"Es kann noch viel gehen in diesem Jahr"

Mischa Zverev verlässt trotz Viertelfinal-Niederlage die Australian Open wie ein Sieger
© getty

Mischa, der ältere der beiden Zverev-Brüder, konnte sich auch im Augenblick der Niederlage noch wie der zweite Sieger fühlen. Nach dem Viertelfinal-Aus gegen Roger Federer bei den Australian Open gibt sich der 29-Jährige selbstbewusst: "Wenn du an dich glaubst, ist alles möglich."

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Kaum hatte Roger Federer noch im alten Jahr australischen Boden betreten, da sagte er, der berühmteste aller Tennisprofis, der legendäre Maestro, einen bemerkenswerten Satz über seine kommende Mission Down Under: "Meine Gegner", meinte Federer, "wissen nicht, was sie von mir erwarten können."

Das war richtig und falsch zugleich. Es war richtig, weil der 35-jährige Federer nach einem halben Jahr Verletzungspause selbst ein wenig der Orientierung und der klaren Sicht beraubt war - und weil keiner seiner potenziellen Grand-Slam-Gegner es besser wissen konnte als der Meister höchstselbst.

Es war aber auch falsch, weil Federer wusste, dass er sich ausreichend Zeit genommen hatte für seine Rückkehr. Und es war erst recht falsch für für die Turnierphase der Australian Open, in der Federer sich jetzt befindet, tief drinnen in der zweiten Woche. In einem Moment, da die Umkleidekabinen leerer geworden sind und nur noch ein paar Cracks um den Jackpot spielen, den Gewinnerpokal.

65 Gewinnaufschläge von Federer

Jetzt nämlich ist wieder auf Federer Verlass, den Championspieler, Verlass auf seine alten Instinkte, auf die Souveränität des Künstlers, der so oft wie kein zweiter die Bewährungsproben unter großem Druck gestemmt hat. Jetzt ist Federer einfach wieder Federer, sechs Monate Verletzungspause sind abgeschüttelt, vergessen und vorbei.

Und mit alter Magie und neuer Centre-Court-Frische stürmte er am Dienstagabend in der Runde der letzten Acht auch an Mischa Zverev vorbei, dem deutschen Überraschungsmann der Australian Open des Jahres 2017. "Es ist ein cooler Moment für mich. Und jetzt wird es noch ein bisschen cooler", sagte der Schweizer Ästhet nach dem ungefährdeten 6:1,-7:5,-6:2-Sieg, mit dem er zugleich ein rein schweizerisches Halbfinale gegen seinen Freund und Rivalen Stan Wawrinka festschrieb.

Der vielbeschworene Stan the Man, der Melbourne-Gewinner des Jahres 2014, untermauerte Titelträume seinerseits eindrucksvoll beim 7:6(2),-6:4,-6:3-Triumph über Frankreichs letzte Hoffnung Jo-Wilfried Tsonga.

Zverev, der Hamburger Junge, hatte seinen großen Tennismoment im Achtelfinale gehabt, als er den Frontmann Andy Murray mit einer strategischen Meisterleistung, einer perfekten Balance aus Kontrolle und Aggression, schachmatt setzte. Doch Federer erwies sich, in der Spätphase dieses "Majors", als ganz anderes Kaliber, der wiedererstarkte Maestro knallte Zverev serienweise pfeilschnelle Passierbälle um die Ohren - und preschte selbst, wann immer möglich, in die Offensive vor.

Bis zum Matchende nach bloß 92 Minuten hatte Federer 65 Gewinnaufschläge aufaddiert, nur ganz wenige Schwächephasen leistete sich der vierfache Familienvater auf dem Weg in sein 41. Grand-Slam-Halbfinale und ins 13. Australian-Open-Halbfinale.

"Wenn du an dich glaubst, ist alles möglich"

Den Aufschlaggiganten John Isner heimgeschickt, den Turnierfavoriten Andy Murray entzaubert, auch gegen Roger Federer nach Fehlstart noch mit starker Gegenwehr - Zverev, der Ältere, konnte sich aber auch im Augenblick der Niederlage noch wie der zweite Sieger fühlen. Als einer der ganz großen Gewinner dieses so unberechenbaren Auftakt-Grand-Slams der Saison, als Hauptdarsteller einer anrührenden Wohlfühl-Geschichte, eines beeindruckenden Comebacks.

Was er nun mitnehme von diesem Turnier, vom Mitwirken unter den Großen und Starken und dem ersten Viertelfinale seiner Karriere, wurde Zverev später gefragt. Und seine Antwort lautete da: "Wenn du an dich glaubst, ist alles möglich." Er hoffe nun, so Zverev, "vor allem, gesund und fit zu bleiben. Denn dann kann noch viel gehen in diesem Jahr."

Nächster Stopp für ihn, für das Familienunternehmen Zverev insgesamt, ist erst einmal Frankfurt. Da geht es nicht um das persönliche Vorankommen, sondern um einen Erfolg der deutschen Davis Cup-Mannschaft gegen Belgien, vom 3. bis 5. Februar. Auch damit erfüllt sich ein Traum des älteren Zverev-Bruders, des Sensationsdarstellers von Melbourne - denn spät in seiner Karriere steht er nun zusammen mit Bruderherz Sascha im Team, dazu sind auch Philipp Kohlschreiber und Jan-Lennard Struff nominiert. Es ist keineswegs abwegig, dass Zverev und Zverev sogar das stets wegweisende Doppel am Samstag bestreiten werden.

Schweizer Halbfinale fixiert

Und in Melbourne? Hier richten sich die Blicke auf das Schweizer Duell, auf Federer, den Rückkehrer, dessen Alter nicht im geringsten vor Klasse und Erfolgen schützt. Als betagtester Profi seit dem Amerikaner Arthur Ashe 1978 geht der unverwüstliche Grand-Slam-Rekordchampion (17 Titel) nun in der Nachtshow des Donnerstags ins Rennen gegen Wawrinka - also jenen Mann, der in den letzten Jahren sportlich zwar aus Federers Schatten trat, mit jeweils einem Grand Slam-Erfolg in den Spielzeiten 2014, 2015 und 2016.

Der aber gleichwohl nicht heranragen kann (und will) an die Popularität und die charismatische Erscheinung des Älteren, der immer auch ein Idol für ihn geblieben ist. "Ich weiß, wie man Roger schlagen kann", sagte Wawrinka nach seinem selbstbewussten Viertelfinal-Auftritt, "aber ihn dann auch wirklich zu schlagen, ist immer noch eine ganz andere Sache."

Wawrinka, der härteste Draufschläger des Tennis. Gegen Federer, den Meister der Flexibilität, Finten und Finessen. Es verspricht ein Klassiker zu werden, diese Night-Show am zehnten Turnierabend von Melbourne, das 22. Persönliche Duell (18:3 Federer). Wer kann sein Spiel durchsetzen, wer behält die Nerven? Diese Antwort wird erst auf dem Platz der Rod-Laver-Arena geliefert, in einem Australian-Open-Traummatch, an das vorher niemand geglaubt hatte. Auch nicht Federer: "Ich habe mich längst übertroffen hier", sagt er.

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