Zverev - sein Rucksack und der große Triumph

Von Marco Kühn
Alexander Zverev schafft manchmal auch zwei Schritte auf einmal
© getty

Das Potenzial von Alexander Zverev ist unbestritten hoch, die ersten Erfolge des Hamburgers auf der ATP-Tour machen Lust auf mehr. Die weitere Entwicklung sollte dennoch Schritt für Schritt erfolgen.

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Der Farbkasten ist langweilig. In Deutschland gibt es nur schwarz und weiß. Die Deutschen können bei Erfolg jemanden zum besten Sportler aller Zeiten quatschen. Bei Misserfolg wird sich in Erklärungen und Ausflüchten gesuhlt. Was wäre ein Abend an der Theke der Tennishalle ohne eine Diskussion über das deutsche Tennis. Ein Kreislauf, der sich nicht mehr ändern wird. Druck von der Öffentlichkeit ist Gift für den sportlichen Erfolg eines Spielers. Natürlich liest ein Alexander Zverev, was über ihn geschrieben wird. Natürlich gelangen geschriebene Zeilen in seinen Kopf. Natürlich macht sich ein junger Sportler darüber Gedanken, was andere von ihm halten und über ihn denken. Nur weil Alexander Zverev sich nicht oft äußerst bedeutet es nicht, dass er keine Artikel und Presseberichte liest.

Über Bord mit den Erwartungen

Wenn der kleine Felix vor einer wichtigen Matheklausur steht, ist er von Natur aus aufgeregt. Bekommt er von Papa und Mama obendrein noch Sätze wie: "Wird das keine gute Note, gibt es zwei Wochen keine Schokolade" zu hören, sitzt Felix mit zitternen Beinen und klapprigem Kiefer im Unterrichtsraum vor den Aufgaben. Das Ergebnis der Klausur wird keinem der Beteiligten gefallen. Am wenigsten Felix, der dazu noch durch einen emotionalen Irrgarten wandern musste.

Alexander Zverev wird bereits jetzt ein enorm schwerer Rucksack auf den kräftiger gewordenen Rücken gespannt. Die "Deadlifts" im Kraftraum machen ihn stärker. Nicht nur körperlich. Auch mental. Jedes erfolgreiche Match legt ihm einen zusätzlichen Backstein in seinen Rucksack hinein. Dabei würde "Sascha" am besten ohne Rucksack spielen. Frei, ohne Schlagzeilen und Phrasen im Kopf. Auch der Hobbyspieler weiß, dass der Return am besten kommt, wenn man 1:6 und 0:5 zurückliegt. Und kaum ein Zuschauer mehr aus seine Person schaut. Wenn niemand mehr eine Erwartung hat. Jeder Journalist, der sich einen großen Triumph von Alexander Zverev wünscht, sollte beim Schreiben der Überschrift keine Klickzahlen, sondern Zverevs Siegerlächeln mitsamt Pokal in den Händen vor Augen haben.

Erdbeben und Triumphe

Was das Absetzen des Rucksacks bewirken kann, zeigte Roger Federer bei den Australian Open. Jeder Sieg im Turnier war wie eine Überraschung. Ab dem Viertelfinale war es für Roger ein Traum. Vor dem Finale eine Sensation. Nach dem Triumph explodierten nicht nur die Emotionen des Roger Federer, sondern auch die sozialen Netzwerke.

Ein solches Twitter-Erdbeben nach einem Grand-Slam-Sieg hat auch Alexander Zverev in sich. Sein Spiel kann schon jetzt die besten Spieler der Welt an ihr Limit bringen. Die spielerische Entwicklung ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Alexander Zverev steht mit seiner Art Tennis für die nächste Generation. Er besitzt alle Waffen um alle zu schlagen. Doch benötigt er eine ähnliche, wenn nicht dieselbe, Ausgangslage wie der "Maestro" vor den Australian Open. Kein Druck. Einen leeren Rucksack. Eine Prise Überraschung in der Tennistasche und den unbändigen Glauben, das "Ding" gewinnen zu können. Die mentale Konstanz in einem Match, sowie in einem Turnier, wird der Schlüssel zum Erfolg. Schreibt sich verdammt leicht. Spielt sich aber verdammt schwer. Was eine hohe Erwartungshaltung und ein Ansatz von Selbstverständlichkeit bewirken kann, zeigte der Davis Cup gegen Belgien. Alexander Zverev ist kein Roboter. Er ist der beste seines Alters im komplexesten Sport auf dieser Welt. Erfolge muss er sich hart erarbeiten. Ein vollbepackter Rucksack hindert ihn dabei nur.

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