"Es ist kein schönes Bild hier"

Ratloser "Djoker" - Gegen Dominic Thiem war Novak Djokovic überfordert
© jürgen hasenkopf

Novak Djokovic ist im Viertelfinale der French Open deutlich gescheitert. Der Titelverteidiger wurde von einem überragend aufspielenden Dominic Thiem phasenweise vorgeführt. Ex-Coach Boris Becker litt mit seinem ehemaligen Schützling.

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Boris Becker hat immer noch ein Herz für Novak Djokovic. Drei Jahre lang war er der Cheftrainer des einst weltbesten Tennisprofis, gemeinsam, als Duo "Beckovic", eroberten sie die schönsten Trophäen, meisterten die größten Herausforderungen. Dort, wo sie im letzten Jahr vielleicht die ultimative Prüfung mit Auszeichnung bestanden, im Stadion Roland Garros zu Paris, sah Becker am Mittwoch konsterniert aus seiner Kommentatoren-Kabine herab auf Djokovic.

"Es tut weh. Es ist kein schönes Bild hier", sagte Becker, der ehemalige Djokovic-Vertraute, über seinen Schützling, "er wehrt sich ja gar nicht mehr gegen die Niederlage." Kurze Zeit später, Titelverteidiger Djokovic war schließlich sang- und klanglos mit 6:7, 3:6 und 0:6 gegen den jungen Österreicher Dominic Thiem ausgeschieden, legte Becker nach: "Jetzt muss ganz schnell etwas passieren. Novak muss sich komplett neu aufstellen."

Zauber verflogen

Vom Stolz, von der Klasse und von der Dominanz, mit der Djokovic vor zwölf Monaten auch in Paris seinen Sport geprägt hatte, war an diesem zweiten Turnier-Mittwoch des French-Open-Jahrgangs 2017 wahrlich nichts mehr übrig geblieben. Oft hatte der 30-jährige Belgrader in seiner Ausnahme-Karriere schon verloren geglaubte Partien mit einem Hauch Magie und ganz viel leidenschaftlichem Einsatz umgebogen, doch was seine Parteigänger im Duell mit Herausforderer Thiem in der Schlussphase erlebten, war schlichtweg ein Trauerspiel, ein brutaler Niedergang.

Erstmals seit er in Cincinnati 2012 gegen Roger Federer unterlag, verlor Djokovic sogar wieder einen Satz zu Null, die Höchststrafe war allerdings auch kein Wunder, wenn man die Lethargie und innere Kapitulationshaltung des Vorjahres-Champions betrachtete. "Ich bin mit einer 0:5-Bilanz in das Match gegangen. Da ist es natürlich ein Traum, jetzt hier gewonnen zu haben", sagte Thiem, der kantige, bullige Fighter, "am Ende hatte ich den Eindruck, dass ich seinen Willen gebrochen hatte." Es sei kein Geheimnis, dass er im Moment nicht sein bestes Tennis spiele, gab Djokovic selbst später zu Protokoll, "jeder weiß das doch." Wolle er nun eine Auszeit vom Tennis nehmen? "Ich denke über viele Dinge im Moment nach", so Djokovic, "aber ich habe auch meine Verpflichtungen."

Kein Agassi weit und breit

Viel war in den letzten Tagen und Wochen über die Zusammenarbeit von Djokovic mit Altmeister Andre Agassi geschrieben worden, über die Möglichkeiten und Perspektiven dieser außergewöhnlichen Zweierbeziehung. Doch salbungsvolle Worte des Amerikaners in manchen Gesprächen, das Verständnis für Djokovics Lage aus der eigenen Historie heraus, die Analyse sportlicher Defizite - was kann es helfen, wenn Agassi in der Stunde der Bewährung nicht an der Seite Djokovics steht, so wie in diesem wegweisenden French-Open-Duell.

Als Djokovic in die Tennisschlacht gegen Thiem zog, saß sein Bruder als Betreuer und Berater auf der Tribüne - aber kein Agassi und schon gar nicht mehr einer aus dem großen Team, das den 2016 noch weltbesten Spieler zum Titel geführt hatte. Becker gehörte damals dazu, Djokovics langjähriger Coach Marián Vajda, auch der Österreicher Gebhard Gritsch, Fitness- und Ernährungsexperte. Alle waren gegangen oder waren entlassen worden in den vergangenen Monaten, und obwohl Agassi nun für ein paar Tage in Paris war, wirkte Djokovic doch zuletzt einsam, verlassen und allein.

Fragiler "Djoker"

Djokovic hatte im Vorfeld der French Open durchaus wieder etwas mehr Vertrauen in sich selbst gefasst, in Rom schlug er Top-Konkurrenz wie den Spanier Bautista-Agut, den Argentinier del Potro und auch Thiem (im Halbfinale), bevor er gegen Alexander Zverev das Pokalfinale verlor. Doch in Paris zeigte sich, auf welch fragilem Terrain sich der Serbe noch immer und immer wieder bewegt. Die Souveränität und Selbstsicherheit der ersten Turnierrunden war schnell weggewischt, als sich Thiem zu ganzer Wucht und Pracht in diesem Viertelfinale entfaltete. "Novak war meist zu defensiv, zu passiv. Er hat nicht die Kraft gehabt, selbst die Regie zu übernehmen", schrieb Becker dem früheren Schützling ins Zeugnis. Note: Mangelhaft. Oder sogar Ungenügend.

Vor einem Jahr besaß Djokovic - nach dem Paris-Triumph - kurz alle Grand Slam-Titel in seiner Hand, ein einmaliges Kunststück in der modernen Tennisgeschichte. Keinen der Pokale konnte er verteidigen, nur einmal bei den letzten vier Majors kam er ins Halbfinale. Nach dem schmucklosen Abschied gegen Thiem wird er auf Platz vier der Rangliste rutschen, wenn Stan Wawrinka das Finale erreicht, hinter Comebacker Rafael Nadal. "Ich liebe diesen Sport, ich bin immer noch motiviert. Ich will gut spielen", sagte Djokovic am Mittwoch. Doch auch er selbst würde lieber Taten sehen - statt aller guten Worte.

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