Flashback: Vor 29 Jahren - Thomas Muster und der Autounfall von Miami

Thomas Muster
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Einer der schrecklichsten Unfälle, eines der größten Sport-Fotos - und eines der tollsten Comebacks: Thomas Muster und der Autounfall von Miami.

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Es ist der 1. April 1989, nur wenige Minuten nach Mitternacht. Der junge Österreicher Thomas Muster hat beim Turnier in Key Biscayne einige Stunden zuvor den Franzosen Yannick Noah niedergerungen, er wird am kommenden Montag zum ersten Mal in den Top Ten der Weltrangliste geführt werden. Und er steht im Finale gegen die Nummer 1 der Welt, Ivan Lendl.

Muster holt gerade seine Sachen aus dem Kofferraum des Fahrdienst-Autos, eine junge Studentin hat ihn, seinen Coach Ronnie Leitgeb und einen Freund in die Stadt gebracht, Muster hat Hunger, will noch eine Kleinigkeit essen. Dann quietscht es. Und knallt. Ein Pontiac fährt Muster um. Als er wieder aufstehtund dem geschockten Leitgeb versichert, das werde schon wieder bis Sonntag, bis zum Finale, weiß er noch nicht, dass die Seiten- und Kreuzbänder seines linken Knies durch sind und die Fortsetzung seiner Karriere ungewiss ist. War's das für den ehrgeizigen Leibnitzer, mit nur 21 Jahren?

Ein Foto geht um die Welt

Monate später geht ein Foto um die Welt, das zu einem der bekanntesten Sportlerfotos überhaupt wird. Da sitzt ein Mann auf einem Stuhl auf dem Tennisplatz, das linke Bein auf einer Art Bank, und versucht verzweifelt, einen Tennisball zu erreichen. Offiziell, um das Gefühl nicht zu verlieren. Inoffiziell als Aggressionsbewältigung, wie Muster es später erklärte. Kampf bis zum Umfallen. Keinen Ball verschenken. "Aufgegeben wird nur ein Brief", hatte ihm schon sein Vater erklärt. 53 Muster schuftet hart für sein Comeback. Ein halbes Jahr später steht er Ivan Lendl endlich gegenüber. Es ist nur ein Showkampf. Aber es ist die Rückkehr von einem der besten Sandplatzspieler der Tennisgeschichte. Es ist der Start der zweiten Karriere des Thomas M.

Und die kann sich sehen lassen. Von seinen 44 Turniersiegen feiert der Steirer 40 auf Sand, rackert hierfür Jahr für Jahr von Februar bis September alle möglichen Sandplatz-Turniere ab, von Mexico-City bis Palermo, und krönt seine Karriere 1995 mit dem Triumph bei den French Open in Paris, seinem Kindheitstraum. Insgesamt gewinnt Muster in diesem Jahr zwölf Einzelturniere, einschließlich des Hallenturniers in Essen.

Zwar wehrt Muster sich noch heute dagegen, als reiner Sandplatz-Spezialist abgetan zu werden. Dennoch: Sein Spiel, sein Kampfgeist, seine leichte Verrücktheit - Muster war wie gemacht für das Spiel auf roter Asche. Sein extremer Topspin, seine läuferische Klasse, seine Besessenheit, um jeden Punkt zu fighten, als sei es der letzte: Man könnte Muster als eine Art Vorgänger von Rafael Nadal bezeichnen. Bitter seine Statistik in Wimbledon: Hier konnte der Linkshänder nicht ein Spiel gewinnen, war auf dem damals noch sehr schnellen Grün oft Opfer schneller Aufschläger und des flachen Ballabsprungs, der es ihm mit seinem extremen Vorhandgriff nicht erlaubte, unter den Ball zu kommen.

In Key Biscayne schließt sich der Kreis

In Deutschland wurde Muster oft als "Alpen-Boris" abgetan, als Österreichs Antwort auf Deutschlands Bobbele. Aber das wollte er nie hören. Warum auch. Die Unterschiede zu Becker waren groß. Amüsant seine Beschreibung des großen Widersachers aus Deutschland: "Becker hat etwas Divahaftes. Er geht nicht, er schreitet. Er kommt nicht, er erscheint." 1997 schloss sich ein Kreis für den großen Kämpfer: Dort, wo seine Karriere fast endete, bevor sie so richtig begann, holte er seinen letzten Titel, in Key Biscayne, auf Hartplatz. Und wäre nicht 13 Jahre später wieder mal der Besessene in Muster durchgebrochen, wäre das ein schöner Abschluss von Grund Nummer 39. Wäre...

Nachdem Muster 1999 nach seinem Erstrunden-Aus bei den French Open kein Spiel mehr bestritt - ohne das Wort "Rücktritt" explizit in den Mund genommen zu haben -, hörte man die Jahre darauf nicht viel von ihm. Auf seiner Farm in Australien gelebt habe er, viel geraucht und Bier getrunken. 2001 machte ein Bild die Runde, auf dem der stets fitte Sport-Fanatiker ein Golfwagerl hinter sich und eine nicht unerhebliche Mozartkugel vor sich her schob. Muster mit 20 Kilo zu viel auf den Rippen? Das konnte nicht lange gut gehen. 2010 die Überraschung. Muster kündigte sein Comeback an - oder, mangels Rücktritt: die Fortsetzung der Karriere mit 42 Jahren.

Die ersten Lächler erstarrten, als sie Muster oberkörperfrei trainieren sahen: Durchgestählt wie zu seinen Glanzzeiten stöhnte sich der Kraftprotz zurück in die Tenniswelt. Seine Grenzen ausloten wollte er, die Intensität noch mal erleben, sehen, wie weit er noch kommt in seinem Alter. Es reichte nur für zwei Siege in 27 Spielen, die meisten davon auf Challenger-Ebene. Das vorletzte Match als Profi absolvierte Muster 2011 bei seinem Heimat-Turnier in Wien, es war das letzte Aufbäumen vor großer Kulisse. Sein Gegner war ein Landsmann, der junge Dominic Thiem. Einer, der sich aufmachte, die großen Fußstapfen des großen Österreichers Thomas Muster auszufüllen.

(Auszug aus dem Buch 111 Gründe, Tennis zu lieben. Weitere Infos dazu gibt es hier.)

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