Keine Vergleiche, bitte!

Von Florian Heer
Nicola Kuhn hat in Braunschweig zuletzt gelacht
© Florian Heer

Nicola Kuhn hat mit dem Erfolg in Braunschweig eine erste große Duftmarke gesetzt. Und mittlerweile herausgefunden, was für ihn der beste Weg ist.

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Er hatte alle Hürden gemeistert. Der erst 17-jährige Nicola Kuhn kämpfte sich durch die Qualifikation, gewann teilweise aussichtslose Matches und schaffte schließlich den großen Coup in dem er auch noch das Finale des größten deutschen ATP-Challenger-Turniers für sich entschied. Nun stand er dort am Samstagnachmittag auf der roten Asche des Center Courts in Braunschweig und geriet schließlich doch noch einmal während der Siegerehrung ins Schwimmen, als er seine Siegesrede vor mehr als 1.500 Zuschauern ins Mikrofon sprach.

"Ich danke allen meinen Eltern", ließ er verlauten und hatte selbstverständlich die Lacher auf seiner Seite. Es machte den Teenager, der sich während der Turnierwoche im Bürgerpark in die Herzen der Zuschauer spielte aber nur noch sympathischer. Kuhn, Sohn eines deutschen Vaters und einer russischen Mutter, ist in Österreich geboren, lebt aber seit seinem dritten Lebensjahr in Spanien.

"Ich mache so etwas wie hier nur selten auf Deutsch", schickte er auch erklärend sofort hinterher.

Rückblende. Freitagabend.

Kuhn sitzt erschöpft, aber zufrieden im kleinen Presseraum des mit €127.000 dotierten Turniers. Er hatte gerade sein Halbfinalspiel gegen den starken Ungarn Marton Fucsovics in drei Sätzen gewonnen, nachdem er sich bereits in der Runde zuvor nach einem 0-4 Rückstand im entscheidenden Satz noch einmal zurück kämpfen konnte. Den zwei anwesenden Journalisten und einem lokalen TV-Team erzählt er die Geschichte seines fantastischen Laufs. Gekommen als Weltranglisten-Nummer 501 mit nur einem Matchsieg auf Challenger-Ebene und nun also ins erste große Finale vorgedrungen.

Die Räumlichkeit, obwohl auf einer Seite vollkommen umgeben von Fenstern, wo die zahlreichen Turnierbesucher vorbeiströmen, scheint für den außerhalb des Platzes sehr ruhig wirkenden Kuhn als eine Art Rückzugsort von all den action-geladenen Kämpfen auf dem Court zu dienen.

Vollgas von Beginn an

Auf dem Platz jedoch ist er temperamentvoll wie ein "echter Spanier". Gerade einmal ein Ballwechsel war am Freitag gegen Fucsovics gespielt - welchen Kuhn zugegebenermaßen mit einem wunderbaren Vorhandwinner für sich entschied - aber bereits jetzt ballte er im Anschluss die Faust, gefolgt von einem Kampfschrei.

"Das Match beginnt mit dem ersten Punkt und von dem Moment an musst du Vollgas geben", erzählt er.

Der gebürtige Innsbrucker spricht neben Deutsch und Spanisch, auch Russisch, Englisch, Französisch und Italienisch. Die gewählte Sprache zur eigenen Anfeuerung auf dem Court erfolgt "instinktiv" wie er sagt. "Man kann nie sagen, was da kommt."

Was den jungen Spanier in den Tagen in Braunschweig besonders ausgezeichnet hat war seine Attitüde auf dem Platz. Ein offensiv-denkender Spieler, der sich auf der großen Bühne sichtlich wohl fühlt und auch gerne mit dem Publikum spielt, gepaart mit einer imposanten mentalen Reife.

Locker im Training

"Ich war zu defensiv im zweiten Satz und konnte mich schon darauf einstellen, diesen auch zu verlieren", analysiert er sein Halbfinalmatch. "Prinzipiell bin ich ein Spieler, der auch in der Defensive seine Stärken hat. Wenn ich dann in den Platz hineingehe, bin auch sehr aggressiv. Es ist wichtig in beiden Bereichen gut aufgestellt zu sein."

Kuhn unterstreicht diese Fähigkeiten mit einem sehr akkuraten Spiel, in dem er versucht, möglichst viele Bälle nahe der Linien zu platzieren und immer den Winner im Auge zu haben. Beim Training gibt er sich locker und übt auch gerne einmal Vor-und Rückhandschläge mit einem Strohhut des Turniertitelsponsors auf dem Kopf, was zur Erheiterung aller Teammitglieder beiträgt.

Erst im Sommer dieses Jahres hat der 17-jährige seine Juniorenkarriere beendet, um seinen Fokus auf den Erwachsenenbereich zu legen. Er spielte im Stade Roland Garros noch einmal im Finale der French Open, unterlag aber dem Australier Alexei Popyrin in zwei Sätzen. Schließlich krönte Kuhn aber noch seine Jugendkarriere mit dem Doppeltitel in Paris.

"Der große Unterschied zum Juniorenbereich liegt darin, dass Junioren noch sehr viele Fehler machen. Dort bekommst du vielleicht fünf oder sechs Chancen auf ein Break. Bei Futures im Herrentennis hast du vielleicht noch drei und auf Challenger und ATP-Ebene sind es nur noch zwei oder eine", erklärt Kuhn.

Störende Vergleiche

Mit dem Turniersieg in Braunschweig gilt Kuhn automatisch als einer der Nachfolger des Deutschen Supertalents Alexander Zverev, der hier als ebenfalls 17-Jähriger seine inzwischen bereits sehr erfolgreiche Karriere startete und 2014 in der Löwenstadt gewann.

"Es stört mich schon ein bisschen, dass die Leute jetzt anfangen Spieler zu vergleichen. Jeder ist anders", betont Kuhn. "Es gab in Spanien den Fall von Carlos Boluda. Er wurde immer mit Rafael Nadal verglichen. Es gibt aber keinen zweiten Rafa Nadal oder zweiten Roger Federer. Deswegen sollten die Leute die Spieler auch in Ruhe lassen, da dies lediglich negativen Druck erzeugen kann."

Boluda galt als eines der größten Talente auf der iberischen Halbinsel aber wartet - inzwischen 24 Jahre alt - als Weltranglisten Nummer 546 noch immer auf den großen Durchbruch.

Kuhn, der aufgrund von räumlichen Distanzen nicht mit allen spanischen Spielern im täglichen Training ist, sieht die Generation von 1997 mit Carlos Taberner oder Pedro Martínez Portero als die wohl aussichtsreichste an, um vielleicht irgendwann mal zumindest ansatzweise in die großen Fußstapfen eines Nadal treten zu können.

Der steile Aufstieg von Alexander Zverev hat ihn sehr beeindruckt. "Wir haben zusammen im Juniorenteam für Deutschland gespielt. Ich kenne ihn daher ein bisschen, aber er macht einen netten Eindruck. Was er dieses Jahr geschafft hat, ist überragend. Mit 20 Jahren in die Top 10 zu kommen, das muss man schon können, und da ziehe ich den Hut vor. Ich hoffe aber natürlich irgendwann mal selbst gegen ihn auf dem Platz zu stehen."

Neues Lebensgefühl außerhalb der Akademie

Kuhn, der trotz seines neuen Sponsors "La Liga" kein großer Fußballfan ist, da dies "zu langsam und langweilig ist" und sich selbst als "Autofreak" bezeichnet, hat vor einigen Monaten Veränderungen in seiner Karriere vorgenommen, um dieses Ziel möglichst schnell zu erreichen. Er verließ die Akademie des ehemaligen Weltranglistenersten Juan-Carlos Ferrero in Villena und ist zurück zu seinem alten Coach Pedro Caprotta nach Torrevieja gegangen, wo er aktuell auch trainiert.

"Ich hatte eine gute Zeit dort. Ich war fünf Jahre in der Akademie, wovon ich die ersten drei Jahre täglich aber fast 250 km hin und her gefahren bin. Im Anschluss habe ich in der Akademie gewohnt, was nicht gerade dem besten Lebensstil für einen Sportler entspricht."

Kuhn schien sich eingeengt zu fühlen, obwohl er doch selbst genau wüsste, was gut für ihn sei und was nicht. "Ich habe meine eigenen Ziele, ich weiß, was ich will. Wenn ich irgendwo anders gewohnt hätte, zum Beispiel in der Stadt, hätte ich auch keinen Scheiß gemacht. Das hat nicht jeder verstanden. Außerdem spürte ich, spielerisch nicht weiter zu kommen, und habe daher beschlossen einen Wechsel zu vollziehen. Mein alter Trainer hat mich bereits im Alter von sechs bis zwölf Jahren betreut. Die Resultate sprechen dafür, dass es eine gute Entscheidung gewesen zu sein scheint."

Ziel Top 200

Bereits vor seinem ersten Triumph auf Challenger-Niveau, hatte sich Kuhn seine erste Trophäe im Herrentennis gekrallt, als er das $15,000 Futures im ungarischen Zamardi im Mai dieses Jahres gewann.

"Am Ende des Jahres würde ich gerne unter den ersten 200 stehen. Ich sehe, dass ich das Level habe. Ich werde auf jeden Fall alles dafür geben", gibt er sich selbstbewusst und kämpferisch.

Der Sieg in Braunschweig hat ihn bereits im Juli 2017 in diese Sphären des ATP-Rankings gespült. Die kleinen sprachlichen Probleme bei der Siegerehrung werden mit weiteren Erfolgen und dementsprechenden praktischen Übungen dann auch sicherlich schnell reduziert werden.

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