ATP Finals: Federer, Zverev - Aus einer Lappalie eine Staatsaffäre gemacht

Von Jörg Allmeroth
Alles gut nach Matchende - Alexander Zverev und Roger Federer
© getty

Alexander Zverev hat im Halbfinale gegen Roger Federer alles richtig gemacht - vor allem auch nach Ende des Matches.

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Roger Federer hat sich redlich verdient, dass er der uneinholbare Publikumsliebling in der Welt des professionellen Tennis ist. Er ist schon zu seinen aktiven Zeiten eine Legende, eine geradezu mythisch verehrte Figur. Allerdings unterliegen manche seiner Fans inzwischen dem Irrtum, dass Federers Gegner nur noch eine Art Staffage für die umjubelten Centre Court-Auftritte des 37-jährigen Maestro sein müssten. Federer wird kraftvoller Applaus gespendet, Punkt-, Spiel-, Satz- und Matchgewinne werden hymnisch bejubelt. Der Respekt für Federers Gegner hält sich in Grenzen, meist bekommen sie nur den allerartigsten Minimalbeifall zugeteilt. Oder aber es bricht Schweigen aus, wenn sie drauf und dran sind, Federer zu schlagen.

Federer genießt die Zuneigung, warum auch nicht. Er hat den modernen Tennissport in eine neue Sphäre gebracht, hat ihm auch neue Dimensionen der Vermarktung erschlossen. Fast jeder, der gegen ihn spielt, profitiert im Hintergrund auch von ihm, vom Besten aller Zeiten. Und doch wirkt zuweilen etwas widernatürlich, was da mit und um Federer herum passiert. Gegner, die sich mit ihm zum Selfie nach Matches aufstellen. Eine Ehrfurchtshaltung, die gesunde sportliche Gegnerschaft verdrängt. Ob das auch dazu geführt hat, dass die Tennisanhänger mitunter eine seltsame Haltung zu den Duellen auf dem Centre Court entwickeln, den Matches mit dem ewigen Roger.

Alexander Zverev zeigte Größe und Reife

In London jedenfalls machten Federer-Afficionados aus einer Lappalie eine Staatsaffäre. Und pfiffen Zverev, den Federer-Bezwinger im Halbfinale, gnadenlos aus, weil der gemäß der Regeln einen Ballwechsel im Tiebreak unterbrochen hatte - und anschließend, bei der Wiederholung des Punktes, ein Ass ins Feld von Federer setzte. Auf der Zielgeraden des Matches erinnerte manches an die gespenstischen Vorfälle von New York, an die US Open mit dem Serena Williams-Eklat. Auch damals war einer jungen Tennis-Kraft, der Championess Naomi Osaka, der größte Karriere-Tag verdorben worden, bei der Siegerehrung musste sie ein Pfeifkonzert der aufgebrachten Willams-Anhänger erdulden. Der Triumph endete in Tränen.

Zverev zeigte Größe und Reife, als er sich bei einem Courtinterview entschuldigte für den unangenehmen Zwischenfall - obwohl es eigentlich nichts zu entschuldigen gab. Die Geste imponierte, weil sie zeigte, dass dieser 21-jährige Spieler eine äusserst komplexe Situation zu lösen vermag. In einer Art und Weise, die an den großen Diplomaten Federer erinnerte, an den Mann, der Zverev gelegentlich diskret beriet. Federer selbst rief später auch zur Mäßigung auf, ihm schien peinlich, wie das Denkmal seiner selbst behandelt zu werden, wie ein Säulenheiliger. Das will er nicht sein, und das ist er auch nicht.

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