Roger Federer - Das Gesicht des guten Sports

Roger Federer am Tag danach
© getty

Größer als in den letzten Januar-Tagen des Jahres 2017 ist die Begeisterung für Roger Federer nach dessen Final-Triumph gegen Rafael Nadal bei den Australian Open wohl noch nie gewesen.

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Die Nacht war kurz, es gab sie eigentlich gar nicht. Die Beine waren schwer, der Rücken schmerzte. Aber all jene, die Roger Federer am Montag in Melbourne begegneten, bei dem üblichen offiziellen Pokalfoto des Turnierchampions, sahen dem relaxten Maestro die schönen, erfolgreichen Strapazen nicht wirklich an. "Eine Stunde habe ich geschlafen. Und als ich wieder munter war, habe ich noch mal gedacht: Ja, es stimmt. Es war kein Traum", sagte Federer mit einem zufriedenen Lächeln, der Mann, der in den Stunden nach dem Sensationscoup "am liebsten die ganze Welt umarmt hätte." Und der seinerseits schon von der ganzen Welt umarmt wurde, er, der universellste, beliebteste und prägendste Sportler dieser Zeit. Er habe sie selbst auch "schon ein wenig mitbekommen", die große Freude und Euphorie über seinen Sieg, so Federer, "aber mich hat natürlich am meisten glücklich gemacht, wie meine Familie und meine engsten Freunde gefeiert haben."

Erst daheim in der Schweiz wird Federer noch einmal in aller Ruhe nachlesen und studieren können, was er mit seinem 18. Grand-Slam-Sieg - diesem Triumphzug aus dem Nichts, dem Traum-Comeback nach Verletzungsärger - ausgelöst und angerichtet hat. Größer als in diesen letzten Januar-Tagen des Jahres 2017 ist die Federer-Mania nie gewesen, und wahrscheinlich auch nie verdienter für einen Athleten, der sich mit der Erfolgsmission auch gegen alle verfrühten sportlichen Beerdigungsredner und Untergangsszenarien gestemmt hat. "Wenn du konsequent an dich selbst glaubst, wenn du nicht schwankst mit deinen Entscheidungen, dann kann dich so leicht nichts erschüttern", sagt Federer, und es klingt ganz automatisch, ohne pädagogischen Zeigefinger, wie ein Lehrsatz für junge Tennisspieler, eigentlich für jeden Sportler in der Welt da draußen.

Unerschütterlicher Glaube

Und es stimmt ja: Keiner war mehr als Federer selbst davon überzeugt, dass noch einmal ein Titellauf wie der von Melbourne möglich sei - selbst dann noch, als in den letzten Jahren immer mal wieder körperliche Wehwehchen auftraten und zuletzt gar eine halbjährige Auszeit erforderlich war. "Roger hat immer die Vorstellung gehabt: Ich kann noch einen Grand Slam gewinnen", sagt der langjährige Weggefährte, Trainer Severin Lüthi. "Sonst würde er diese Arbeit nicht mehr machen. Diese langen Trainingstage, dieses Comeback zuletzt."

Federer wurde in den frühen Jahren seiner Laufbahn gern auch als Glückskind beschrieben, dem kraft seiner Talente vieles ganz automatisch zufalle, es war eine Zeit, in der viele, auch in seiner Schweizer Heimat, Titel und Trophäen mit einer gleichmütigen Selbstverständlichkeit registrierten. Diese Wahrnehmung veränderte sich jenseits seines 30. Geburtstages, als Federer zwar noch einmal auf dem geliebten Grün von Wimbledon triumphierte, danach aber wie der unermüdliche Sisyphos der Tenniswelt den früheren Triumphen, den Pokalschätzen nachjagte. Und ein ums andere Mal scheiterte.

Noch nie so sehr Mensch

Die hymnische Verehrung, die nun die Begleitmusik seines Melbourne-Coups ist, hat ursächlich damit zu tun: Federer war noch nie so wenig Tennis-Gott wie jetzt. Und noch nie so sehr Mensch, Kämpfer, Arbeiter, Identifikationsfigur wie jetzt. So erlebte er, was auch schon andere ganz Große des Sports erlebten: Im Moment der Verletzlichkeit, abseits der scheinbar abonnierten Erfolgsmomente, wurde die Liebe und Zuneigung am intensivsten. "Es kommt mir alles wie ein Märchen vor", sagte Federer auch noch am Tag nach dem Sieg über Nadal. Dass er ihn, den alten Freund und Weggefährten, besiegte, war im übrigen die perfekte Addition - denn Federer weiß nur zu gut, wie sehr sie beide sich gegenseitig anstachelten zu bedeutenden Siegen, jeder der Bessermacher des anderen.

Und wie geht es nun weiter mit diesem überlebensgroßen Regisseur und Hauptdarsteller des Melbourne-Wunderfilms? Es hätte, auf den ersten Blick, kaum einen idealeren Moment zum sofortigen Rücktritt gegeben als diesen 28. Januar in Melbourne. Der späte Doch-Noch-Sieg, der Sieg gegen Nadal, diese dramatische Comeback-Geschichte. Aber Federer hätte auch vor viereinhalb Jahren schon gehen können, nach dem Wimbledonsieg gegen Murray, auch damals war es schon ein Erfolg wider die Erwartung der Fachwelt. Was er danach sagte, in den nicht mehr so glorreichen Jahren, war bemerkenswert und zugleich selbstverständlich für Federer: "Ich verliere jetzt öfter. Aber das stört mich nicht. Denn ich liebe diesen Sport immer noch, mit jeder Faser meines Körpers". Es störte ihn schlichtweg nicht, dass andere Sätze wie eine Monstranz vor sich her trugen, Sätze wie den, dass der oft titellose Federer sein Image als Champion der Champions beschädige.

Auf dem Boden geblieben

Federer ist endgültig zum Phänomen geworden. Aber es handelt sich bei ihm um jemanden, der nie die irdische Schwerkraft verlassen hat, der über den Dingen geschwebt wäre. Auch deshalb gehören seine eigenen Kollegen zu den größten Laudatoren. Keinem haben sie den Sieg so gegönnt wie ihm, einem Mann, der nicht als eiskalter Egoist das Gesicht des Tennis war, kein unnahbarer Star. Sondern einer aus Fleisch und Blut, der ihnen Tipps und Ratschläge für die Karriere gab, sie zu Trainingsstunden einlud, der junge Spieler förderte und forderte. Seine Sympathiewerte sind keine Magie, kein Zufall, sondern die Folge, wofür der Mensch und Sportler Federer stand - und steht.

Federer wird sich erst einmal ausruhen nach dem Parforceritt von Melbourne, dem Grand Slam-Titel Nummer 18 in seiner Laufbahn. 13 ganze und ein halbes Jahr nach seinem ersten Major-Triumph hat er diese verblüffende Nummer hingelegt, diesen emotional hoch aufgeladenen, den bedeutendsten Sieg überhaupt. "Es wird eine Zeit dauern, bis ich das alles richtig begriffen habe", sagte Federer. Auch damit ist er nicht allein.

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