Ein Leben ohne Beispiel

Boris Becker
© Jürgen Hasenkopf
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Vieles von dem, was auch in den letzten Monaten über Becker geschrieben und bekannt wurde, ist auf diesen letzten Tag seiner aktiven Karriere zurückzuführen. Denn Beckers Leben danach, nach den Hundejahren auf der Tennistour, war jäh und plötzlich ein ganz anderes geworden, als er sich ausgemalt hatte. Beckers Ehe ging in die Brüche, ein öffentlicher Scheidungsprozess zog sich quälend hin. Becker musste schließlich zahlen, zahlen, zahlen.

Für den Unterhalt nicht nur an seine Ex-Frau Barbara, sondern auch an die Ermakowa-Familie. Im Chaos der familiären Verwicklungen blieb auch der Geschäftsmann Becker oft ohne Fortüne - wie man inzwischen weiß, begann in jener Zeit auch das Schuldendilemma Beckers. Ganz offensichtlich gab er schlicht mehr Geld aus, als er zur Verfügung hatte. Was einen wie Beckers großartigen ersten Manager Ion Tiriac nur den Kopf schütten lässt, ihn, den rumänischen Milliardär mit der Finstermiene: "Zu unserer gemeinsamen Zeit war er der reichste Sportler der Erde. Er hätte mühelos bis ans Lebensende mit diesem Geld leben können." Selbst trotz aller dieser unvorhergesehenen privaten Verpflichtungen.

Tiriac ist auch so einer, ohne den das Leben Beckers nicht zu erklären ist. Der gerissene Dealer hielt in den ersten Jahren von Beckers Karriere den Laden zusammen, nie hatte Becker einen besseren und ausgeschlafeneren Berater in allen Lebensangelegenheiten. Aber Becker verstieß ihn Anfang der 90er-Jahre, so wie er später auch immer wieder Freunde oder Trainer verstieß. "Ich bin immer ein Einzelgänger gewesen. Ein einsamer Wolf sogar", sagt er, "ich habe auch nicht viele, die ich Freunde nennen würde." Erklärt das auch die Schwierigkeiten, die der Privatier und Geschäftsmann Becker hatte? Er hat jedenfalls immer geglaubt, er könne die Dinge auch gut und gerne allein regeln, irgendwie, irgendwann, mit irgendwem.

Aber nie hatte er so hellsichtige Köpfe an seiner Seite wie Tiriac oder später auch noch einmal den Münchner Rechtsanwalt Axel Meyer-Wölden. Der Titel, den die ARD eben einer längeren Betrachtung Beckers widmete, muss Becker sicher gefallen haben: "Der Spieler" heißt dieses Porträt, und so sieht er sich auch jetzt noch immer am liebsten. Als Spieler, der allein auf dem Court die Entscheidungen fällte. Oder später auch mal als Firmenchef oder am Pokertisch. Sein gelegentliches Scheitern im Big Business verklärt er dabei auch liebevoll: "Ich habe vieles probiert, vieles hat auch nicht geklappt. Aber das geht doch jedem so." Nur spielte auch nicht jeder mit so hohen Einsätzen wie er, wie Becker.

"Glück hat nichts mit Tennis zu tun", sagt Becker

Nein, langweilig ist es einem nie geworden mit diesem Becker. Niemals seit den Julitagen des Jahres 1985 bis heute, bis zu seinem 50. Geburtstag. Er hat auch jetzt noch die Seite-1-Garantie, Kameras umschwirren ihn auf Schritt und Tritt. Und gerade in den letzten zwölf Monaten war Becker so präsent wie in den großen Centre-Court-Tagen. Noch einmal Weltmeister mit seinem Schützling Novak Djokovic, dann die selbst gewählte Trennung vom Trainerjob, der Einstieg als TV-Experte beim Sender Eurosport, Lobeshymnen für den präzisen, launigen Kommentator. Und im nächsten Moment die Hiobsbotschaften über den Pleitier Becker, die Millionenschulden, den vorgeblichen Horrorberg von 40 oder 60 Millionen Euro Miesen.

Und dann, im wieder nächsten Moment, die Rückkehr ins deutsche Tennis, als Chef der Herrenabteilung. Großer Bahnhof in Frankfurt bei der Amtseinführung, Liveübertragung auf mehreren Kanälen. Und, ganz nebenbei, auch noch die mediale Aufmerksamkeit für den Patienten Becker, der in den sozialen Netzwerke über seine Sprunggelenks- oder Hüftgelenksoperation berichtet. Twitter, das wird Becker übrigens auch in der Nacht von Dubai vielsagend sagen, "ist so wichtig für mich, weil ich damit die Marke und Person Becker in der eigenen Hand habe." Ungefiltert. Authentisch Becker.

In einem Interview vor seinem runden Geburtstag hat Becker gerade gesagt, dass er "überhaupt nichts dagegen hätte, wenn ich einen Gang runterschalten könnte." Das allerdings hat er auch schon nach seinem Schlussstrich als Profispieler gesagt, ohne dass es jemals passiert wäre. Becker wird sich nicht ändern, sein Leben wird weiter auf hohen Touren laufen, ganz anders als das seiner berühmten Landsfrau Steffi Graf, die in Las Vegas als Gemahlin von Andre Agassi zurückgezogen lebt und ganz in ihrer mütterlichen Rolle von zwei Kindern aufging.

"Sie findet darin ihre Erfüllung", sagt Becker, "ich bin nun mal ein ganz anderer Mensch." Aber er ist auch einer, der in der neuen Familie, mit Ehefrau Lilly, Zuflucht und Trost vor den Wirrnissen seines Lebens drumherum gefunden hat. Eine der letzten Fragen an diesem Abend in Dubai lautet, was Glück für ihn bedeute. Beckers Antwort kommt schnell, ohne langes Nachdenken: "Glück, das hat nichts mehr mit Tennis zu tun. Ich habe vier gesunde Kinder. Ich habe eine Familie, auf die ich sehr stolz bin. Das alles zählt mehr als alles andere, ist wichtiger als der Sieg auf dem Centre Court und das ganze Geld. Dieses Glück kann man nicht kaufen."