Der angekratzte Mythos

Der Davis Cup hat schon bessere Tage gesehen
© getty

Die Vorzeichen stehen gut: Deutschland geht als klarer Favorit in die Davis-Cup-Erstrundenpartie gegen Belgien (ab Freitag, 14 Uhr, live auf DAZN). Für den Traditionswettbewerb sieht es dagegen weniger rosig aus.

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Es ist ein erstaunliches, zumindest ungewohntes Bild, das sich dieser Tage beim deutschen Davis Cup-Team bietet. Ein Länderspiel-Wochenende steht an, und Deutschland, zuletzt oft nur der Champion der internen Kleinkariertheiten, Eifersüchteleien und Eitelkeiten, geht mit seinen vier besten Spielern in den Centre Court-Kampf. Und, noch besser: Die besten Deutschen strahlen Bedeutung und sportliche Gefahr aus, gerade erst haben zwei aus dem Quartett, die Zverev-Brüder Mischa und Alexander, sogar für richtig Furore bei den Australian Open gesorgt. Es könnte also viel schlechter stehen um die Deutschen, wenn sie von Freitag bis Sonntag in der Auftaktrunde der Saison 2017 gegen Belgien antreten, in der FraPort-Arena zu Frankfurt. Es könnte allerdings auch viel besser stehen um den Wettbewerb, den sie bestreiten, um den ältesten regelmäßig ausgetragenen Wettbewerb im Sport überhaupt - um den Davis Cup.

Der Davis Cup war einmal, gerade in Deutschland, eine Staatsaffäre. Er war ein mythisch besetzter Wettbewerb, bei dem Millionen vor dem Fernsehen saßen. Und bei dem jeder, der aus Politik, Wirtschaft oder Showbiz etwas auf sich hielt, in den üppigen VIP-Räumlichkeiten des Vermarkters Ion Tiriac gesehen werden wollte - und einfach dabei sein musste, ob in Stuttgart, München, Halle oder Düsseldorf. Es war eine Ära, in der allerdings vieles noch ganz anders war, in Tennis-Deutschland und im ganzen Wanderzirkus. Es gab noch nicht diesen überquellenden Terminkalender, es gab noch nicht diese auszehrende Härte, Intensität und Länge der Duelle übers Jahr hinweg, es gab noch nicht diverse Schaukampfserien oder einzelne, finanziell attraktive Showevents, und es gab, andererseits, auch noch einen größeren Tennis-Patriotismus - die Bereitschaft der ganz Großen der Branche, unbedingt und so gut wie immer für ihr Land zu spielen. "Davis Cup - es waren Festtage, Feiertage. Es war einfach ein Riesending", sagt Boris Becker. Er selbst war der Zeremonienmeister dieser Festivitäten, viele Jahre lang. Er war auch der, der hierzulande dafür sorgte, dass alle vom Davis Cup und dessen Ausstrahlung verwöhnt waren.

Streit um Reformen

Zwei bis drei Jahrzehnte später kämpft der Davis Cup nicht nur in Deutschland, sondern überall in der Tenniswelt mit der neuen Welt des Tennis. Wo die Profis sowieso schon hektisch durch die Zeitzonen jagen und hetzen, in einem Tourbetrieb gefühlt ohne Pausentaste, ist die Bereitschaft immer geringer geworden, für den Davis Cup diese Strapazen noch zu vergrößern. Die Frage stellt sich: Kann der Davis Cup, kann sein Ausrichter, der Internationale Tennisverband ITF, einfach so weitermachen wie immer - mit maximal vier Wettbewerbsrunden in jedem Jahr, mit vier Runden sogar noch in olympischen Spieljahren? Können die Autoritäten ignorieren, dass der Charakter dieser Sportart sich verändert hat, dass jedes einzelne Spiel um so vieles physischer und belastender geworden ist? Einige in der Szene glauben, dass man bei der ITF genau so denkt, dass man sich wegduckt vor den Problemen. Novak Djokovic zum Beispiel, er denkt das: "Wir haben viele Vorschläge gemacht, wie man den Wettbewerb reformiert. Zwei Tage nur noch, zwei Gewinnsätze nur noch. Aber das wollte niemand hören. Da hat man sich taub gestellt.

Den Davis Cup Deutschland gegen Belgien live und exklusiv auf DAZN erleben

Nicht, dass die ITF keine Vorschläge gemacht hätte. Das nicht. Aber die Vorschläge, die sie machte, wollte keiner hören. David Haggerty, ein jovialer Amerikaner, der neuerdings dem Weltverband vorsteht, hat etwa die Idee, dass das Davis Cup-Finale und eventuell auch die Halbfinals auf neutralem Grund ausgetragen werden sollen. So könne es mehr Interesse an einem prominenten Schauplatz generieren. Nur fragen sich viele, wie das konkret aussehen soll: Eine Halle müsste früh im Jahr angemietet werden, man wüsste nicht, welche Teams ins Finale kämen. Angenommen, die Halle würde in Europa angemietet und es käme zu einem Finale zwischen Argentinien und den USA, wer wollte sich das ansehen. Und wer würde aus diesen beiden Ländern den teuren Weg auf sich nehmen. Auch diese Frage hat einer der Großen der Szene für sich beantwortet, der Spanier Rafael Nadal. "Man würde das wegnehmen, was die Spieler lieben: Die Heimatmosphäre." Im Internet hat der international gut vernetzte DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff gerade einen Aufruf gestartet, ITF-Präsident Haggerty "zu stoppen" wegen seiner angedachten Umbaumaßnahmen für den Davis Cup, die Verbände dürften schon gar nicht die ignorieren, "die den Davis Cup groß machen, die Spieler."

Große Namen fehlen

Tatsächlich müsste der Blick auf die Realitäten dieses Wochenendes die Verwalter dieses mal wirklich großen Wettbewerbs nachdenklich stimmen, eines Wettbewerbs, in dem viele Jahre kaum ein großer Name fehlte. Heute und jetzt ist es genau umgekehrt. Man muss die relevanten Namen suchen. An diesem Wochenende fehlen unter anderem Andy Murray, Stan Wawrinka, Milos Raonic, Kei Nishikori, Rafael Nadal, Marin Cilic, Gael Monfils, Roger Federer, David Goffin, Tomas Berdych oder Jo-Wilfried Tsonga in ihren Teams, aus der engsten Weltspitze ist nur Djokovic dabei, der das serbische Team auch ein wenig zur eigenen Aufbauhilfe in der Krise braucht. Es ist eine beklagenswerte Liste, all diese fehlenden Stars, nicht zuletzt für die Sponsoren des Wettbewerbs, für die Geldgeber des Weltverbands.

Für Deutschland, für dieses gut besetzte Deutschland, kann es weit gehen in diesem Davis Cup-Jahr. Selbst später in diesem Jahr, wenn doch noch der ein oder andere Star zu den anderen Mannschaften hinzustößt. Die Zverevs, ein solider Philipp Kohlschreiber, ein erstarkter Jan-Lennard Struff, es gab schon Zeiten, in denen Gegner lieber gegen diese Deutschen antraten.

Deutschland - Belgien in der Übersicht

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