"Federers Karriere ist kein Zufall"

René Stauffer und Roger Federer in Indian Wells
© René Stauffer
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tennisnet: Sie sind vermutlich der Journalist, der Roger Federer am häufigsten in seiner Karriere interviewt hat.

Stauffer: Ja... (überlegt) Das ergibt sich halt. Ich bin Schweizer, einer der wenigen Voll-Tennisjournalisten, die kaum etwas nebenher machen. Ich bin ihm seit 20 Jahren auf den Fersen.

tennisnet: Wie läuft ein Kontakt mit Federer ab - fragen Sie über das Management an oder bei ihm direkt?

Stauffer: Ich achte schon darauf, dass meine Interviews offiziell deklariert sind. Sein Manager Tony Godsick koordiniert das meistens mit der ATP, die möchte auch wissen, was Federer macht und hilft manchmal beim Setup. Es ist ja nicht so, dass ich täglich mit ihm telefoniere. Ich sehe ihn so oft, dass ich seine Privatsphäre zu respektieren versuche. Er gibt uns extrem viel bei den Turnieren, hat aber dafür gerne seine Ruhe, wenn er zu Hause ist.

tennisnet: Wie hat er sich im Vergleich zu früher im Umgang mit der Presse verändert?

Stauffer: Federer wirkt ja extrem entspannt, obwohl er so umschwärmt wird, obwohl er ein so dichtes Tagesprogramm hat. Er gibt einem nicht das Gefühl, keine Zeit für uns zu haben. Aber man merkt: Die Zeit für ihn ist knapper geworden. Das ist klar, er ist vielleicht der Sportler, der die meisten Interviews gibt, in allen verschiedenen Sprachen, dazu hat er viele andere Verpflichtungen und vier Kinder. Ich finde das sehr bemerkenswert. Selbst nach Niederlagen spürt man bei ihm keine Gereiztheit. Entweder er versteckt sie gut - oder er kann sehr gut damit umgehen.

tennisnet: Speziell die Schweizer Presse beschäftigt ihn viel, nach der Pressekonferenz gibt's immer noch die Extra-Runde mit den Schweizer Zeitungsjournalisten, dann das Schweizer Fernsehen...

Stauffer: (lacht) ... dann kommt das Westschweizer Fernsehen auf Französisch, der Radioreporter, der deutsch-schweizerische Antworten braucht, der Westschweizer Radioreporter... Ich kenne keinen anderen, der das mit dieser Gelassenheit macht. Er hat sich im Umgang mit der Presse nicht verändert. Außer, dass die Verfügbarkeit nicht mehr so groß ist, vor allem während der Turniere.

tennisnet: Sie haben 2006 Federers bekannteste Biografie geschrieben: "Das Tennis-Genie: Die Roger-Federer-Story". Sie ist ohne seine Mitarbeit entstanden. Hatte er keine Lust?

Stauffer: Ich hatte schon früh Kontakt zu seinen Eltern. Für mich wäre bereits nach dem Wimbledonsieg 2003 der Stoff gut genug gewesen. Die Eltern sagten: Warte doch noch ab, die Karriere hat ja erst begonnen. Dann ist der Verlag an mich herangetreten und hat mir die Offerte gemacht. Tony Godsick war damals neu dabei, mit ihm und Federers Mutter habe ich die Details besprochen. Es gab noch ein anderes Buchprojekt, das hat mir natürlich nicht geholfen. Irgendwann sagte Federer: Ich mache bei beiden nicht mit. Daraufhin musste ich das Okay haben, dass ich das Buch auch ohne ihn schreiben kann, der Verlag hätte das sonst nicht veröffentlicht. Diese Freigabe war aber kein Problem. Das Gute war, dass ich das Buch schreiben konnte, wie ich wollte. Federer hat es erst gelesen, als es rauskam. Als Autor war das dankbarer, weil ich nicht fragen und umschreiben musste.

tennisnet: Hoffen Sie, nach seiner Karriere seine Autobiografie zu schreiben?

Stauffer: Natürlich würde ich mich sehr geehrt fühlen. Allerdings weiß ich nicht, ob Federer eine schreiben will. Er ist so offen mit der Presse. Was er jetzt zurückbehält, sind wohl Dinge, die er auch nachher nicht erzählen will. Er macht sich zudem nicht viel aus Büchern, kann sich dafür nicht sehr begeistern. Eine Autobiografie würde mich überraschen.

tennisnet: Es sind ja immer wieder Federer-Geschichten in Umlauf, die hinter den Kulissen passieren, die aber typisch für ihn erscheinen. Haben Sie eine persönliche Anekdote dieser Art?

Stauffer: (lacht) Typisch für ihn war, als ich vor dem Wimbledonfinale 2004 ein sehr offenes und langes Interview mit Mirka geführt hatte, in dem sie natürlich auch über ihn sprach. Er wollte es zum Gegenlesen, was normalerweise nie der Fall ist. Dann klingelte am Samstagabend das Telefon, und er meldete sich mit: "Jetzt bist du erschrocken, was?" Ich dachte schon, er wollte die Publikation stoppen. Aber ihm ging es lediglich um die Position von Reto Staubli, ein ehemaliger Spitzenspieler der Schweiz. Er ist ein guter Freund von Federer, er begleitete ihn, als er sonst niemanden hatte. Federer ging es darum, eine Formulierung zu finden, die deutlich zeigte, dass Staubli das in seiner Freizeit macht, weil er Angestellter bei einer Bank war und sonst Ärger hätte bekommen können. Das war für mich typisch: Federer nimmt vor einem Wimbledonfinale das Telefon in die Hand, aber es geht nicht um ihn, sondern um einen Freund. Was ihn selbst betrifft, hat er ein dickes Fell. Aber sein Umfeld will er schützen.

tennisnet: Jetzt, nur wenige Wochen vor den US Open, gilt Federer dort ebenfalls als Favorit. Was trauen Sie ihm in dieser Saison noch zu - auch den Sprung auf die Eins?

Stauffer: Die Erfolge von Melbourne und Wimbledon machen ihn natürlich zum Favoriten, zudem spielt er generell gut. Ich traue ihm alles zu, auch, nachdem er Indian Wells und Miami gewonnen hat und nun dermaßen stark zurückgekommen ist. Die Nummer eins ist nicht sein Hauptziel, aber sie ist im Moment fast verwaist. Es zeichnet sich klar ab, dass Federer und Nadal das Rennen dieses Jahr unter sich ausmachen werden, und er spielt normalerweise in den letzten vier Monaten der Saison stärker als Nadal. Nun würde es mich sogar überraschen, wenn er nicht auch noch die älteste Nummer eins des Tennis werden sollte. Immerhin hat er ja fünf seiner ersten sieben Turniere gewonnen, darunter zwei Slams und zwei der Masters-Serie. Und er ist weiter fit und motiviert.

Das Gespräch führte Florian Goosmann.

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