Kerber kämpft sich gegen starke Hsieh ins Viertelfinale

Von Ulrike Weinrich
Angelique Kerber bei den Australian Open
© getty

Dank einer Energieleistung hat Angelique Kerber den Sprung ins Viertelfinale der Australian Open geschafft. Die Kielerin besiegte eine zeitweise wie entfesselt aufspielende Su-Wei Hsieh mit 4:6, 7:5, 6:2 und bleibt 2018 unbezwungen.

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Von Ulrike Weinrich aus Melbourne

Nach dem Sieg des Willens trifft Kerber am Mittwoch in ihrem ersten Major-Viertelfinale seit September 2016 auf die Amerikanerin Madison Keys (Nr. 17). Die US-Open-Finalistin, die vom Münchner Dieter Kindlmann und der früheren Nummer eins Lindsay Davenport gecoacht wird, schaltete im Achtelfinale die Französin Caroline Garcia (Nr. 8) klar mit 6:3, 6:2 aus.

Kerber war die Erleichterung nach dem 13. Sieg im 13. Match anzumerken. "Das war ein Sieg des Kopfes, des Körpers und des Herzens - alles zusammen. Meine Gegnerin hat unglaublich gespielt. Ich bin wirklich viel gerannt, aber sie hatte fast immer eine Antwort", sagte sie und meinte: "Es war etwas Besonderes, dieses Match zu drehen, aber ich habe immer daran geglaubt, dass es mir gelingt."

Vier Tage nach ihrem 30. Geburtstag fand Kerber zunächst Zeit kein Mittel gegen die unorthodox spielende Hsieh, die in den Runden zuvor bereits Wimbledonsiegerin Garbine Muguruza (Spanien/Nr. 3) und Agnieszka Radwanska (Polen/Nr. 26) ausgeschaltet hatte. Die Taiwanesin diktierte viele der Ballwechsel in der Rod Laver Arena, weil Kerber längst nicht so aggressiv agierte wie noch in den Matches zuvor. Zum Beispiel bei ihrer Drittrunden-Gala am Samstag gegen den russischen Supertar Maria Sharapova (6:1, 6:3).

Hsieh fast fehlerlos und spektakulär

Immer wieder nahm die wie entfesselt agierende Hsieh das Tempo mit und punktete oft mit ihrer crossgeschlagenen beidhändigen Vorhand. Die keineswegs schlecht spielende Kerber wirkte zusehends genervt, obwohl sie mit einem Break gestartet war und zwischenzeitlich mit 3:1 führte. In der Folge gab sie dann aber drei Spiele in Folge ab. Hsieh hatte bereits 2008 im Achtelfinale des Happy Slams gestanden, war aber seitdem auf Major-Ebene nur zweimal in die dritte Runde eingezogen.

Die 32-Jährige, einst die weltbeste Doppelspielerin, ging beim 5:4 zum ersten Mal in Führung. Den ersten Satzball konnte die zweimalige Grand-Slam-Siegerin Kerber noch mit einem Vorhand-Winner abwehren, doch wenig später holte sich die Weltranglisten-88. den Auftakt-Durchgang nach 46 Minuten - zum Leidwesen der früheren Nummer eins mit einem Netzroller.

Kerber kann den Schalter umlegen

Kerber setzte in der Folge alles daran, sich in die Partie zu beißen. Sie bewegte sich besser, doch Hsieh leistete sich weiterhin kaum Fehler, erlief nahezu jeden Ball und begeisterte die Zuschauer mit teilweise spektakulären Punktgewinnen. Die an Position 21 gesetzte Kielerin konnte ihren insgesamt sechsten Breakball im zweiten Abschnitt zur 4:3-Führung verwerten. Mit einem verschlagenen Überkopfball ermöglichte sie Hsieh jedoch umgehend den neuerlichen Ausgleich. Kerber blieb aber dran und holte sich den zweiten Satz.

Im entscheidenden Durchgang baute Hsieh etwas ab, während die Turniersiegerin von 2016 dominant aufspielte. Über 1:1 zog Kerber auf 5:1 davon. Nach 2:08 Stunden verwandelte "Angie" dann ihren dritten Matchball und ließ ihrer Freude über den hart erkämpften Erfolg freien Lauf.

Turnierfavoritin ? "Ich weiß, wie ich das ausblenden kann"

Kerber hatte am Tag vor dem Match gegen Hsieh die Abgeschiedenheit gesucht und ihre Trainingseinheit in der Halle des National Tennis Centers absolviert, das direkt an die Turnieranlage an der Batman Avenue grenzt. Die Übungseinheit unter dem Radar statt auf dem Präsentierteller vor Fans und Journalisten hatte aber auch den Vorteil, dass sie nicht ständig mit ihrer neuen Rolle konfrontiert wurde - der der Turnierfavoritin. "Ich weiß aber auch, wie ich das ausblenden kann. Und ich denke wirklich nur von Match zu Match", hatte Kerber zuletzt immer wieder betont.

Der Einzug ins Halbfinale würde der zweimaligen Siegerin des Porsche Tennis Grand Prix' auch die Rückkehr in die Top Ten garantiert. Ungeachtet des Abschneidens Down Under sieht Kerber noch viel Potenzial in der Zusammenarbeit mit ihrem neuen Coach Wim Fissette schlummern. "Wir stehen ja erst am Anfang", sagte die Linkshänderin, die die Verpflichtung des Belgiers als "richtige Entscheidung" bezeichnete: "Ich brauchte eine neue Stimme, ich brauchte den Wechsel."

"Der Aufschlag fühlt sich sicherer an"

Unter Fissette, der am Ende des vergangenen Jahres Kerbers Langzeittrainer Torben Beltz abgelöst hatte, ist jede Einheit sehr intensiv und strukturiert. "Ich weiß, was ich verbessern will. Und daran arbeiten wir hart", betonte "Angie". Mit Erfolg: Ihr Service, der größte Schwachpunkt im Erfolgs-Portfolio, hat bereits ein neues Niveau erreicht. Nicht zuletzt wegen einiger Umstellungen im Bewegungsablauf. Kerber zieht zum Beispiel nicht mehr das linke Bein heran und steht deshalb weniger frontal als noch in der Vergangenheit. "Mein Aufschlag fühlt sich jetzt sicherer an", meinte sie. Gegen Sharapova gewann die zweimalige Major-Gewinnerin in 86 Prozent der Fälle den Punkt, wenn der Erste kam.

Kerber ist die wiederentdeckte Lust an ihrem Beruf in den Tagen von Melbourne deutlich anzusehen. Die Augen strahlen, sie lacht viel. Und die frühere Nummer eins wirkt nicht nur auf dem Court, sondern auch in ihren Aussagen überzeugend. Wenn sie zum Beispiel betont, dass sie in den vergangenen 24 Monaten extrem viel gelernt habe. "Ich bin reifer geworden - als Mensch und Spielerin." Der Prozess war vor allen Dingen in ihrem Albtraum-Jahr 2017 schmerzhaft. Kerber fühlte sich "leer, orientierungslos". Die 30-Jährige hat gelitten - und sich schweren Herzens zum Trainerwechsel durchgerungen. Eine goldrichtige Entscheidung.

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