Ein ewiger Pechvogel auf Abschiedstournee

Von Jannik Schneider
Tommy Haas war einst die Nummer zwei der Welt
© getty
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Haas ist nicht nur in diesen australischen Tagen eine große Nummer und beliebt. Der Wahlamerikaner zog sein Trikot aus, verbeugte sich kurz unter tosendem Applaus und verschwand in der Menge. Die ehemalige Nummer zwei, das ist offensichtlich, genießt diese Momente im Bad der Menge. Diese Momente laufen ihm allerdings davon - das ist ebenso offensichtlich.

"Während des Matches dachte ich, dass ich teilweise schon ganz gutes Tennis gespielt habe, aber leider noch nicht ganz so frei, wie ich mir das gewünscht hätte", erklärte der Deutsche später. Training und Match-Tennis, das sei eben nochmal ein großer Unterschied.

Der Olympiazweite von Sydney 2000 und älteste Teilnehmer im Feld beschrieb aber auch, was die Zuschauer schon wahrgenommen hatten: "Ich habe mich einfach leer gefühlt - da war nichts mehr im Tank." Beim vierten großen Comeback wirkte der zweifache Familienvater erstmals etwas ratlos.

"Da war nichts mehr im Tank"

Er sei schon im ersten Satz von den Emotionen und Gedanken müder gewesen als er sich je erinnern könne. "Mitte des zweiten Satzes hatte ich dann das Gefühl, nicht mehr gerade stehen zu können, ich konnte nicht mehr richtig zum Aufschlag hochkommen."

Sorgen, es könnte wieder die lädierte Schulter sein, zerstreute er. Mitte des zweiten Satzes ließ er den Physiotherapeuten rufen. Doch auch Schmerztabletten brachten keine Besserung. So gab er nach 0:2-Satzrückstand auf. Dabei hatte Haas im ersten Durchgang zwischenzeitlich sogar mit Break vor geführt. Doch körperlich ist er, das gab er selbst zu, weit von einer Slam-Form entfernt.

"Ich hoffe, dass der Körper noch einmal mitmacht, um die Turniere zu spielen, die mir wirklich am Herzen liegen und ich dementsprechend gutes Tennis bieten kann." Unlängst hatte Stich, Turnierdirektor am Rothenbaum in Hamburg, angekündigt, Haas verpflichten zu wollen. Auch die Turniere in München und Stuttgart stehen auf der Agenda.

Haas will ebenfalls in den USA aufschlagen. In Indian Wells ist die langjährige deutsche Nummer eins mittlerweile Turnierdirektor - eine erste Aufgabe für die Zukunft ist also gefunden.

"...das ist sehr wichtig für mich als Tennisprofi"

Kurzfristig wolle Haas aber weiter alles dafür tun, nochmals eine Form auf den Platz zu bringen, die ihn temporär zu einem Herausforderer mache. "Ich möchte immer noch selbst bestimmen, wie ich aufhöre. Das ist sehr wichtig für mich als professioneller Tennisspieler." Ein bekannter Satz von Haas, den er auch am Montag wiederholte.

Bei den Turnieren in den USA oder in Deutschland will er sich noch einen weiteren Wunsch erfüllen. "Ich habe jetzt eine sechs Jahre alte Tochter. Mir liegt sehr viel daran, dass sie in den kommenden Monaten ihren Vater live spielen sehen kann. Das sie sieht, was ich tue und das als Erinnerung für ihr restliches Leben mitnehmen kann. Das ist eine weitere große Motivation für mich."

Der Hauptgrund dafür, nochmal auf die große Bühne zurückgekehrt zu sein, sei aber ein anderer. "Die vergangenen drei Jahre mit der erneuten Schulterverletzung und der Fußoperation sind sehr unglücklich gelaufen". Er wolle sich nicht mit einer Verletzung verabschieden.

Haas hat sich einen Ausnahmestatus erarbeitet

Es klang wie die 300. Rechtfertigung seinerseits. Doch für Haas sind nicht nur die vergangenen drei Jahre bescheiden gelaufen. Seine komplette Laufbahn war geprägt von Rückschlägen. Von kleinen, wie dem Tennisball in Wimbledon bei guter Form. Und den großen Schulterverletzungen. Und dennoch hat Haas "mehr erreicht, als ich mir je zu träumen gewagt habe", erklärte er gegenüber Eurosport bereits vor dem Turnier.

Jenem Sender, auf dem Boris Becker an seinem zweiten Tag als Kommentator bemitleidend bemerkte. "Sein Körper ist vom Leistungssport gezeichnet. Irgendwann macht er nicht mehr mit."

Die Zeichen der Zeit hat Haas selbst erkannt: "Das Spiel der Jungs ist nochmal physicher geworden. Es ist eine große, große Herausforderung. Deswegen ist für mich klar. Dieses Jahr wird jedes Event, das ich spiele, mein letzter Auftritt beim jeweiligen Turnier sein."

Es gibt Sportler, die erreichen eine gewisse Wahrnehmung und Zuneigung in der Öffentlichkeit für ihre Leistung und Einstellung. Nicht nur in Momenten des Erfolgs. Sondern ebenfalls für die weniger guten Zeiten. Haas hat sich diesen Status erarbeitet. Durch die vielen, erfolgreichen Comebacks.

Jenen Status, der ihn dazu befähigt, sich selbst so viel Zeit zu nehmen, wie er eben benötigt, um abzuschließen und zurückzutreten. Und vielleicht geschieht es noch mit dem ein oder anderen kleinen Happy End. Platz für eine dritte, positive Geschichte wäre allemal vorhanden.

Tommy Haas im Steckbrief

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