Die Leiden Nadals als Höhepunkt der Verletzungsprobleme im Tenniszirkus

Rafael Nadal musste bereits in Melbourne verletzt aufgeben
© getty

Die Nummer 1 der Welt, Rafael Nadal, verlässt Melbourne im Schmerz. Auch andere Asse haben weiter mit schweren Problemen zu kämpfen: Novak Djokovic, Andy Murray und Stan Wawrinka.

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Per Bastholt gehört zu dienstältesten Physiotherapeuten im Tennis-Wanderzirkus. Schon seit Jahrzehnten repariert er mit magischen Händen kleinere und mittelschwere Probleme bei seinen berühmten Klienten. Aber am Dienstagabend, in der Rod-Laver-Arena zu Melbourne, war auch der hochgeschätzte Schwede machtlos. Mehrfach bearbeitete Bastholt den Weltranglisten-Ersten Rafael Nadal mit aller Kraft und Intensität, er knetete an Hüfte und Oberschenkel, dehnte, massierte und streckte den Mallorquiner, der - sichtlich gezeichnet - am Boden lag.

Doch alle Hilfsversuche fruchteten nichts, nach drei Stunden und 47 Minuten nahm der Viertelfinal-Knüller zwischen Nadal und dem Kroaten Marin Cilic ein bitteres Ende. Der Schmerzens-Weltmeister, der 16-malige Grand-Slam-Champion, gab beim Stand von 6:3, 4:6, 7:6, 2:6 und 0:2 geknickt auf, es war der nächste herbe Rückschlag für den aus der Arena humpelnden Spanier, der schon die letzte Saison mit einem Rückzug von der ATP-WM beendet hatte.

Kritik am Turnierplan

"Langsam müssen sich die Entscheider im Tennis Gedanken machen, warum so viele Spitzenspieler verletzt sind. Dieses Ende tut weh", erklärte Nadal. Er hatte schon in der Vergangenheit über zu viele Matches auf Hartplätzen und zu viele Pflichtturniere gerade für die oberen Ränge geklagt. Nadals Malaise sorgt nun für das erstaunliche Halbfinal-Duell zwischen Cilic und Kyle Edmund. Ja, Edmund: Der bisher unauffällige, 23-jährige Brite bereicherte die Überraschungscoups bei diesem Turnier um den 6:4, 3:6, 6:3, 6:4-Sieg gegen ATP-Weltmeister Grigor Dimitrov.

Die Verletzungsmisere gerade unter den Topkräften der Branche erlebte währenddessen schon auf den ersten Metern der Saison eine bedenkliche Fortsetzung. Eigentlich müssten alle Spitzenleute fit und ausgeruht sein, schließlich ist dies erst die vierte Turnierwoche der Spielzeit 2018. Doch von den Blessuren des Vorjahres scheint noch keiner so richtig kuriert zu sein. Nicht der dreimalige Grand-Slam-Champion Stan Wawrinka, der es in Melbourne gerade mal in die zweite Runde brachte und nach seiner Knieoperation noch einen langen Comebackanlauf zurück in obere Ranglisten-Regionen braucht.

Nicht Novak Djokovic, der bei seinem Achtelfinal-Knockout gegen den Koreaner Hyeon Chung am Montag wieder über Ellbogenbeschwerden klagte, womöglich sogar noch operiert werden muss. Und natürlich auch nicht Andy Murray, der letztlich auf einen Grand-Slam-Start Down Under verzichten musste und inzwischen an der Hüfte operiert wurde. Er kann vermutlich erst im Juni wieder in den Nomadenbetrieb der Tour einsteigen, will dann unbedingt noch gerüstet sein für Wimbledon.

Federer wirkt sorgenfrei, NextGen profitiert

Aus dem Kreis der Spieler, die sich in den letzten Jahren regelmäßig die Grand-Slam-Titel sicherten, wirkt allein Roger Federer sorgenfrei - allerdings um den Preis eines massiv entschlankten Turnierprogramms. Der Eidgenosse richtet mehr denn je seine Konzentration auf die Grand-Slam-Turniere, nimmt sich lange und längere Pausen zur Regeneration.

Womöglich folgen ihm bei dieser radikalen Strategie schon bald die alten Mitstreiter aus der Weltspitze - Nadal, Wawrinka oder auch Djokovic. Gleichzeitig eröffnen sich aber durch die Beschwerlichkeiten der in die Jahre gekommenen Asse neue Perspektiven und Aufstiegschancen für die jüngeren Generationen, für die Spieler von Anfang Zwanzig bis Mitte Zwanzig.

Zu denen gehören der Koreaner Chung, der von ihm in Melbourne bezwungene Alexander Zverev. Aber auch Australiens Nick Kyrgios, Österreichs Dominic Thiem und Dimitrov - auch wenn der Bulgare gerade in Melbourne wieder einmal die große Möglichkeit zum Grand-Slam-Paukenschlag versäumte. Noch ist es eher eine Ahnung von einer Zeitenwende, die sich mit diesen Entwicklungen verbindet. Aber der Umbruch im Herrentennis scheint durchaus möglich in näherer und mittlerer Frist, ganz einfach, weil die Tourveteranen dem auszehrenden Programm in der Tretmühle, über so viele Jahre, Tribut zollen müssen.

Becker bangt um Nadals Karriere

Allen voran Nadal. Schon mehr als zwei Jahre seiner Karriere hat er dem Geschehen verletzt zusehen müssen. Zu Saisonbeginn 2017 kam er nach längerer Verletzungspause ziemlich erholt an den Arbeitsplatz zurück, verlor ein dramatisches Melbourne-Finale der Comeback-Giganten gegen Federer. Später in der Saison gelang ihm das Kunststück, zum zehnten Mal die French Open zu beherrschen, den Titel aus Paris mitzunehmen.

Aber je länger das Jahr dauerte, umso mehr meldete sich der strapazierte Körper schon wieder mit Wehwehchen. Nun also die Viertelfinal-Demission in Melbourne, auf der Zielgeraden des Spiels gegen Cilic. "Wenn Nadal nicht mehr weiterspielt, ist es in jedem Fall etwas sehr Ernstes", sagte Boris Becker, der Eurosport-Experte, "man muss schon ein wenig bangen um seine Karriere." Nadal selbst wollte sich an den Spekulationen nicht beteiligen: "Ich werde mich eingehend untersuchen lassen. Dann sehen wir weiter. Das Problem liegt im Oberschenkel."

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