzielles Risiko" und bat ihn, die Verhandlungen mit der WCW wieder aufzunehmen. Die Tatsache, dass der Hitman amtierender WWE Champion war und sein Abgang zur Konkurrenz nun feststand, stellte für Vince das größte Problem dar. Er befürchtete, bald seinen Champion mit seinem Gürtel in den WCW-Shows zu sehen. Ein Prestigeverlust, den der WWE-Boss um jeden Preis verhindern wollte.

Abgang von Bret Hart nur ohne Titel

Bereits in der Vergangenheit hatte Bischoff die amtierende WWE-Women's-Champion Alundra Blayze (Madusa) bei WCW Nitro den WWE-Gürtel in den Müll werfen lassen. 1991 wiederum verpflichtete McMahon den WCW-Champion Ric Flair und ließ ihn wochenlang mit dem Titel in den WWE-Sendungen auftreten.

Die aktuelle Situation unterschied sich jedoch darin, dass die Diskreditierung des wichtigsten Titels der WWE wahrscheinlich den Untergang des Unternehmens besiegelt hätte.

McMahon machte Bret Hart unmissverständlich klar, dass er den Titel bei den Survivor Series in Kanada gegen Shawn Michaels verlieren würde. "Ich kann das nicht. Dann kannst du mir auch gleich das Gehirn rauspusten. Dies wäre für den Hitman-Charakter gleichbedeutend." Hart verdeutlichte dem WWE-Boss, dass er jederzeit bereit sei, den Titel vor seinem Abgang abzugeben.

Was stellte dann das Problem dar? McMahons Wahl für Harts Nachfolger war Michaels, und das in Harts kanadischer Heimat - zwei Dinge, die dieser kategorisch ausschloss. Wegen vertraglich zugesicherter kreativer Kontrolle in Harts letzten Vertragsmonaten nahmen die Diskussionen zwischen beiden Parteien ihren Lauf.

Der Komplott und "Bret screwed Bret"

McMahon hielt sich an die wichtigste Regel in der Wrestling-Welt, die besagt, dass man niemandem außer sich selbst trauen darf. So entwickelte er bereits am Vorabend der Survivor Series bei einer Besprechung in einem Hotelzimmer mit den Offiziellen Pat Patterson, Gerald Brisco und Sgt. Slaughter sowie Shawn Michaels den Plan des Montreal Screwjobs.

In den Folgewochen drehte er die Opferrolle um und äußerte in einem Interview bei RAW: "Bret hat Bret betrogen. Bret Hart hat eine egoistische Entscheidung getroffen. Ich habe keinerlei Mitgefühl für Bret."

Michaels bestätigte später im Rahmen der WWE-DVD-Produktion "Best of Confidential", dass er in den Montreal Screwjob im Vorfeld eingeweiht gewesen sei, was er noch am Abend der Vorkommnisse geleugnet hatte.

Langfristige positive Folgen

Die Auswirkungen dieses Abends sollten jedoch langfristig der WWE positiv in die Karten spielen. Vince McMahon entwickelte hieraus seine On-Air-Rolle Mr. McMahon, die in der erfolgreichsten Fehde der WWE-Geschichte gegen Stone Cold Steve Austin mündete.

Bret Hart mag dies zwar völlig anders sehen, aber der Montreal Screwjob stellt einen wichtigen Meilenstein in seiner Karriere dar. Unabhängig von all seinen Erfolgen im Ring wird sein Name auf ewig im Zusammenhang mit diesem Abend stehen.

Auswirkungen bis heute spürbar

Einer der Gründe, warum sich Fans die WWE ansehen, liegt darin, dass sie etwas Unvorhersehbares miterleben möchten. Der Unterschied zu üblichen Matches und Fehden im Ring besteht darin, dass der Situation zusätzliche Dramatik verliehen wird.

Daher wurde der Montreal Screwjob oftmals kopiert - mit eher mäßigem Erfolg. Das aktuellste Beispiel ist der Main Event bei Money in the Bank 2011 zwischen John Cena und CM Punk um den WWE-Champion-Titel.

All diesen Kopien des größten Skandals in der Wrestling-Geschichte fehlte jedoch eine wichtige Zutat: der reale Bezug. Erst 13 Jahre später versöhnten sich die Protagonisten dieses skandalträchtigen Abends, Bret Hart und Shawn Michaels, bei RAW am 4. Januar 2010 in aller Öffentlichkeit.

Die kontroversen Vorkommnisse aus den Survivor Series werden in diesem Jahr in einer DVD-Produktion aufgearbeitet. Und die Legende wird weiter gestrickt.

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