Das verflixte zweite Jahr - Die Leiden des jungen Alexander Zverev

Alexander Zverev
© getty

Alexander Zverev hat in Indian Wells den Sieg gegen Joao Sousa auf dem Schläger gehabt - und dann doch wieder den Kürzeren gezogen. Nicht das erste Mal in der laufenden Saison.

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Als Alexander Zverev an diesem Sonntagabend im Tennis Garden zu Indian Wells zum letzten Mal ans Netz marschierte, wirkte er nicht übermäßig grimmig oder verbittert. Er sah eher ratlos aus, wie ein Mann, der nicht ganz genau wußte, wie ihm geschehen war. Es war allerdings auch alles nicht einfach wegzustecken, diese jüngste von vielen herben Niederlagen der letzten Monate, dieses weithin unerfreulich gestartete Tennisjahr, dazu noch der ganze Kulissendonner im Team Zverev.4:1 hatte der Weltranglisten-Fünfte Zverev im letzten Satz gegen den Portugiesen Joao Sousa im entscheidenden dritten Satz schon geführt, es hätte eine leichte Übung für den Deutschen sein müssen, dieses Spiel nach Hause zu bringen, über die Ziellinie zu schaukeln.

Doch weil nichts leicht ist für Zverev in diesen problembeladenen Tagen, machte er auch bei diesem Arbeitseinsatz das sehr gut Mögliche noch unmöglich, alle fünf abschließenden Spiele verlor der 20-jährige Hamburger zur finalen 5:7, 7:5, 4:6-Niederlage. "Das ist verdammt frustrierend", sagte Zverev hinterher, und das galt nicht nur diesem Tag, diesem Spiel. Sondern irgendwie auch dem ganzen Trend der letzten Zeit. Wer die Gesetzmäßigkeiten des Profitennis kennt, der konnte schon ahnen, dass Zverev ein schwieriges Jahr bevorstehen würde. Einem so rapiden, fast kometenhaften Aufstieg, wie ihn der Hamburger in der Saison 2017 erlebte, folgt meist eineanspruchsvolle, sehr herausfordernde Spielzeit - vorsichtig ausgedrückt.

Fast 80 Matches 2017

Im Wanderzirkus wird das gern als "verfluchtes zweites Jahr" beschrieben, gemeint ist die Schwierigkeit, sich auf hohem und höchstem Niveau zu konsolidieren, mit gestiegenem Erwartungsdruck umzugehen und sich der verschärften Konkurrenzsituation der Berufskollegen zu stellen. Hinzu kommt die Aufgabe, eine physisch äußerst harte Saison wegzustecken, mit erstmals vielen Matches in den Finalrunden von Topturnieren, mit überhaupt so vielen Matches wie nie zuvor in einer jungen Laufbahn. Bei Zverev waren es 2017 satte 77 Auftritte, die letzten Spiele absolvierte er Mitte November bei der ATP-WM in London. Die Pause danach: Kurz, extrem kurz. Nicht mal zwei Wochen. Das Tennisjahr 2018 begann also durchaus wenig überraschend mit Komplikationen für den nicht ganz erholt und frisch wirkenden Zverev - etwa bei den Australian Open, bei denen er in der dritten Runde gegen den südkoreanischen Aufsteiger Hyeon Chung in der dritten Runde verlor.

Aber im Hintergrund, weitgehend unbemerkt, passierte doch etwas Überraschendes und Unnützes - nämlich ein schweres Zerwürfnis zwischen Zverev und seinem prominenten Coach Juan Carlos Ferrero, dem ehemaligen Grand-Slam-Sieger und Weltranglisten-Ersten. Beide hatten ihre Arbeitsbeziehung in den Monaten zuvor als eine Art Traumkonstellation bezeichnet - zum gegenseitigen Vorteil, zum sportlichen Nutzen Zverevs, zum Kompetenzgewinn für den Coach Ferrero. Und dann? Ein Streit um Zuständigkeiten, um berufliche Prinzipien, wohl auch um Macht und Einfluß im Unternehmen Zverev, um die sportliche Richtung. Erst abseits der Öffentlichkeit ausgetragen, dann - sehr ungewöhnlich - in aller Öffentlichkeit. Normalerweise trennen sich die Beteiligten auch in der Tennisbranche mit den üblichen PR-Floskeln, also im gegenseitigen Einvernehmen und mit den besten Wünschen.

Noch keine Krise

Doch in der Causa Zverev/Ferrero ging es sogar im kleinsten Karo eines Rosenkriegs weiter, mit der Frage, wer wann wie oft zu spät zum Training gekommen sei. Oder auch nicht. Auch in Indian Wells begann das Turnier für Zverev am Medientag mit dieser Frage. Er sagte dazu, er er wisse gar nicht, wie man auf diese Unpünktlichkeit kommen könne: "Ich bin noch nie zu spät zum Training erschienen." Zverev hatte zuletzt zwar klare Verhältnisse geschaffen, als er die Trennung von Ferrero beschloß. Aber man konnte das Ganze auch als Niederlage betrachten, als Rückschritt, als unfreiwilliges Bremsmanöver. Denn Ferreros Ansatz, Zverev zu mehr Stabilität und mentaler Disziplin verhelfen zu wollen, war richtig. Der Spanier ist kein Mann, der Unkontrolliertheit mit notwendiger Emotionalität verwechselt, er hatte vielleicht auch geahnt, dass Zverev gerade im schwierigen "zweiten Jahr" mehr Beherrschtheit braucht - und weniger herumgeschleuderte, zertrümmerte Rackets und mentales Chaos auf dem Court.

Ferrero monierte, Zverev habe mit steigendem Selbstbewußtsein im vergangenen Jahr "die vereinbarten Regeln nicht mehr beachtet", der Spanier sah sich dabei offenbar als aussichtsloser Alleinkämpfer gegen den Rest der Tennisfirma Zverev. Das alles ist noch keine ausgewachsene Krise für Zverev. Aber er braucht sicher in diesem schweren Jahr 2018 eine zusätzliche, eine kritische, unabhängige Stimme im Team, um wenigstens sein erkämpftes Terrain einigermaßen gut behaupten und seine Potenziale ausschöpfen zu können. Wer das sein kann? Boris Becker, der Altmeister, kann und will es (noch) nicht sein. Aber es gibt genügend Kompetenz auf der Markt, Leute, die sich trauen, auch Unbequemes auszusprechen. Härtere Zeiten kommen ja erst noch in dieser Saison für Zverev, vor allem dann, wenn es bei den Erfolgsturnieren des Vorjahres gilt, enorme Punktepolster zu verteidigen.

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