Neue Chance in Beckers Schatten

Boris Becker drängt nicht in die erste Reihe
© Jürgen Hasenkopf

Michael Kohlmann hat auch in Portugal bewiesen, dass er die deutsche Tennis-Nationalmannschaft erfolgreich führen kann. Von Seiten des DTB sollte das honoriert werden.

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Deutschland kann im Profitennis eine durchaus gute Bilanz vorweisen, wenn es um die Platzierungen in den Weltranglisten der Damen und Herren geht. Im Männertennis stehen derzeit sieben Spieler unter den Top 100, Alexander Zverev glänzt mit einem augenblicklichen Karriere-Hoch - er rangiert auf Platz 4. Vor ihm stehen nur noch Nadal, Federer und Murray. Bei den Frauen sieht es ebenfalls ordentlich aus, allerdings war die Lage auch schon mal besser. Sieben deutsche Spielerinnen in den Top 100, elf in den Top 200, angeführt das Ganze von Angelique Kerber auf Platz 14. Die Kielerin war vor Jahresfrist noch die Nummer 1, aber bekanntlich hatte die Saison 2017 so ihre Tücken für Kerber.

Warum die Zahlen und Fakten? Nun, in den Team-Wettbewerben schlägt sich die gute Position vieler deutscher Spieler nicht nieder, weder bei Damen noch Herren. Beide Teams verloren in diesem Jahr ihre Auftaktmatches, und beide retteten sich soeben noch über die Ziellinie, um den Verbleib in der Weltgruppe zu sichern. Die Frauen schon im Frühling gegen die Ukraine, die Herren nun im Auswärtsspiel in Portugal. Wobei in dieser Saison schon von vornherein die Ausgangslage anders war als in den Spielzeiten zuvor: Denn wenn größere Hoffnungen vorhanden waren, dann richteten sich die auf das Team von Michael Kohlmann - auf ein Team, das im Februar mit den Zverevs und Kohlschreiber gegen Belgien eine unsanfte Bodenlandung erlebte. In der Dramaturgie erinnerte das an die zuvor erlebten Jahre bei den Frauen: Große Erwartungen, hochfliegende Träume. Schließlich die harte Realität. Niederlagen, die als schmerzlich empfunden wurden.

Nichts vorzuwerfen

Außer dem diffusen Gefühl mancher Funktionäre, dass die Ergebnisse "fehlten", ist nicht ganz klar, was mit der Amtsleitung von Michael Kohlmann nicht stimmen sollte. Oder gibt es Gründe, die sich der Öffentlichkeit noch nicht ganz erschlossen haben, Ungereimtheiten möglicherweise bei der Wahl des Bodenbelags zuletzt oder ähnliches. Als Kapitän in den Spielwochen hat Kohlmann stets ausgezeichnet gearbeitet - integrativ, vermittelnd, ausgleichend, motivierend. Auch im Davis Cup sind Niederlagen zunächst persönliche Niederlagen, exemplarisch zu besichtigen im Fall Alexander Zverev, der noch aus individuellen Faktoren in der besonderen Davis-Cup-Verantwortung scheiterte. Was könnte man da Kohlmann vorwerfen? Nichts, auch nicht den Umstand, dass die Zverevs trotz aller Initiative auch des Teamchefs dem Team die kalte Schulter zeigten in diesem September.

Dass nicht ganz leicht ist, sich im großen Schatten eines Boris Becker aufzuhalten, ist klar. Damit muss sich - genau so wie jeder andere Mann auf der Bank - aber auch Kohlmann arrangieren. Und das hat er, soweit das aus der Distanz zu beobachten war, auch getan. Wobei festzustellen ist, dass sich Becker keineswegs in die erste Reihe drängeln will, es wäre auch ein fataler Fehler. Er hat die richtige Position, er kann und soll Denkanstöße liefern, die Spieler mit unterstützen und antreiben, ihnen, wenn nötig, Deckung geben. Becker und Kohlmann könnten idealer Weise auch in der Nachwuchsarbeit zusammenwirken, Kohlmann ist ja eigentlich angestellter Trainer für den Nachwuchs. Und Becker soll sich mit engagieren bei der Suche nach den Besten der Zukunft. Noch ist das ganze personelle Konstrukt mit Becker neu, es muss sich auch noch einspielen auf vielen Ebenen. Aber die handelnden Personen im Herrentennis haben noch einmal eine Chance verdient.

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