Ein Wimbledontag zum Einrahmen: Angelique Kerber und Julia Görges im Halbfinale

Von Jörg Allmeroth
Julia Görges, Wimbledon
© getty

Angelique Kerber und Julia Görges haben durch ihren Halbfinal-Einzug in Wimbledon Historisches geschafft. Noch ist die Reise an der Church Road aber nicht zu Ende.

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Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon

Es war ein Tag, wie es ihn selbst in den goldenen deutschen Tenniszeiten nicht gegeben hatte. Ein Wimbledon-Tag zum Einrahmen, für die Geschichtsbücher - mit zwei strahlenden deutschen Viertelfinalsiegerinnen, die sich sogar am Ende dieses Turniers noch im allerletzten Spiel, im Kampf um den Höchstpreis begegnen können. Vorerst aber sind sie erst einmal stolz und gemeinsam in der Runde der letzten Vier angekommen, Angelique Kerber und Julia Görges, zwei starke Frauen auf der Höhe ihrer Kraft und Kunst beim wichtigsten Turnier der Welt.

Noch nie in der Open Era standen zwei deutsche Spielerinnen im Wimbledon-Halbfinale

Noch nie in der modernen Tennisära standen zwei Spielerinnen des DTB zusammen im Halbfinale der Offenen Englischen Meisterschaften. Nun, 2018, war es tatsächlich soweit: Erst setzte sich Kerber in einer wahren Nervenschlacht und mit dem siebten Matchball 6:3 und 7:5 gegen die trickreiche Russin Daria Kasatkina durch, dann nutzte Görges die Steilvorlage ihrer Landsfrau und gewann mit 3:6, 7:5 und 6:1 gegen die Niederländerin Kiki Bertens. "Ein Wahnsinnsding. Eine Sternstunde für uns", jubelte da DTB-Damenchefin Barbara Rittner, die den Aufstieg der beiden Nationalspielerinnen im letzten Jahrzehnt mitbegleitet hatte.

Nur noch zwei Spielerinnen konnten am Donnerstag das deutsche Finale verhindern: Die Lettin Jelena Ostapenko, die gegen Kerber anzutreten hat, in einer Partie, die es bisher im Tourcircuit kurioser Weise noch nie gab. Und die siebenmalige Championesse und Comebackerin Serena Williams, die prominente Rivalin von Görges - beim Versuch, erstmals als Mutter einen Grand Slam-Pokal zu erringen.

Julia Görges vor ultimativer Aufgabe: Serena Williams

Alle drei bisherigen Partien hat die 36-jährige Ausnahmespielerin gegen Görges gewonnen, aber was zählt das schon im Hier und Jetzt. In einem Augenblick, in dem auch Görges ihre Stärke auf dem einst so ungeliebten Rasen entdeckt hat. "Mir fehlen einfach die Worte. Es ist absolut erstaunlich, was passiert ist", sagte Görges, die in den letzten Jahren allein fünf Erstrunden-Knockouts an der Chruch Road hatte hinnehmen müssen.

Begonnen hatte dieser denkwürdige 10. Juli indes mit einem Thriller auf dem Centre Court, mit dem bisher eindrücklichsten und spannungsgeladensten Match des Damenturniers - und einer begeisternden Angelique Kerber, die selbst das Trauma von zwischenzeitlich sechs vergebenen Matchbällen wegsteckte.

"Nur Serena kann Angie noch stoppen", sagt Kim Clijsters

"Ich bin einfach cool geblieben. Habe immer an mich geglaubt", sagte die Kielerin, die nun schon zum dritten Mal ins Halbfinale des prestigeträchtigsten Treffens der Szene vorrückte. 2016 hatte sie sogar im Finale gestanden, war Serena Williams unterlegen.

Eine Berg-und-Talfahrt folgte später, der US Open-Sieg 2016, der Sprung auf Platz 1, aber auch der Absturz des letzten Jahres. Und jetzt die unglaublich couragierte Rückkehr zu alter Stärke, in einer Saison 2018, die auf den großen Bühnen schon das Halbfinale in Australien und das Viertelfinale in Paris gebracht hatte. "Kerber ist für mich nun die Titelfavoritin. Nur Serena kann sie noch stoppen", sagte Belgiens Ex-Star Kim Clijsters am Dienstag.

Mama Kerber war verzweifelt - erst der siebte Matchball saß

Bei einer 6:3, 5:4, 40:15-Führung schien eigentlich alles gelaufen für Kerber gegen die fintenreiche Kasatkina, ein Punkt noch fehlte zum neuerlichen Wimbledon-Glück, fürs Halbfinal-Ticket. Doch es war erst der Start zu einer Zitternummer ohne Beispiel, bei der auch Kerbers Mutter Beata in der Ehrenloge tausend kleine Tode starb.

Zwischenzeitlich wirkte die Mama so verzweifelt, dass man den Eindruck hatte, sie würde im nächsten Moment selbst auf das Tennisgrün hinunter eilen, um die Sache in die Hand zu nehmen. Aber dann waren sie beide, Kerber und Kerber, doch noch erlöst von der höllischen Seelenqual, endlich, endlich mit dem siebten Matchball, als die bis dahin unbeugsame Kasatkina einen Rückhandball ins Netz setzte.

Julia Görges kämpfte sich nach schwachem Start entschlossen zurück

"Yeeeees", schrie Kerber junior unten auf dem Hauptplatz des All England Club, so laut und so erleichtert, dass man es wahrscheinlich auf der ganzen Turnieranlage an der Church Road hören könnte. Und oben fielen sich Mutter Kerber, Trainer Wim Fissette und Manager Aljoscha Thron in die Arme, ebenso abgekämpft nach der Nervenschlacht auf der Zielgeraden. "Ich bin unheimlich erleichtert jetzt", sagte Kerber hinterher.

Görges kämpfte sich nach einem schwachen Start gegen ihre Freundin Bertens entschlossen und trotzig zurück. Die 29-jährige Nationalspielerin ließ sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als sie im zweiten Satz zunächst zwei Satzbälle zum 1:1-Ausgleich ungenutzt ließ.

Wenig später, mit dem Break zum 7:5, stand dann doch wieder alles bei Null, der dritte Satz musste die Entscheidung bringen. Und da war Görges eindeutig die Frau, die das Tempo und den Takt vorgab. Nur noch ein Spielgewinn gelang Bertens, bevor Görges völlig unbekanntes Terrain betrat - das Halbfinale bei einem Grand Slam-Turnier. Womit auch das ganze deutsche Glück an diesem Tag perfekt war.

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