Im Kopf von Roger Federer

Von Marco Kühn/tennis-insider.de
Roger Federer
© getty

Roger Federer hat die ersten beiden großen Turniere des Jahres gewonnen, die Australian Open und Indian Wells. Zu rechnen war damit nicht. Der Schweizer war bei diesen Events frei im Kopf.

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Jeder Hobbyspieler kennt das Gefühl. Man liegt aussichtslos 2:6 und 2:5 hinten und stellt sich zum Return. Der Gegner schlägt auf, der Ball ist knapp hinter der T-Linie und fast voll automatisch spielt man den besten Return seiner Karriere. Das Unterbewusstsein spielt diesen Ball, der Druck ist weg. Das Match im Grunde gelaufen. Der Kopf frei von zweifelnden Gedanken. Solch einen Return spielt man nicht bei 5:5 im dritten Satz. Da ist man viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, mit Eventualitäten und der Angst, einen leichten Fehler zu machen. Roger Federer scheint das Gefühl dieses Gefühl, Angst, im Jahr 2017 nicht mehr zu kennen.

Vom Gejagten zum Jäger

Den Großteil seiner Karriere musste Federer mit extremen Erwartungen verbringen. Fast immer ging der "Maestro" als Favorit auf den Platz. Wenn man ehrlich ist, gab es selten ein Match in den letzten zehn Jahren, indem Federer als Außenseiter galt. Jetzt, im Jahre 2017, ging er zu Beginn der Australian Open als krasser Außenseiter in den Wettbewerb. Mal ehrlich: Wer hätte ihm im Vorfeld den Turniersieg zugetraut? Niemand. Die Erwartungshaltung war eine komplett andere. Roger Federer war frei. Je weiter er im Turnier kam, desto freier konnte er aufspielen. Da mit jeder Runde die Erwartungshaltung noch niedriger wurde. Endspiel? Gegen Nadal? Ach komm ... Im fünften Satz, beim Rückstand von 1:3, war dann der Punkt gekommen, an dem Roger Federer freier nicht sein konnte. So spielt ein Federer, wenn er absolut locker und entspannt ist.

Die neue Stärke

Eine mentale Blockade muss bei Federer im Kopf gelöst worden sein. Die Rückhand, die vor nicht allzu langer Zeit jedem Federer-Fan Angstschweiß auf die Stirn zauberte, ist nun ein Schrecken für jeden Gegner. Gegen Federer ging es für jeden seiner Widersacher immer über die Rückhand. Es muss ein verdammt schlechtes Gefühl für die Konkurrenz sein, wenn die Rückhand des Schweizers nun regelmäßig kurz vor der Grundlinie des Gegners einschlägt. Wo ist eigentlich der Rückhand-Slice auf den Return des zweiten Aufschlags geblieben? Diese scheint sich auf dem Weg Richtung Comeback an einer Kreuzung verfahren zu haben. Stattdessen geht es jetzt geradeaus. Mit Volldampf. Gedanken aus. Rückhand an. Den Gegnern bleibt keine andere Möglichkeit, als sich anzuschnallen und zuzuschauen.

Roger Federer wirkt, wenn er den Center Court eines Stadions betritt, nicht mehr so verbissen. Sein Blick verrät Lockerheit und die wichtigste Zutat des derzeitigen Erfolgs: Spaß. Lachend saß er auf seiner Bank, als Stan Wawrinka nichts anderes übrig blieb, als ihm zu gratulieren. Jederzeit fokussiert ist Federer, wenn wichtige Ballwechsel im Match anstehen. Der Zwang, gewinnen zu müssen, welcher sich vielleicht in den Kopf von Federer verirrt hatte, scheint verflogen. Seine Verletzung und die damit verbundene Auszeit war das beste taktische Mittel, welches Federer für seinen erneuten Angriff auf die Weltspitze wählen konnte. Nun muss nicht mehr der "Maestro" nach Lösungen im Spiel gegen Djokovic und Co. suchen. Das Blatt hat sich gewendet. Der Meister hat sich auf den Weg gemacht, wieder der Gejagte zu werden.

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