Das Ende der Profikarriere: Der ewige Tommy verabschiedet sich

Das war's nun endgültig: Tommy Haas beendet seine Karriere
© getty

Tommy Haas hat seine Profikarriere nach über zwei Jahrzehnten nun offiziell beendet. "Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt meines Lebens", sagt der bald 40-Jährige.

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Er war so vieles in seinem langen, überlangen Tennisleben. Er war das frühe Versprechen auf eine große Zukunft. Er war schon mit 22 Jahren Silbermedaillengewinner, mit 24 Jahren die Nummer 2 der Welt. Er war dann der größte Pechvogel des Wanderzirkus, der Dauerverletzte. Aber auch der Immer-Wieder-Comebacker, der Unermüdliche, der niemals Aufgebende, der stets Ehrgeizige. Schließlich war er der späte, nostalgisch umrankte Siegertyp, auf seine schon ziemlich alten Tage noch einmal ein Champion bei hochklassigen Turnieren.

Und nun ist es tatsächlich vorbei. Jetzt ist Thomas Mario Haas im Ruhestand, der Mann, den alle nur Tommy nannten. Fast 22 Jahre dauerte diese mal abenteuerliche, mal verrückte, mal großartige, mal aber auch tragische Karriere. Bis zu diesem Februar des Jahres 2018, in dem offiziell geworden ist, was sich schon länger andeutete: Haas, dieser 39-jährige Sisyphos des Tennis, ist kein Berufsspieler mehr. Er hat das Manegen-Dasein hinter sich als Aktiver. "Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt für mich", sagt Haas.

Seinen würdigen Abschied hatte er sich schon im letzten Jahr verschafft, bei einer Tournee über die wichtigsten Stationen seiner Laufbahn. Haas kam noch einmal zu den wichtigsten deutschen Turnieren, es ging schon längst nicht mehr ums Siegen und Gewinnen, sondern um die Tatsache, dass er seinem Schicksal noch einmal ein Schnippchen schlagen wollte.

Letzter Sieg gegen Federer

Er war schon wieder verletzt und angeschlagen, es zwickte an allen Ecken und Enden, aber Haas wollte noch einmal raus auf die Bühnen, die er geliebt hatte, ob nun in München, Halle oder Hamburg. Oder auch Stuttgart. Und dort, beim Weissenhof-Turnier, schaffte er auch etwas Außergewöhnliches und Versöhnliches. Er gewann gegen Roger Federer, seinen Freund und oftmaligen Spiel- und Spaßverderber. Weil Haas danach kein Spiel mehr gewann bei anderen Auftritten, bleibt nun die Tatsache: Seinen letzten Sieg feierte er gegen den denkbar größten, bedeutsamsten Gegner, gegen Federer.

Haas war im letzten Jahr schon in einer Zwitterrolle gewesen im Tourgeschäft. Denn zu seinen vielen Rollen war 2017 noch eine hinzugekommen, er war in jener Saison ein spielender Turnierdirektor. Larry Ellison, der Software-Milliardär, der einst das Unternehmen Oracle begründet hatte, hatte Haas vor rund 18 Monaten die Chefposition beim fünftgrößten Turnier der Welt in Indian Wells übertragen. Haas durfte 2017 wegen des offensichtlichen Interessenkonflikts dort, in der Wüste Kaliforniens, nicht antreten - doch ansonsten war er im Profibetrieb stets bereits in zwei Funktionen unterwegs.

Als Ein-Mann-Betrieb Tommy Haas, auf den wirklich allerletzten Metern der eigenen Karriere. Und als Botschafter für das hochgeschätzte Turnier, das sich zuletzt als innovativste Station im Jahreskalender erwiesen hatte. "Mit beiden Beinen war ich schon etwas länger nicht mehr Profi", sagt Haas.

Man konnte das übrigens auch in Wimbledon beobachten, beim wichtigsten Ortstermin des Tennisjahres. Haas spielte dort im vergangenen Jahr, verlor achtbar gegen den Belgier Ruben Bemelmans in der Auftaktrunde. Aber zum Endspiel war er noch einmal da, auf Einladung seines alten Kumpels Federer. Mittendrin, aber nicht mehr ganz dabei. Er habe sich sehr gefreut, sagte Federer damals, "dass Tommy gekommen ist. Wir sind ja so viele Jahre gemeinsam unterwegs gewesen."

Was stimmte. Und auch wieder nicht. Denn Federer war schließlich der Liebling der Tennisgötter geworden, einer, der verletzungsfrei seine Talente voll und ganz auf den Centre Courts der Welt ausspielte. Während Haas, kaum weniger begabt und talentiert, vom Schicksal hart gebeutelt wurde. Wieder und immer wieder. "Er ist vielleicht der beste Spieler der Profiära im Tennis, der nie einen Grand Slam gewonnen hat", sagt der Amerikaner Andre Agassi, einer der Superstars der Branche.

Haas lebte seit früher Jugend mit enormem Erwartungsdruck, er galt immer als riesiges Talent. Eine Investorengruppe wettete sogar mit Geld auf eine strahlende Zukunft, als Haas und seine Schwester Sabine Anfang der 90er Jahre in die Ausbildungsschmiede von Nick Bollettierei nach Florida wechselten. "ToSa" hieß das Konstrukt, gebildet aus den Vornamen der beiden Tenniskinder. Nur Tommy hielt durch, seine Schwester Sabine kehrte bald nach Deutschland zurück, der harte, rauhe Umgangston bei Bollettieri setzte ihr psychisch zu sehr zu. Haas wechselte schon 1996 auf die Profitour, sein erster großer Tennismoment kam 1997 am Hamburger Rothenbaum, als er in seiner Geburtsstadt beim damals noch großen Masters das Halbfinale erreichte.

Es ging weiter aufwärts für ihn, 2000 holte er sich in Sydney die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen, dann rauschte er in der Hitparade der Tenniscracks schnell bis auf Platz 2. Zum endgültigen Durchbruch fehlte eigentlich nur noch ein Grand-Slam-Triumph, der Sieg bei einem der vier Turniere, die einen Spieler im Tennis definieren und auch seinen Marktwert bestimmen.

"Der Körper war mein Gegner"

Aber diesem einen großen Sieg lief Haas dann all die Jahre vergeblich hinterher. Nicht bloß, weil er manchmal in den entscheidenden Momenten nicht mit der Größe der Aufgabe wuchs. Oder weil er sich plötzlich in einer Ära wiederfand, in dem absolute Supermänner wie Federer, Rafael Nadal oder Novak Djokovic den Lauf der Dinge bestimmten. Sondern vor allem, weil er sich auf eins nicht verlassen konnte, worauf sich jeder Sportler existentiell verlassen muss: Auf den eigenen Körper. "Ich hatte zu oft einen Gegner, dem ich nicht mit der Vor- oder Rückhand beikommen konnte. Dieser Gegner war mein Körper, waren die dauernden Verletzungen", sagt Haas.

Es gab Jahre, in denen er gar nicht spielte. Es gab Jahre, in denen er öfter in Arztpraxen und Krankenhäusern war als auf dem Centre Court. Und es gab Jahre, in denen er nahe dran war, alles hinzuschmeißen und nicht schon wieder an einem Comeback zu basteln. Aber es gab dann stets einen Grund, warum Haas weitermachte - und das war, einfach wahr und ohne Pathos: Er liebte seinen Sport, er liebte die Auftritte vor großem Publikum auf großen Bühnen, er war das, was sie in der Szene eine Rampensau nennen. Eine Rampensau, ein Überzeugungstäter auch.

"Ich konnte mir ganz lange einfach kein Leben ohne Tennis vorstellen. Es war eben mein Leben", sagt Haas. Noch im vergangenen Jahr, als er wieder einmal in einer leidenschaftlichen Kraftanstrengung eine Rückkehr geschafft hatte, sagte der alte Freund Federer: "Es ist bewundernswert, wie er das alles durchgestanden hat. Und wie sehr er sich aufgeopfert hat für das Tennis."

Stehaufmännchen mit langem Atem

Sein Leben zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Dreißig konnte man relativ einfach beschreiben. Haas hatte Verletzungsprobleme. Er wurde operiert. Er kam wieder. Er verletzte sich wieder. Er wurde wieder operiert. Und kam wieder. Das ging ein Dutzend Mal so, oft wurde Haas schon abgeschrieben, oft schrieb er sich insgeheim selbst schon ab.

Und dann war da wieder die Schlagzeile zu lesen: "Comeback für Tommy Haas." 2012 und 2013, er war schon tief in seinen Dreißigern, gelangen ihm drei völlig unerwartete, schon etwas versöhnliche Turniersiege in Halle, München und Wien. Es war ein Moment, in dem Haas schon seinen Frieden mit dem Tennis gemacht hatte, in der Rolle des tapferen, überall beklatschten Stehaufmännchens.

907 Spiele hat er insgesamt bestritten als Berufsspieler, in drei verschiedenen Dekaden. 569 Mal siegte er, 338 Mal verlor er. 15 Titelerfolge stehen in seiner Karrierebiographie, die auch viele bemerkenswerte Kapitel als Nationalspieler enthält. Viele Jahre rieb er sich im Davis Cup auf, hatte große schwarz-rot-goldene Tennismomente.

Aber zur Tragik der Generation nach Boris Becker und Michael Stich gehörte eben auch, dass die beiden Besten der Erben nicht als Team funktionierten - Haas und Nicolas Kiefer. Nun will Haas nur noch tun, was er will. Und auch, das, was er viele Jahre nicht durfte, Skifahren zum Beispiel. Das Wichtigste aber: Er hat nun noch mehr Zeit für die Familie, für seine Frau und seine beiden Töchter. Lange Zeit war ohne Tennis alles nichts. Nun ist Tennis nicht mehr alles, auch wenn es nicht ganz ohne Tennis geht.

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