Sensationsgrüße aus Luxemburg

Gilles Muller war auch in den entscheidenden Phasen die Ruhe selbst
© getty

Der Court 1 hat getobt - und Gilles Muller hat bei seinem grandiosen Triumph gegen Rafael Nadal nicht einmal mit der Wimper gezuckt.

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Von Jörg Allmeroth aus London

Der epische Achtelfinal-Marathon war gerade mit dem 389. Punkt vorüber, da nahm Gilles Muller auf dem Tennisgrün eine ziemlich vertraute Pose ein: Cool, lässig und unbewegt wie sein großer Kinoheld Al Pacino stand er auf Wimbledons Court 1 und genoß seelenruhig den Beifallssturm der Fans, er, der unwahrscheinliche Triumphator im bisher mitreißendsten Spiel der Internationalen Englischen Meisterschaften des Jahres 2017.

Mit seinem kapitalen Fünf-Satz-Sieg (6:3, 6:4, 3:6, 4:6, 15:13) über den mallorquinischen Matador und zweifachen Champion Rafael Nadal hatte sich Muller, der Luxemburger Tennisveteran aus dem 9.332-Seelen-Städtchen Leudelingen, endgültig zum Mann der Stunde im Wanderzirkus aufgeschwungen, zu einer der einprägsamsten Figuren der ganzen Saison auch.

"In der Form meines Lebens"

"Ich bin in der Form meines Lebens. Es ist wie ein Traum, dieser Sieg, dieser Tag", sagte Muller nach dem 4:48-Stunden-Achtelfinaldrama gegen French-Open-Helden Nadal, das sich vom Nachmittag bis in den Abend hineinzog, allein der letzte aufwühlende Satz, den Muller 15:13 gewann, dauerte 135 Minuten - länger als etwa Roger Federers Sieg auf dem Centre Court gegen Grigor Dimitrov. Müllerte es nun auch noch mal in der Runde der letzten Acht, im Duell mit dem Kroaten Marin Cilic?

Viele verrückte Geschichten hat dieses Tennisjahr schon geschrieben, oft standen die Großen im Blickpunkt, die Big Four des Herrenbetriebs. Da war Federers atemraubendes Comeback aus Verletzungspause in Melbourne, der achtzehnte Grand-Slam-Triumph. Dann der frappierende Absturz des Dominators Novak Djokovic, zuletzt die Wiederauferstehung von Nadal und sein zehnter French Open-Erfolg.

Doch was für eine Story bot auch dieser Gilles Muller, ein unverdrossener Vagabund und Weltreisender in Sachen Tennis: 17 Jahre lang lief der ehemals weltbeste Junior einem Turniererfolg hinterher, bis er in seinem sechsten ATP-Finale endlich zum ersten Mal triumphierte, im Januar 2017 in Sydney gegen den Briten Dan Evans. "Wie im Film" fühlte sich der zu Tränen gerührte Muller damals, auch weil er vor den Augen seiner Frau Alessia und den Söhnen Nils und Lenny den Pokal aus den Händen des großen Rod Laver entgegennahm: "Es war ein Moment, der für mich viele Enttäuschungen und Niederlagen entschädigte", sagt Muller, einer der technisch stärksten Spieler der Szene.

Spätzünder erfüllt die Erwartungen

Im Großherzogtum ist er längst eine Berühmtheit, der bescheidene, bodenständige Tennisstar mit dem einnehmenden Charakter, der Globetrotter, der sechs Sprachen mehr oder weniger perferk beherrscht (Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch und Italienisch).

Aber auf seine alten Tage macht sich der Spätberufene jetzt auch über die Grenzen der kleinen Heimat einen Namen, gegenwärtig steht er auf Weltranglisten-Platz 26 so gut wie noch nie da. Und erfüllt damit in einem Moment, in dem er selbst wohl nicht mehr so wirklich daran glaubte, die hohen Erwartungen aus den fernen Jugendtagen. "Muller hatte das Talent, das Potenzial, um eine führende Rolle zu spielen", sagt der Engländer Tim Henman, ein ehemaliger Weggefährte.

Doch nicht immer lebte der elegante Linkshänder so diszipliniert und zielbewußt wie in diesen Tagen, er habe einst auch schon mal Fünfe gerade sein lassen, sagt Muller. Zudem plagte sich der leidenschaftliche Borussia-Dortmund-Fan immer wieder mit hartnäckigen Verletzungen herum, viele Monate in seiner Laufbahn saß er krank und angeschlagen nur als Zuschauer der großen Tennisshow herum.

Vor neun Jahren erreichte er einmal das Viertelfinale bei den US Open, er schlug in einem Fünf-Satz-Drama auf dem Weg dahin auch Tommy Haas, scheiterte dann an Roger Federer. Es blieb, bis zum Wimbledon-Turnier 2017, sein größter Coup auf den kostbaren Grand-Slam-Bühnen.

Bis zum Umfallen

Vor vier Jahren brachte ihm ausgerechnet eine weitere Verletzung die Wende - auch eine gewisse Erleuchtung: "Nach einer Ellbogenblessur arbeitete ich so intensiv wie nie an meiner Physis. Und stellte meine Ernährung komplett um", sagt Muller. Jetzt spielt er schon mehrere Jahresserien ohne Schwierigkeiten durch, fühlt sich "total fit" und wie "runderneuert."

Seine Kollegen bekommen das auch immer empfindlicher und schmerzhafter zu spüren. 2017 ist nun Mullers mit Abstand bestes Jahr, er gewann unlängst in Hertogenbosch sogar seinen zweiten Karrieretitel, rückte danach im Queens Club ins Halbfinale vor. Gerade auf Rasen kann Muller sein intuitives, intelligentes Tennis perfekt ausspielen und daneben von den neuen körperlichen Kräften profitieren.

Bevor er Nadal im Fast-Fünf-Stunden-Thriller abservierte, hatte er schon ein Match über die volle Distanz bestritten, er gewann in der zweiten Runde 9:7 gegen den Tschechen Lukas Rosol. "Ich kämpfe hier, bis ich umfalle", sagt Muller.

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